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Dunkle Wolken verdecken den Himmel, während der Regen in Strömen auf die Windschutzscheibe prasselt. Etliche Regentropfen sammeln sich auf dieser, bevor die Scheibenwischer einsetzen, nur um dort wenig später einen schmierigen Film zu hinterlassen, der sofort wieder von einzelnen Tropfen besetzt wird. Ich werfe einen Blick in den Innenspiegel und mir stockt der Atem. Jegliche Farbe ist mir aus dem Gesicht gewichen und dunkle Schatten haben sich unter meine Augen gelegt. Wenn ich zusätzlich noch einen rötlichen Lippenstift aufgetragen hätte, wäre ich wohl als abscheuliches Ebenbild von Schneewittchen durchgegangen. Als der Wagen abrupt mit quietschenden Rädern auf dem nassen Asphalt anhält, werde ich beinahe quer durch das Taxi geschleudert, doch mein Sicherheitsgurt erspart mir dieses Szenario. Meine Hände ballen sich augenblicklich zu Fäusten, um das wieder aufkommende Zittern zu unterdrücken. "Vielen Dank.", hauche ich dem Taxifahrer zu, bevor ich meinen kleinen Koffer ergreife und vorsichtig die Tür öffne. Ich setzte langsam einen Fuß nach dem anderen auf den glänzenden Boden und hebe den Blick. Mit einem Schlag bin ich unfähig, mich zu bewegen. Das mit vielen prächtigen Details ausstaffierte Gebäude von Arcvus erstreckt sich vor meinen Augen und es hat in diesem trüben Licht schon fast etwas schauriges an sich. Man könnte meinen, dass dieses Internat durch den altertümlichen Baustil und der abgelegenen Ortschaft verlassen vorzufinden sein könnte. Aber der erste Eindruck täuscht, da hinter diesen Mauern so viel Leben vorzufinden ist. Mein Kopf wird von tausenden Erinnerungen überflutet, die mir wieder ins Gedächtnis rufen, warum ich eigentlich hier bin. Ich schließe für den Moment die Augen. Wäre es - Der urplötzlich laut aufheulende Motor des Taxis lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich schließe schnell die Wagentür hinter mir und das Auto verschwindet mit roten Lichtern in der Dunkelheit. Ich schaue diesem mit mir ringend nach, denn am liebsten würde ich jetzt meinen Koffer nehmen, die High Heels ausziehen und ihm kreischend hinterher laufen, um den Fahrer förmlich anzuflehen, mich wieder mitzunehmen. Allein der Gedanke wieder hier zu sein, versetzt mir eine unbeschreibliche Angst. Als mir ein kalter Luftzug die nassen Haare ins Gesicht peitscht, wird mir klar, dass ich schon komplett durchnässt bin und das Taxi schon längst verschwunden ist. Es ist zu spät... Ich habe wieder begonnen zu zittern, nur dieses Mal weiß ich nicht, ob ich es auf die Kälte schieben kann, oder mir doch eingestehen muss, dass die Angst schon längst jede Faser meines Körpers eingenommen hat. Ich ziehe meinen grauen Mantel enger um mich und beginne zum Internat zu schreiten, während ich den Koffer hinter mir her ziehe. Einzig mein unkontrollierter Atem und das dumpfe Klackern meiner High Heels durchbrechen die Stille. Wie in Trance laufe ich den Weg durch die Parkanlage entlang und dieser scheint sich unendlich in die Länge zu ziehen. Als ich dann endlich den Eingang erreiche, versuche ich die große Altholztür so leise wie möglich zu öffnen. Aber natürlich erklingt sofort ein lautes Quietschen, welches gefühlt im ganzen Gebäude widerhallt. Kurz angebunden bleibe ich stehen und warte nur darauf, dass jemand die Treppen heruntergelaufen kommt und mit dem Finger auf mich zeigt. Doch nichts passiert. Langsam löse ich mich aus meiner Starre, stelle den Koffer sicher in eine Ecke und trete weiter in die Eingangshalle ein. Dabei betrachte ich den riesigen dunkelroten Teppich, der mit goldene Details bestückt ist und sich über den ganzen Raum erstreckt. Mein Blick schweift weiter durch die Halle und bleibt schließlich bei einem riesigen Ölgemälde von der Gründerin dieses Internats hängen. Dieses Bild hat mich schon immer förmlich angezogen, da die ältere Frau so vertraut und liebenswert wirkt. Am liebsten würde ich sie einfach nur umarmen und sie vor allem Bösen beschützen. Obwohl dieser Gedanke eigentlich vlllig abwegig ist, denn diese Frau ist stark und hat damals so viel erreicht. Allein dieses Internat besteht schon über mehrere Generationen und hat schon starke, unabhängige und einflussreiche Persönlichkeiten hervorgebracht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Arcvus so beeindruckend ist. Es wirkt so geheimnisvoll und unergründlich, obwohl es an sich einfach nur eine Schule ist. Nicht mehr und nicht weniger. "Dieses Bild hat dich schon immer fasziniert.", durchbricht eine mir allzu bekannte aber vor allem freundliche Stimme die Stille. Ich drehe mich langsam um und schaue in die warmen, braunen Augen der Direktorin. Wie immer ist sie elegant gekleidet mit einem knielangen Bleistiftrock, einer weißen Bluse und dem marineblauen Blazer. Ihre Haare sind locker nach hinten gesteckt, was ihr freundliches Gesicht zur Geltung bringt. Mrs Greenwood ist zwar schon Mitte 40, aber dennoch bringt sie eine gewisse lockere Stimmung mit sich, obwohl sie auch ein gewisses Maß an Strenge und Disziplin repräsentiert. Ein zaghaftes Lächeln umspielt ihre Lippen, weswegen ich sofort auch anfangen muss zu lächeln, denn ich habe sie schon vermisst. Sie war immer wie eine Tante für mich, auch wenn ich das nie vor den anderen Schülern zugegeben hätte. Trotzdem bleibe ich etwas unbehaglich auf der Stelle stehen, denn ich weiß nicht, ob es jetzt angebracht wäre, sie zu umarmen. Anscheinend scheint Mrs Greenwood meine Gestik deuten zu können. sie breitet die Arme aus: "Nun komm schon her." Die Anspannung fällt sofort von mir ab und mein Grinsen wird noch breiter, während sie mich in die Arme schließt. "Ich habe Sie echt vermisst.", flüstere ich ihr zu. "Ach Paige, du hast mir auch gefehlt und es hat mich echt getroffen, als du mir letztes Jahr nicht mal sagen konntest, ob du überhaupt zurückkommen wirst.", erwidert sie. Nun ja, eigentlich wollte ich tatsächlich nicht zurückkehren und da war ich mir letztes Jahr auch ziemlich sicher, da das vergangene Jahr das schlimmste Jahr in meinem ganzen Leben war. Nach einigen Sekunden lösen wir uns von einander und sie schaut mich mit einem erwartungsvollen Blick an. Etwas unbehaglich gehe ich einen Schritt zurück und starre auf den Boden. "Sie wissen ja, dieses Internat hat etwas anziehend oder eher fesselndes an sich.", ich zucke mit den Schultern und wende zögernd den Blick wieder auf Mrs Greenwood, doch diese nickt nur verständnisvoll. "Da hast du recht. Wenn man einmal hier war, dann kehrt man immer noch mindestens ein zweites Mal zurück.", sie schaut verträumt ins Leere. Ich lege den Kopf schief. Kann es sein, dass sie schon mal in einer ähnlichen Situation wie ich gewesen ist? Bevor ich nachhaken kann, schüttelt sie den Kopf und setzt ein resigniertes Lächeln auf. "So Paige, dann kannst du schon mal dein altes Zimmer beziehen. Aber bedenke, dass die Nachtruhe bald beginnt.", mit diesen Worten dreht sie sich um und stolzierte davon. Ich hingegen verschwende keine weitere Gedanken an ihr plötzlich distanziertes Verhalten. So war sie schon immer und das hat sich wohl nicht geändert. Mit meinem Koffer in der Hand steige ich die Treppe zum Mädchentrakt hinauf, welcher sich über mehrere Meter erstreckt. Nur ein enger Gang trennt die gegenüberliegenden Zimmer voneinander, sodass man glatt Angst haben könnte, dass man eine Tür ins Gesicht gepfeffert bekommt. So schnell wie möglich überquere ich den Flur und stürzte in mein Zimmer, nur um gleich die Tür hinter mir schließen zu können. Schwer atmend und mit dem Rücken an die Tür gepresst, stehe ich da und betrachte mein Zimmer sorgfältig. In dem ganzen Jahr hat sich nichts gerührt: Das Bücherregal, der Schreibtisch und das Bett stehen nach wie vor unberührt am gleichen Platz. Es scheint so, als hätte das Zimmer nur auf mich gewartet und genau dieser Gedanke führt dazu, dass ich noch mehr Panik bekomme. Das Atmen fällt mir allmählich schwer und es fühlt sich an, als ob meine Kleidung plötzlich um zwei Größen geschrumpft wäre. Ich brauche Luft!, schreit eine Stimme in meinem Kopf immer wieder. Und endlich scheint mein Körper das auch zu realisieren, denn mit vier großen Schritten gelange ich zum Fenster und reiße es hektisch auf. Sofort wirbelt ein eiskalter Wind durch den Raum, der einige Regentropfen mit sich bringt. Ich atme gierig ein und aus, sodass endlich wieder Luft in meine Lunge dringt. Nachdem ich mich beruhigt habe, wendet sich meine Aufmerksamkeit dem Himmel zu. Dieser scheint sich nämlich zu erhellen, während ein Blitz in weiter Ferne einschlägt. Und nun stehe ich wieder hier, gefangen in einem Alptraum, der mich schon seit einer geraumen Zeit begleitet.

ArcvusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt