Schmerz

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Trigger-Warnung

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Es ist dunkel. Ich führe meine Hände an meinen Kopf und spüre sofort den stechenden Schmerz, der mich bei der Berührung durchfährt. Ich schlage die Augenlider auf und zwinge mich, meinen Körper aufzurichten. Ich stehe langsam vom Bett auf und spüre den kalten Linoleumboden unter meinen nackten Füßen. Der Geruch von Desinfektionsmittel steigt mir in die Nase. Ich nähere mich der Tür, drücke die Türklinke hinunter und verlasse den Raum. Gleißendes Licht strahlt mir entgegen. Ich muss die Augen zusammenkneifen. Möglichst leise tapse ich durch den Gang und versuche, mich auf irgendeine Weise zurechtzufinden.

Mein Schädel brummt. Der ganze Körper schmerzt. Jeder einzelne Schritt tut weh und ich kann mich kaum auf meinen Füßen halten. Ich spüre, wie ich beim Gehen nach rechts und links taumle. Bin kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren. Ich stütze mich an den grellweißen Wänden ab. Meine Arme und Hände zittern. Der Weg scheint unendlich lang zu sein. Am liebsten würde ich an Ort und Stelle stehen bleiben. Mich hinsetzen. Mich hinlegen. Die Augen schließen. Mich ausruhen. Aufgeben.

Es ist ruhig. Leise. Stille herrscht. Mir wird schlecht. Mein Kopf ist kurz davor, zu platzen. Ich glaube, ich muss mich übergeben. Es ist so stickig hier. Die Luft ist so schlecht. Sie schnürt mir die Kehle zu. Ich kann kaum mehr richtig atmen. Ich fühle mich so eingeengt. Mir tut alles weh. Alles schmerzt. Mein Kopf pocht. Ich muss hier raus. Sofort.

Ich komme der silbern glänzenden Tür immer näher. Ich bin fast da. Endlich erreiche ich den Fahrstuhl. Ich drücke auf den Knopf. Einmal. Zweimal. Dreimal. Vier- Die Türen öffnen sich, ich trete ein und drücke wieder auf einen Knopf, der die Maschine in Bewegung setzt. Hier drin wird alles noch schlimmer. Jede Millisekunde, die ich länger in diesem Metallkasten - diesem Gefängnis - bleibe, bringt mich immer weiter um den Verstand. Ich merke, wie mir der kalte Schweiß langsam über die glühende Stirn läuft. Wie meine Hände und Arme beginnen, unkontrolliert zu zucken. Wie meine Beine drohen, nachzugeben. Ich merke, wie ich langsam in Panik gerate. Unbegreifliche Angst steigt in mir hoch. Tränen steigen mir in die Augen. Ich versuche sie wegzublinzeln. Ich halte es nicht mehr lange hier drinnen aus. Ich muss schleunigst hier raus.

Ich brauche Platz. Luft. Sonst breche ich gleich noch zusammen. Ich merke, dass meine Beine immer intensiver zittern. Sie können mich kaum noch halten. Ich lehne mich an der Wand an. Versuche meinen Körper für einen kurzen Augenblick zu entlasten. Meine Wange wird dabei gegen einen kalten Spiegel gedrückt. Angenehm kalt. Er beruhigt mich ein wenig. Ich kann mich ein klitzekleines bisschen entspannen. Ich vergesse meinen pochenden Kopf. Meine Beine, die jede Sekunde nachgeben könnten. Die Übelkeit, die mich gerade noch beinahe zu übermannen schien. Die Schmerzen, die meinen Körper beherrschen. Für diesen Moment vergesse ich all meine Gefühle, die sich in mir breit machen und mich von Innen auffressen wollen.

Doch dann bleibt der Aufzug abrupt stehen und ich stolpere nach hinten. Die Türen schweifen wieder geräuschlos auseinander und mir knallt ein Welle von stickiger Luft entgegen. Das entspannende Gefühl von gerade eben ist verschwunden. Es ist weg. Stattdessen kommen die anderen, mir allzu bekannten Gefühle wieder hoch.

Übelkeit. Scham. Angst. Trauer. Druck. Wut. Furcht. Kälte. Besorgnis. Hass. Einsamkeit. Leere.

Da ist ein reines Wirrwarr von Gefühlen in mir drinnen, das langsam aber sicher die Oberhand über meinen Verstand gewinnt. Gegen die Tränen in meinen Augen ankämpfend setze ich einen Fuß vor den anderen. Die Tür am anderen Ende des Flures ist mein Ziel. Dann wird es mir besser gehen. Wenn ich erst einmal draußen bin, wird es mir besser gehen. Mir wird es besser gehen. Das ist zumindest das, was ich mir die ganze Zeit versuche einzureden.

Also - wie gesagt - einen Fuß nach dem anderen. Ganz langsam. Der Weg scheint noch so lang. In diesem Schneckentempo werde ich es niemals schaffen. Es wird gleich bestimmt jemand um die Ecke kommen und mich entdecken. Dann wird es mir niemals besser gehen. Dann ist alles vorbei. Mir wird es niemals wieder besser gehen.

Also beeile ich mich. Immer schneller bewege ich meine Beine. Ich bin dabei schon beinahe hektisch. Immer schneller setze ich den einen vor den anderen. Immer schneller bewege ich mich auf die Tür zu. Auf meine Errettung. Auf meine Erlösung.

Ich fange an, heftiger zu atmen. Zu keuchen. Nach Luft zu ringen. Ich halte es hier drin nicht mehr länger aus. Keine Sekunde mehr. Aber das brauche ich auch nicht mehr. Ich bin endlich an der Tür angelangt. Mein Gesicht ist durchnässt. Die Tränen haben meine Augen verlassen und rinnen an meinen Wangen herab. Meine Lungen gieren nach Luft. Ich drücke wieder einmal die Türklinke nach unten.

Und schon trete ich hinaus in die frische Nachtluft. Ich schließe schnell die Tür und stolpere nach vorne. Ich verliere das Gleichgewicht und lande auf dem harten Boden. Ich hole erschrocken nach Luft und stütze mich auf meinen Ellenbogen ab. Ein leichter Schmerz durchzuckt meinen Körper, der aber so schnell wie er gekommen ist auch wieder ging. Immer mehr Tränen verlassen meine Augen.

Ich lache dumpf auf. Meine Situation ist zwar überhaupt nicht lustig, aber ich kann mich einfach nicht mehr beherrschen. Das kam alles so unerwartet.

Ich versuche mich zusammenzureißen. Ich schniefe und wische mir mit meinen kalten Händen die nassen Tränen aus meinem Gesicht. Einige verirrte Haarsträhnen streiche ich mir hinters Ohr und stelle mich schließlich wieder auf meine wackligen Beine.

Ich bewege mich auf den Rand zu und strecke die Arme aus. Der Wind weht mir die Haare wieder ins Gesicht und ich fange an, zu frösteln. Die Übelkeit ist verschwunden, aber die ganzen anderen Gefühle sind noch da.

Scham. Angst. Trauer. Druck. Furcht. Kälte. Sorge. Hass. Einsamkeit. Leere.

Ich mache noch einen kleinen Schritt nach vorne und sehe nach unten. Normalerweise würde mir beim Anblick so einer Höhe übel und schwindelig werden, doch stattdessen schlich sich ein kleines Lächeln auf meine ausgetrockneten Lippen.

Wer hätte  gedacht, dass ich jemals so weit gehen würde? Niemand. Nicht einmal ich habe das erwartet.

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