Begehren

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Wie auch immer dieser Typ hieß, er konnte tanzen. Ziemlich gut sogar. So gut, dass zum ersten Mal an diesem Tag nicht Davids Abschiedsworte an mich in meinem Kopf widerhallten, sondern einfach nur die Musik. Der Bass vibrierte durch den gesamten Club und ich ließ mich einfach nur treiben. Zuerst tanzten wir uns gegenüber, ohne uns zu berühren, sahen uns einfach in die Augen, zwei Menschen völlig versunken in der Musik.

Er tanzte wie ich, völlig versunken im Rhythmus, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was die anderen von ihm denken. Es fasziniert mich, zieht mich in seinen Bann, diese unbändige Freiheit, die er ausstrahlte. So sehr, dass ich irgendwann nicht mehr an mir halten konnte und mich ihm näherte. Zuerst berührten sich nur unsere Schultern, während wir nebeneinander tanzten, doch dann wurde ich mutiger und legte meine Hände um seinen Hals. Es war einfach zu verlockend, diese Spannung zwischen uns dazu zu nutzen für einen Abend alles zu vergessen. Er wusste nicht, dass ich gestern noch weinend vor der Universität saß. Er wusste nicht, dass mir gestern mein Herz gebrochen wurde. In seinen Augen war kein Mitleid für mich, sondern nur Faszination und Begehren.

So wollte ich angesehen werden. Nicht mit der Überforderung, der Verletztheit und dem Mitleid in Davids Augen.

Und deshalb drängte ich meinen Körper noch enger an ihn, bis sich unsere Hüften berührten. Ohne zu zögern, umfasst er sie und zog mich noch näher an ihn. Ich konnte seinen heißen Atem in meinem Gesicht spüren, für einen kurzen Moment bekam ich Panik. Noch nicht einmal den Namen des Typen vor mir wusste ich und dennoch war ich ihm schon so nahe wie seit Jahren keinem anderen mehr.

Aber ich mache weiter, denn meine Panik schafft es immerhin, dass ich vollkommen im Moment gefangen war. Mein Blick war fixiert auf seine strahlenden blauen Augen, die mich immer tiefer in ihren Strudel zu ziehen schienen. Und seine vollen Lippen erst, zwischen uns hätte wohl nicht einmal mehr ein Blatt Papier gepasst. Ganz kurz waren wir davor, dass sich unsere Lippen berührten. Ein angenehmes Kribbeln der Aufregung machte sich in meinem Bauch breit. Voller freudiger Erwartung fieberte ich dem Moment entgegen, indem ich endlich seine weichen Lippen auf meinen spüren würde. Langsam schloss ich die Augen, um alles in mich aufnehmen zu können. Den Klang der Musik, seinen Geruch nach Bergamotte und Minze, seine Hände auf meinen Hüften, die brannten als hätte er sie vorher in einer Esse erhitzt.

Doch dann entfernten sich die Hände plötzlich und auch der Geruch war nicht mehr so intensiv wie zuvor. Erschrocken riss ich die Augen wieder auf, er würde doch jetzt nicht etwa abhauen? Würde ich heute wirklich auch noch von einem namenlosen Kerl in einem Club zurückgewiesen werden? Hatte das Leben nicht langsam genug davon mich zu demütigen?

Ich wollte mich schon beschämt wegdrehen, um wenigstens noch einen kleinen Teil meiner Würde zu retten, doch er hielt mich zurück, indem er entschlossen nach meiner Hand griff  und mich mit einer geschickten Drehung wieder bis kurz vor sein Gesicht beförderte. Schon wieder umwaberte mich sein Duft und für einen kurzen Moment war ich zu verwirrt, um zu reagieren.

"Lass uns woanders hingehen, das ist immer noch mein Arbeitsplatz, ich wohne nur ein paar Straßen weiter", bot er mir mit einem verschmitzten Lächeln an. "Mein Wohnzimmer ist riesig und meine Mitbewohner sind nicht zuhause. Wir können also ganz in Ruhe weitertanzen", schlug er vor. Die Erleichterung, die mich wie eine Welle überkam, war unbeschreiblich. Ich wurde nicht zurückgewiesen. Nicht schon wieder. Ganz im Gegenteil, er wollte mehr tun als mich nur zu küssen.

Ich schluckte. Ich wusste genau, was er mir da gerade vorschlug und eigentlich war es perfekt. Genau das, was ich mir von heute Abend erhofft hatte: Unverbindliche Ablenkung, dass es gleich so gut laufen würde hatte ich zwar nicht ahnen können, doch er war nett, heiß, ein super Tänzer und vor allem in keinster Weise wie David. Es würde mir guttun, Zeit mit einem anderen Mann zu verbringen. Aber war ich wirklich schon bereit dafür? Seine Hände hatten sich gut angefühlt auf meiner Haut und sein Geruch hatte mich beinahe schon benebelt. Ich wollte seine Lippen auf meinen spüren und seine heißen Hände auf meinem Körper. Ich wollte, dass er mich vergessen ließ, dass ich traurig war. Ich wollte, dass er mich vergessen ließ, dass David jemals existiert hatte. Ich wollte, dass er mich dazu brachte mich wieder begehrenswert zu fühlen.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Liane mich besorgt musterte. Sie dachte offensichtlich, dass ich noch nicht bereit dafür war. Ihr Blick war voller Sorge und Skepsis. Sorge. Sogar David hatte sich heute noch Sorgen um mich gemacht. Ich wollte nicht, dass man sich Sorgen um mich machen musste. Ich wollte glücklich sein und unbeschwert. Ich wollte mit einem Fremden nachhause gehen können, ohne dass meine beste Freundin mich  ansah als würde sie demnächst meinen Zusammenbruch erwarten. Und deswegen musste ich das hier tun.

"Klaro, ich sag nur noch kurz meinen Freunden Bescheid", erwiderte ich entschlossen. "In fünf Minuten vor der Tür?",  fragend zog ich eine Augenbraue nach oben und er nickte zur Antwort nur kurz.

Entschlossen machte ich mich auf den Weg zu Liane und den anderen, um meine Tasche zu holen. Sie würde mir das hier nicht ausreden. Egal, was sie sagte. David war nicht der einzige Mann, an dem ich interessiert seien konnte.

Kaum war ich an dem Tisch angekommen, packte mich Liane am Arm und zog mich zu sich. "Du hast nicht wirklich vor mit ihm nachhause zu gehen, oder?", fragte sie mich schon fast flehend, als würde sie hoffen, dass ich nicht so dumm war wie sie glaubte.

"Doch genau das werde ich tun", erwiderte ich ruhig und wollte nach meiner Tasche greifen.

"Spinnst du, heute Morgen hast du mir noch das T-Shirt wegen David voll geheult", erinnerte sie mich unweigerlich an das, was ich am liebsten vergessen würde.

"Das war heute Morgen. Wenn David es schafft mich zu behandeln wie immer, werde ich ja wohl nachhause gehen können mit wem ich will", erwiderte ich patzig.

"Du musst weder David noch dir selbst irgendwas beweisen Keana, lass dir einfach ein wenig Zeit", versuchte Liane mich von meinem Vorhaben abzubringen, doch ich hatte es endlich geschafft an meine Tasche zu kommen und griff entschlossen danach. Ich warf einen kurzen Blick darauf. David hatte eine Story gepostet, in der er lachend mit einem Bier in der Hand neben seinen Kumpels saß. Er machte also einfach so weiter. Ohne Trauerphase, ohne einen Gedanken an mich zu verschwenden. Nun, dann konnte ich das auch.

"Ich habe genug Zeit an diese ganze Scheiße verschwendet. Es wird Zeit, dass ich wieder anfange zu leben", entgegnete ich und riss mich von ihrem festen Griff los.

"Bitte Keana tu das nicht, morgen wirst du das Bereuen. Du bist noch nicht bereit dafür", flehte sie mich ein letztes Mal an, doch ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen.

"Ich schreib dir, wenn ich wieder zuhause bin", antwortete ich und machte mich auf den Weg zum Ausgang, ihren sorgenvollen Blick stets in meinem Rücken.

Kurz  bevor ich die Tür nach draußen aufstieß, überkam mich erneut Panik, was wenn er nicht da war? Wenn er mich doch zurücklassen wollte? Wenn er mich auch nicht wollte?

Doch dann sah ich ihn wenige Meter von mir entfernt an einer Hauswand lehnen und ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

Heute Nacht würde ich Spaß haben und ein gewisser jemand mit seinen braunen Augen würde darin definitiv keinen Platz haben.

Trifft Keana die richtige Entscheidung? Oder wird sie das ganze bald bereuen?

Und was haltet ihr von dem DJ?

Bis Bald,

Eure Apfela




The HealingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt