Teil 1 von 3

104 28 24
                                    

~ Cover by 

An der Abzweigung entschied sie sich, die große Runde zu gehen.

Der hölzerne Wegweiser knarzte im Wind, als Carolin daran vorbei ging. Der Weg durch den Wald war drei Kilometer lang und führte in einem Bogen durch den Wald wieder zurück in Richtung des Dorfes. Trotz des prasselnden Regens machte sich Carolin auf den Weg. Ihr Hund Max und sie hatten es nicht eilig. Denn je eher sie zu Hause sein würden, desto früher würden sie ihn wieder hören müssen, den Streit von Carolins Eltern. Carolin würde wieder die ganze Nacht in ihrem Zimmer sitzen und laut Musik hören. Max würde sich ängstlich winselnd hinter dem Sofa verstecken, während der Vater eine Flasche nach der Mutter warf. Nein, wenn sie es irgendwie hinauszögern konnte, würde Carolin das tun, mit allen Mitteln.

Je weiter sie den Weg entlang ging, desto weniger konnte sie sehen. Die letzte Straßenlaterne lag bereits weit hinter ihr. Hier auf dem dunklen Waldweg gab es keine Laternen. Die einzige Lichtquelle war das leuchtend grüne Sicherheitshalsband, das Max trug. Es leuchtete ihnen den Weg über den vom Regen matschigen Waldweg.

Langsam wurde der Weg schmaler. In der Ferne erstummte der Lärm der Autos auf den Straßen. Nun war es ganz still. Carolin hörte nur das Geräusch ihrer eigenen Schritte auf dem Waldweg, das Hecheln des kleinen, braunen Hundes und das entfernte Rufen einer Eule. Und das Rascheln der Blätter. Carolin wusste, dass es nur der Wind war. Trotzdem jagte ihr das Geräusch einen Schauer über den Rücken.

Sie war diesen Weg schon oft gegangen. Viele Abende hatte sie mit Max hier draußen verbracht. Sie kannte den Weg gut. Normalerweise fühlte sie sich sicher hier draußen. Aber heute war es anders. Heute beschlich sie ein ungutes Gefühl, wenn sie nach drüben zu den Bäumen blickte. Wahrscheinlich war das alles nur Einbildung, dachte sie. Wahrscheinlich fühlte sie sich einfach nur nicht gut, weil ihre Eltern sich schon wieder stritten. Vielleicht kam das beklemmende Gefühl in ihrer Brust daher, dass sie wusste, dass sie sich bald trennen würden und Carolin auf eine neue Schule gehen musste. Und trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass alle ihre Probleme nichts mit diesem Gefühl zu tun hatten. 

Max knurrte.

"Was ist denn, Max?", fragte Carolin. Ihr Herz begann zu klopfen. Offenbar war sie nicht allein mit diesem Gefühl.

Ihr Hund blieb stehen. Wieder knurrte er. Seinen Blick auf die Bäume gerichtet.

"Ist da hinten irgendetwas?", fragte Carolin. Sie hoffte, dass es nur eine Katze war, die sich aus dem Dorf hierher verirrt hatte und zwischen den Bäumen nach Mäusen suchte. Ja, so musste es sein. Max hasste Katzen und knurrte immer, wenn er eine sah. Nichts Beunruhigendes. Völlig normal.

Sie wollte schon erleichtert aufseufzen und weitergehen. Doch dann sah sie etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zwischen den Bäumen kauerte jemand. Ein Schatten. Eindeutig ein Mensch. Er bewegte sich keinen Millimeter. Und er starrte sie an.

Carolin wollte erschrocken aufschreien, doch sie hielt sich zurück. Sie schloss ihre Hand fester um die Leine ihres Hundes. Als sie blinzelte und wieder hinsah, war der Schatten verschwunden.

Erleichtert lockerte Carolin ihren Griff um die Leine. Da war nichts. Es war nur eine optische Täuschung gewesen. Alles war in Ordnung.

Trotzdem entschied sie sich, umzudrehen und nach Hause zu gehen. Nur für den Fall. Sie hatte bisher kaum ein Drittel des Weges zurückgelegt. Allzu lange würde es nicht dauern, bis sie zu Hause sein würde. Bei ihren streitenden Eltern zwar, aber sicher und gesund.

"Komm, Max, wir gehen", sagte Carolin und die beiden drehten sich um. Obwohl Carolin wusste, dass es kindisch war, in diesem Wald Angst zu haben, war sie froh, in der Ferne die Lichter der Straßenlaternen sehen zu können. Licht bedeutete Sicherheit.

Aber noch war das Licht weit entfernt. Und in der Nähe, kaum zehn Meter hinter ihr, kroch ein Schatten durchs Gebüsch. Leise und unauffällig, aber zielstrebig und nah. Und er hatte sein Ziel genau vor Augen.

Sie kam nie zurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt