Tränen

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Meine Tränen fielen auf den Boden, ein kleines Meer in dem sich mein verheultes Gesicht spiegelte. Meine Mascara hatte es leicht blau eingefärbt: blass blau. So wie er mich geliebt hatte. Ein bisschen, aber doch nicht genug. Genug um mein Freund zu sein, aber nicht genug für mehr.

Ich hatte genau gewusst, was mich erwarten würde, als ich ihm meine Gefühle gestanden hatte. Ich hatte nichts anders erwartet als höfliche Zuweisung und dennoch hatte es weh getan es aus seinem Mund zu hören. „Du bist großartig, aber ich kann dich nicht auf diese Weise lieben. Ich denke, wir sollten erst Mal Abstand halten". Was er hätte er denn auch sagen sollen? Immerhin hat er mich nicht angelogen oder mir Hoffnungen gemacht.

Im Grunde genommen habe ich immer genau gewusst, dass mir diese Liebe nichts als ein gebrochenes Herz bringen würde. Ich hatte gedacht, wenn ich sie nur lange genug unterdrücken würde, würden meine Gefühle von selbst wieder verschwinden, ohne das ich sie jemals mit der Welt teilen müsste. Wie naiv von mir. Als ob Gefühle jemals einfach so wieder verschwunden wären. Reines Wunschdenken.

Stattdessen war es immer schlimmer geworden. Meine Gefühle hatten einen Keil zwischen David und mich gedrängt. Es hatte mich innerlich ihm gleichzeitig nah und doch so fern zu sein. Ständig Zeit mit ihm zu verbringen und mich doch allein zu fühlen. Über Dates mit anderen Typen mit ihm zu reden und doch nur immer ihn in der anderen Person zu sehen. Alle meine Probleme zu teilen, bis auf das drängendste von allen. Ihn auf Abstand zu halten, wenn ich ihn eigentlich in meine Arme ziehen wollte. Es hatte mich innerlich zerfressen. Ich hatte ihn gehasst, weil er der Grund für meinen Schmerz war und ich hatte mich selbst gehasst, weil ich mich selbst nicht unter Kontrolle hatte. Dieser Hass hatte mich zerstört, mir die Freude an allem genommen, mein Leben beherrscht, alle von mir gestoßen, selbst die, die mir nur helfen wollten.

Bis ich es nicht mehr aushielt und ihm endlich davon erzählte. Ich weiß nicht genau, was ich mir davon erhofft hatte. Einen Schlussstrich? Dass er meine Gefühle doch erwiderte? Dass wir einfach wieder Freunde wären? Dass das alles auf einmal aufhörte? Dass ich sofort wieder glücklich war?

Ich weiß es nicht. Nichts davon war eingetroffen. Stattdessen saß ich nun allein auf den Stufen zur Uni und sah zu wie meine Tränen eine Pfütze am Boden bildeten. Hier draußen war längst niemand mehr. Keinem hatte ich erzählt, was ich heute vorhatte. Ich selbst hatte ja kaum geglaubt, dass ich das durchziehen würde. Zu oft hatte ich es versucht und doch nicht getan. Vielleicht sollte ich stolz darauf sein es endlich getan zu haben, aber dafür tat es gerade einfach zu sehr weh.

Ich wollte niemanden anrufen und ihm sagen, dass ich abgewiesen worden war, dass ich nicht gut genug war, dass ich versagt hatte. Es war mir peinlich. Eigentlich wollte ich nur hier auf dem kalten Boden sitzen, mir vielleicht eine Blasenentzündung holen und in Selbstmitleid versinken.

Ich betrachtete mein Gesicht in der Pfütze vor mir am Boden: verheulte braune Augen luckten unter meinen braunen Schnittlauchhaaren hervor. An guten Tagen, war ich stolz auf das Funkeln in ihnen, doch jetzt gerade glichen sie eher einem farblosen Sumpf, der alles zu verschlingen schien. Selbst meine Sommersprossen schienen sich gerade am liebsten vor der Welt zu verstecken.

Es war vier Uhr morgens, in vielleicht drei Stunden würden hier die ersten Studenten erscheinen und meine Tränen in der gesamten Universität verteilen. In einer Stunde würde die Sonne aufgehen und meine kleine Trauerszene hier erhellen. In vier Stunden würde David aufstehen und einen ganz normalen Tag beginnen. Er hatte sicherlich nicht die Nacht damit verbracht durch die Straßen zu irren. Immer kurz davor in Tränen auszubrechen.

Würde er jemanden anrufen und ihm erzählen, was passiert war? Wahrscheinlich nicht. Er wusste, dass ich selbst erzählen wollte, was passiert war. Und er war deutlich besser darin seine Gefühle mit sich selbst zu klären als ich.

The HealingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt