III

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Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Carries Blick wieder auf mir ruht. Ich hebe den Kopf etwas, um sie ansehen zu können. Doch sie schaut auf meine zitternden Hände und hebt dann auch langsam den Blick. Sie zieht eine Augenbraue hoch, wie um zu fragen, ob als ich Ordnung sei. Ich zucke zuerst mit den Schultern, doch dann nicke ich. Sie soll das bloß nicht vor den anderen am Tisch ansprechen. Carrie nickt auch und belässt es dann dabei. Ich schiebe den Stuhl etwas nach hinten und erhebe mich mit meinem Tablett.
"Ich gehe dann eben zu Mrs Greenwood, um meinen Stundenplan abzuholen.", sage ich zu niemanden bestimmtes. Zügig verlasse ich den Tisch, nur um einige Schritte später mitzubekommen, wie Lennart zu irgendjemanden haucht: "Boah, die ist echt heiß." und daraufhin höre ich ein leises Geräusch und ein "Aua, für was war das denn?" von Lennart. Ein kleines Grinsen umspielt meine Lippen und ich würde jetzt zu gerne wissen, wer Lennart für seinen Kommentar geboxt hat. Bevor ich den Raum verlasse, stelle ich noch mein Tablett ab und wende wieder den Blick zum Speisesaal, der sich auch kaum verändert hat. Einzelne Tischgruppen stehen mit einem ziemlich großen Abstand zueinander. Während außen eher kleiner Tischgruppen zusammenstehen, steht in der Mitte ein riesiger Tisch an dem die "beliebten" Schüler wie Chase und Sienna sitzen. Obwohl die meisten sie verachten, werden sie dennoch bewundert sowie beneidet und ich kann mir vorstellen, dass jeder gerne an diesem Tisch sitzen würden. Auch ich saß mal dort und ich kann mich noch daran, wie einem immer schmachtende Blicke zugeworfen worden sind. Einerseits ist mir das immer ziemlich unangenehm gewesen, weil alle nur darüber geredet haben, wie sie mich flachlegen möchten und so weiter... Doch Sienna hat mir immer eingeredet, dass ich stolz darauf sein soll und das für mich ausnutzen soll. Und so habe ich tatsächlich oft mit irgendwelchen Typen geflirtet, nur um sie nachher für meine Zwecke benutzen zu können. Und genau das brachte mir oft Bewunderung ein. Mein Verhalten war einfach nur lächerlich, weil ich unbedingt dazugehören wollte. Vielleicht braucht Sienna auch mal ein Jahr Abstand, um zu erkennen, dass das, was sie tut, alles andere als toll ist. An sich ist wohl der Speisesaal der Raum mit der wenigsten Dekoration. Man kann sich ihn wie eine einfache Kantine in der High School vorstellen. Wenn man den Speisesaal dann endlich verlassen hat, schlängelt sich wieder der dunkelrote Teppich mit dem goldenen Muster durch die Flure. Generell scheint dieser Teppich alle Räume miteinander zu verbinden, denn er erstreckt sich sogar über die Treppen, die zum Mädchen- und Jungentrakt führen. Die Kursräume sowie das Büro der Direktorin befinden sich in der zweiten Etage, zu der ich mich jetzt bewege. Leider ist der Mädchen- sowie der Jungentrakt nicht mit der 2. Etage verbunden, sodass man sich erst wieder ins Erdgeschoss begeben muss, um dann eine separate Treppe zu den Kursräumen nehmen muss. Warum das so ist, ist fragwürdig. Aber so ist Arcvus eben: Komplex und kompliziert. Im Erdgeschoss befinden sich vor allem die Gemeinschaftsräume und die Bibliothek, die allein fast das halbe Erdgeschoss in Beschlag nimmt, dafür aber auch stark genutzt wird, weil in diesem Internat ein Verbot für jegliche technischen Geräte, die sich mit dem Internet verknüpfen, gilt. Der einzige brauchbare Computer steht im Büro von Mrs Greenwood und dieser ist absolut tabu. Während ich die mir vertrauten Gänge entlanglaufe, betrachte ich die prachtvollen Gemälde, die hin und wieder die Wände schmücken. Meistens sind es Portraits von alten Direktoren oder wichtigen Persönlichkeiten, die aus Arcvus hervorgegangen sind. Vor der dicken Holztür, die zu Mrs Greenwoods Büro führt, bleibe ich stehen und klopfe. Keine Sekunde später ertönt ein "Herein.", und ich öffne die Tür. Die Direktorin sitzt hinter dem Computer mit einer Lesebrille, die ihr bereits auf die Nasenspitze gerutscht ist.
"Guten Morgen.", begrüße ich sie freundlich. Sie hebt den Blick und lächelt mir zu, sodass sich kleine Lachfältchen um ihre Augen bilden. "Oh hallo Paige, wie war das Aufeinandertreffen mit deinen Freunden?", ergreift sie das Wort. Ihre braunen Augen fixieren mich aufmerksam. Ich zögere, denn meine alten Freunde sind schließlich nicht mehr meine Freunde.
"Ähmm... nun ja, es war etwas komisch, aber ich denke, dass das normal ist, wenn man sich so lange nicht mehr gesehen hat. Außerdem habe ich ein paar ziemlich nette Leute kennengelernt.", entgegne ich, während ich mir eine braune Strähne hinter das Ohr stecke. "Das klingt ja ziemlich gut. Ich habe dir schon mal deinen Stundenplan ausgedruckt.", sie greift nach einem Blatt und reicht es mir. "Er ist nicht so voll wie bei manch anderen Leuten, aber du solltest dich deswegen noch mehr anstrengen. Du hast gleich erstmal eine Geschichtsstunde mit mir und da werden wir nicht so ein schwieriges Thema durchnehmen. Deshalb sollte es dir nicht schwerfallen, den Stoff der letzten Wochen, die du versäumt hast, nachzuholen und ich denke, in den anderen Fächern wird es ähnlich sein.", erklärt sie mir. Dabei richtet sie ihre hellen Haare, die auch schon auf ein paar graue Strähnen verweisen. "Okay, danke Mrs Greenwood. Ich werde mich natürlich anstrengen und versuchen bestmögliche Noten zu erzielen.", bestätige ich. "Genau diese Antwort habe ich erwartet. Wir sehen uns dann gleich.", sie nickt mir zu und ich verlasse lächelnd den Raum. Mit dem Stundenplan in der Hand gehe ich gelassen zu meinem Zimmer, um die nötigen Bücher sowie Hefte, die bereits auf meinen Schreibtisch warten, zu verstauen. Bevor ich den Raum verlasse, kümmere ich mich noch um meine Haare, die einfach trostlos herunterhängen. Ich nehme die beiden vorderen Strähnen und binde mir diese am Hinterkopf locker zusammen, sodass keine nervigen Haarsträhnen mehr in mein Gesicht fallen und dabei wird gleichzeitig mein leicht herzförmiges Gesicht betont. Meine Haut, die eigentlich einen relativ gebräunten Teint besitzt, wirkt heute umso blasser, sodass meine karamellbraunen Augen unnatürlich kräftig herausstechen. Die schmale Nase, die mir persönlich nicht gefällt, steht in einem starken Kontrast zu meinen vollen Lippen, bei denen jedoch die Oberlippe etwas schmaler ist als die Unterlippe. Umso länger ich mich anstarre, desto mehr unförmig Stellen an meinem Körper stechen mir ins Auge. Aus diesem Grund wende ich schnell den Blick ab und streiche meinen Rock glatt. Mit meiner Tasche im Schlepptau eile ich zum Geschichtsunterricht. Und die Eile ist tatsächlich begründet, denn ich habe exakt eine Minute Zeit, um gefühlt das ganze Internat zu durchqueren.
Letztendlich schaffe ich es genau beim Klingeln in den Raum zu platzen und ich bin etwas erleichtert, dass in der ersten Reihe neben Quinn ein Platz frei ist. Wenigstens ein bekanntes Gesicht im gesamten Kurs. Ich schiebe mich an den anderen vorbei und nehme Platz.
"Hi.", begrüße ich Quinn, der mich kurz anschaut, aber sofort wieder seine Aufmerksamkeit nach vorne richtet.
Bevor ich jedoch weiter über sein Verhalten nachdenken kann, beginnt Mrs Greenwood schon mit dem Unterricht. Während Quinn sich die ganze Zeit über beteiligt, sitze ich hier herum und frage mich, wie man nur so viel wissen kann. Als der Unterricht zu Ende ist, packe ich erleichtert wieder meine Tasche. Ich anscheinend echt viel nachholen, um noch teilweise gute Noten erzielen zu können.
"Du hast echt ein krasses Allgemeinwissen.", lobe ich Quinn.
"Ja, ich beschäftige mich in meiner Freizeit auch dafür.", antwortet er knapp, ohne mich anzuschauen.
"Oh cool. Ich wünschte ich würde mich auch mal für irgendetwas mehr interessieren. Gefühlt trotte ich immer irgendwo dazwischen herum.", erkläre ich lächelnd.
"Dann viel Spaß dabei.", erwidert Quinn resigniert.
"Ist alles in Ordnung?", frage ich überrascht wegen seinem schroffen Tonfall. Nun schaut er mich endlich an, doch ich zucke innerlich zusammen, denn in seinem Gesicht ist keine Spur von Freundlichkeit zu erkennen.
"Ich kenne solche Mädchen wie dich. Ihr macht einen auf super lieb und nett, aber am Ende spielt ihr nur ein falsches Spiel, um andere zu verletzten. Carrie und Lennart scheinen dir ja zu glauben, dass du es bereust mit Sienna befreundet gewesen zu sein. Aber ich tue das nicht. Also versuche erst gar nicht, mich um deinen Finger zu wickeln. Denn das wird nicht passieren.", seine grünen Augen scheinen Funken zu sprühen, während er mich wütend anstarrt.
Unfähig etwas zu antworten, bleibe ich sprachlos stehen, während er sich an mir vorbei drängt.
Der restliche Schultag verläuft eher still, denn so gut wie in jedem Kurs, habe ich mich in die letzte Reihe gedrängt und nachgedacht. Viel nachgedacht. Und das nicht nur über Quinns Worte, sondern auch über meine Anwesenheit hier generell. Wäre es vielleicht doch besser gewesen, dieses Internat nie wieder zu betreten? Hat Quinn vielleicht recht und ich bin genau so ein falscher Mensch wie Sienna? Auf beide Fragen habe ich keine wirkliche Antwort, aber egal was nun die Antwort ist, ich sollte einfach das beste daraus machen. Immerhin gibt es einen Grund, warum ich mich entschieden habe, wieder hierher zu kommen.

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