Kapitel 1: Albtraum

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~ Amelie ~


Ich war am Ende meiner Kräfte, doch meine Mutter spornte mich an weiter zu laufen. Plötzlich hörte ich einen Schrei und es lief mir Eiskalt den Rücken runter. Ein schneller Blick über meine Schulter bestätigte meine Befürchtung. Es war mein Bruder, der so geschrien hatte, denn er blutete aus mehreren Wunden und war umgeben von Männern, die versuchten ihn und meinen Vater zu töten. Ich wollte zu ihnen rennen und helfen, doch meine Mutter zog mich unerbittlich weiter. Wir gelangten in einen Raum und meine Mutter hob mich aus dem Fenster. Ich landete hart, war aber draußen, um mich herum der Wald. Voller Panik rannte ich hinein, meine Mutter hörte ich dennoch. Sie rief mir zu, dass ich weglaufen solle und sie mich liebt. Das Letzte was ich von ihr hörte war, dass ich stark bleiben soll, als ein lauter Knall ertönte. Voller Angst rannte ich weiter, während ich das Amulett meiner Eltern umklammerte. Sie hatten es mir zu meinem 6 Geburtstag geschenkt. Hinter mir hörte ich wieder Stimmen, die umher riefen. Ich verstand so etwas wie: ,,Sucht den Rest der Wandler!", während sie immer näher und näher kamen.

Auf einmal lag ich wieder schweißgebadet in meinem Bett. Ich schaute mich in meinem kleinem Zimmer um. Mein Schreibtisch, auf dem unordentlich Hefte verteilt waren, mein Kleiderschrank und meine Leseecke auf meiner Couch, wo noch ein Buch, dass ich angefangen hatte zu lesen lag. Gedankenverloren schaute ich aus meinem Fenster und sah in den Wald. Erst nach einigen Sekunden realisierte ich richtig, wo ich war und beruhigte mich. Meine Mutter kam herein. ,,Alles in Ordnung bei dir Amelie?" ,,Ja, alles in Ordnung, ich hatte nur einen Albtraum. Mach dir keine Sorgen", beruhigte ich sie. ,,Schon wieder? Seit deinem Geburtstag hast du ständig Albträume." ,,Es ist wirklich alles gut!", versuchte ich sie erneut zu beruhigen. ,,Na gut, aber du weißt, dass ich immer für dich da bin, falls etwas ist", sagte sie eindringlich und ging hinunter. Ich musste schmunzeln, dass war typisch Mama, immer besorgt und für einen da.

Mein Blick fiel auf die Uhr und ich erschrak. ,,Verdammt, ich komme zu spät!" Schnell rannte ich ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Mein Spiegelbild schaute mich aus leuchtend grünen Augen an und meine braunen langen Haare fielen wirr um mein zierliches Gesicht. Ich riss mich von dem Anblick los und war innerhalb von Minuten fertig. Gerade wollte ich mein Zimmer verlassen, als ich etwas hörte. 'Ja, ich bin mir sicher, dass sie eine von uns ist.' Verwirrt drehte ich mich um. ,,Wer ist da?", fragte ich nervös, doch sehen konnte ich niemanden. Da saß nur eine graue Katze vor meinem Fenster und schaute mich mit großen Augen an. Ich zuckte mit den Achseln und ging hinunter.

Unten schnappte ich mir einen Apfel, mein Fahrrad und fuhr los, denn schließlich musste ich mich beeilen.
Vor der Schule stellte ich mein Fahrrad ab und schloss es fest, als ich wieder etwas hörte. 'Sie konnte mich hören, ich bin mir sicher.' Langsam drehte ich mich um, doch dort war niemand, ich konnte nur eine graue Katze auf einem der Bäume entdecken. Plötzlich kam mir eine Idee und ich musste lachen. Was für ein bescheuerter Gedanke, natürlich kann eine Katze nicht sprechen. Ich drehte mich wieder um und betrat das Schulgebäude.

Im Klassenzimmer erwarteten mich der belustigte Blick meiner Freundin Jenny und der strenge Blick meiner Mathelehrerin. ,,Entschuldigen Sie, ich habe verschlafen. Kommt nicht wieder vor", murmelte ich entschuldigend. ,,Nicht schlimm, komm beim nächsten Mal aber bitte pünktlich", bat sie mich und ihr Blick wurde wieder weicher. Leise setzte ich mich neben Jenny und packte meine Sachen aus. Die Katze, die vor dem Klassenzimmerfenster saß und mich beobachtete bemerkte ich jedoch nicht.

Nach der Schule standen Jenny und ich noch auf dem Schulhof und quatschten. ,,Man, bin ich froh, dass die letzten beiden Stunden ausfallen. Mehr hätte ich nicht ertragen!", jammerte Jenny. Ich musste lachen. ,,Typisch, nie hast du Lust auf Schule, aber ich kann dich ja verstehen, heute war echt anstrengend." ,,Dir fällt Schule ja leicht im Gegensatz zu mir, aber naja egal. Jedenfalls muss ich jetzt los, bis Montag", rief sie mir im gehen zu.

Auch ich ging los und wollte wie immer einen Umweg durch den Wald nehmen, weshalb ich mein Fahrrad stehen ließ. Der Wald zog mich schon immer an und je tiefer ich hinein ging, desto freier fühlte ich mich. Dieses Gefühl war seit meinem Geburtstag vor einer Woche besonders stark.
Ich ging zu meinem Lieblingsort, einer Lichtung, die nur sehr schwer zu finden war, da sie versteckt lag. Mitten auf der Lichtung ist ein kleiner Teich, der von einem Bach gespeist wird. Im Teich gibt es Fische und oben drauf schwimmen Seerosen. Heute glitzerte er besonders geheimnisvoll und zog mich geradezu magisch an. Dennoch setzte ich mich auf meinen Lieblingsbaum am Rande der Lichtung, einer alten knorrigen Eiche. Ich setzte mich gemütlich hin, schloss meine Augen und lauschte.
Die Vögel, die kurz gestoppt hatten zu zwitschern, da ich sie erschreckt hatte begannen wieder und der kleine Wasserfall plätscherte leise vor sich hin. Eine leichte Brise wehte und ließ die Baumkronen rascheln. Es war einfach Idyllisch und fast automatisch fasste meine Hand das Amulett um meinen Hals.

,,Na los, ich weiß, dass du schneller laufen kannst Amelie", hörte ich meine Mutter neben mir. ,,Ja, aber ich will mich endlich verwandeln können", meckerte ich, während wir weiter durch den Wald liefen. ,,Na gut, dann lass uns versuchen uns zu verwandeln und erst das trainieren", gab meine Mutter nach. Sofort versuchte ich mich zu verwandeln, meine Mutter nun als Wolf neben mir stehend. Ihr Fell war grau und glänzte im Schein der Sonne. Ihre Pfoten hingegen waren schwarz, was eine Seltenheit war. Schwarze Wölfe waren die stärksten von allen, wurden jedoch ausgerottet, sodass sie nur noch Legenden waren. Manche Wandler hatten zwar noch schwarze Stellen, aber das machte sie nur etwas stärker als andere. Ich versuchte immer wieder mich zu verwandeln, dass mir ganz schwindelig wurde, schaffte es aber einfach nicht. 'Nur nicht aufgeben, du wirst dich schon noch verwandeln, wenn die Zeit reif ist.' Hörte ich ihre ruhige Stimme in meinem Kopf und sie schaute mir tief in die Augen. 'Du bist etwas ganz besonderes, dass weiß ich.' Plötzlich hörte ich einen Zweig knacken und meine Mutter begann zu knurren.

Ich schreckte hoch. Aufmerksam beobachtete ich meine Umgebung, konnte aber nichts feststellen. Ich schaute zum Himmel und erschrak. Wie lange war ich hier gewesen, dass die Sonne schon dabei war unterzugehen. Schnell sprang ich hinunter und lief los. Schließlich sollte ich zum Abendessen Zuhause sein. Meine Mutter war zwar gewöhnt, dass ich lange im Wald blieb, aber ich wollte es nicht überstrapazieren. Ich verließ den Wald und rannte die Straße entlang. Ab und zu überholte ich Passanten oder sah ein Auto vorbei fahren. Mein Amulett war warm, wie ich erst jetzt bemerkte.

Als ich endlich in unsere Straße einbog musste ich stutzen, denn etwas war anders als sonst. Mit einem Mal wusste ich auch was, ein schwarzes Auto stand vor unserem Haus, doch ich störte mich nicht daran und ignorierte es. ,,Mama, Papa, ich bin wieder da", rief ich in das Haus hinein und erhielt prompt eine Antwort. ,,Wir sind im Wohnzimmer", rief mein Vater. Sofort setzte ich mich in Bewegung, musste aber stutzen, als ich das Wohnzimmer betrat. ,,Wer ist das?", fragte ich und schaute verwirrt zwischen meine Eltern und der fremden Frau hin und her. Die Frau war sehr groß, schlank und hatte braune Augen. Ihre auffälligen weißen Haare waren etwa Schulterlang. ,,Guten Tag Amelie, ich heiße Melissa Miller und bin Direktorin eines Internats für besondere Schüler.", ergriff die Fremde stattdessen das Wort. Mein Amulett war mittlerweile wieder kalt.

WolfsamulettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt