Ich sitze in meinem Zimmer. Noch immer ist in meinen Gedanken kein Platz außer für Alex. Als Mama plötzlich zum Abendessen ruft erschrecke ich. Ich zwinge mich aufzustehen und mein Zimmer zu verlassen. Mein Refugium. Ich setze mich an den Tisch und versuche so normal wie möglich zu wirken. Heute waren meine Eltern erstaunlicherweise gut gelaunt. Das kommt nicht so häufig vor. Meine Eltern. Eigentlich ist nur meine Mutter meine Mutter. Mein Vater ist eigentlich gar nicht mein Vater. Mein Vater ist bei einem Autounfall gestorben als ich 8 war. Kurt ist der Freund meiner Mutter. Mein neuer Vater. Es ist komisch. Es ist als hätten wir Papa einfach durch jemand anderes ersetzt. Ich mag Kurt. Er ist lustig. Zumindest wenn er gut gelaunt ist. Gut gelaunt ist Kurt nur, wenn er keinen Alkohol getrunken hat. Kurt ist Alkoholiker. Mama auch. Mama ist eine Alkoholikerin, seit Papa gestorben ist. Sie kam nie damit klar. Bevor mein Vater gesorben ist waren wir schon in Trauer. Meine Mutter verlor meinen kleinen Bruder in der Schwangerschaft. Ich war 5 als es geschah. Gerade haben wir es verarbeitet als dann mein Vater starb. Das konnte meine Mutter nie verkraften. Sie ging jeden Abend raus um Alkohol zu trinken. In einer Kneipe lernte sie Kurt kennen. Beide waren betrunken, als Kurt zum erstenmal das Haus betrat. Als sie nüchtern waren möchte ich ihn sofort. Mama ist mit Kurt zusammen seit meinem 12. Lebensjahr. Gerade macht Kurt einen Witz. Im Normalfall würde ich mein Gesicht kichernd hinter meinen Händen verstecken, aber das ist kein Normalfall. Alex ist tot. Die Person die mir Kraft gab, als meine Eltern wieder betrunken waren. Die mir zuhörte und Mut machte, als ich nicht weiter wusste. Nun war sie nicht mehr da und Kurt sieht mich nur seltsam an. "Was ist los?" fragt er und ich erzähle ihm, dass ich Bauchschmerzen habe und lieber nichts essen wolle. Mama erlaubt mir aufs Zimmer zu gehen und mich Schlafen zu legen. Ich gehe hinauf und lege mich aufs Bett. Schlafen würde ich nicht.
