𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟜 𝔼𝕩𝕔𝕣𝕦𝕔𝕚𝕒𝕥𝕚𝕟𝕘 𝕎𝕒𝕪

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Das Klirren der Bestecke, das leicht schmatzige Kauen der anderen, ja selbst deren Atmung und verstohlenen Blicke auf mir schmerzten in meinen Ohren und ließen mein Kopf unangenehm Brummen.

Selbst die Betreuern konnten hin und wider mal nicht ihre Augen von mir lösen.

Es war das erste mal seit mehreren Wochen, dass ich mich wieder blicken ließ, wieder zu den Mahlzeiten erschien.

Der Leere Platz neben mir schmerzte beim Anschauen, erinnerte mich daran, dass du weg warst, bei dir zuhause.

Ich wollte zurück zu dir, wollte von ihr verschwinden, doch ich wusste, dass es noch lange dauern würde.

Das meinte auch meine Therapeutin, welche ich direkt an dem ersten Tag als ich wieder aus meinem Zimmer kam, getroffen hatte.



„Was hat dich dazu gebracht, wieder am Alltag mitzumachen?"

Sie kritzelte wieder auf ihrem Klemmbrett rum, unterbrach den Blickkontakt jedoch nur für wenige Sekunden. Neugier blitze in ihren blauen Augen auf, während ich meinen Mund einen Spaltbreit öffnete um ihr zu antworten.

Meine Stimme hörte sich fremd und etwas rau an, als meine Wörter durch den Raum flossen.

Ein Schwindel überkam mich, wurde stärker.

Ein Rauschen erfüllte meine Ohren, lässt mich alles nur noch verschwommen, in Watte gepackt wahrnehmen. Die Kontrolle verließ meinen Körper, machte mich wieder zu diesem willenlosen Etwas.

„Ich habe ihn gesehen." Flüsterte ich leise in die Stille des Raumes, welche mir doch so laut vorkam.

„Wen hast du gesehen?" das unaufhaltsamen Kratzen des Kugelschreibers wurde hektischer, schneller, dröhnender.

Ihre Augen lagen weiterhin auf mir, beobachteten mich.

„Jin." Seufzte ich nur mit einem kaum merkbaren Lächeln auf meinen spröden Lippen.

Eine Wärme erfasste mich selbst beim Gedanken an diesen Engel der mir sein Herz schenkte.

Ich liebte dich für all deine Stärke und Zärtlichkeit, die du mir schenktest abgöttisch und konnte an nichts anderes als an dich denken.

„Du hast von ihm geträumt? Was hat es in dich ausgelöst?"

Auch auf ihren Lippen bildete sich ein kleines zufriedenes Lächeln.

„Ich will zu ihm. Ich will gesund werden, damit ich ihn wieder in den Arm nehmen kann. Es tut weh wieder alleine zu sein, weil jeder Tag nur noch der gleiche ist." Meine Stimme flüsterte vorsichtig die Sätze durch den Raum, als hätte sie Angst etwas mit der lauten Stimme zu verschrecken. Die Wörter lösten sich sofort auf, verschwanden als hätte es diese nie gegeben, als gäbe es meinen stummen Hilfeschrei nicht, doch sie hatte es gehört. Die junge Frau, welche mich Monate lang durch die Qual begleitet hat, still ohne sich wirklich bemerkbar zu machen, legte ihr Klemmbrett auf den Tisch ab, lehnte sich entspannt zurück, das Lächeln, welches schon davor auf ihren Lippen lag, wurde größer, zufriedener, als sie mit fester Stimme meinte: „Da haben wir ja noch viel vor uns für dein Ziel. Ich glaube wir fangen am besten sofort an."





Tränen flossen stumm über meine gerötete Wangen, tropften auf mein T-Shirt, welches ich trug.

Der Stuhl unter mir war wieder kalt, als ich mich ein weiteres Mal drauf setzte.

Ich wollte dem kleinen Jungen in mir, der gewachsen und all die Jahre in den Armen der Leere eingesperrt war, nicht raus lassen, wehrte mich gegen die abstoßenden Erinnerungen, welche er mit sich bringen würde, wenn er es schaffte ein stücken Macht zu bekommen.

Ich wollte die Vergangenheit nicht sehen und nicht akzeptieren.

Nein, dass wollte ich nicht, denn mir wurde schlecht, beim Gedanken an den misshandelten Jungen, der immer öfters in meinem Bewusstsein erschien.

„Nicht nochmal." Betete ich in mich hinein, wusste nicht, ob der nächste Schlag der Erkenntnisse mich letzten Endes brechen würde.

Doch ich musste durch, musste mich dem Schweinehund in mir stellen, damit ich dich wieder an meiner leeren Seite habe und mit dir durch mein Leben gehen konnte. Ich wusste, dass es von Nöten war, doch warum war es bloß so schwer?

Warum war diese Heilung so schrecklich entkräftend und zerrend, weshalb hatte man mir so etwas überhaupt angetan?

Was war der Grund, für all diesen Schmerz in meiner Kindheit, welcher mich zu dem Wrack formte, was ich nun war?

Wie sehr ich dieses Wrack doch hasste!

Ekelhaft, erbärmlich, verächtlich.

Es war ein unnötiges Etwas, ein verdammtes Bastard, wie also konntest du mich lieben?

Warum ekelst du dich nicht, wenn meine Hände deine Haut berührten oder deine Lippen meine liebkosten?

Aber du tatest es nicht. Warst anders als die anderen. So wie meine Mutter, die mich trotzdem liebte, unabhängig wie schlecht ich zu ihr war.

„Weshalb lässt du nicht, dass Namjoon sich an seine Kindheit erinnert?"

Meine Therapeutin verschlug mich mit ihrer plötzlichen Frage zurück in die Realität, zurück ins hier und jetzt.

Die Tränen hörten auf zu fließen, stattdessen starrten meine Augen in ihre, als müsste sich mein Gehirn erst wieder bewusst sein wo er sich befand.

Die Aufgabe war schwer. Mehr als nur schwer und anstrengend.

Es tat weh die beiden Seiten in mir, den schutzlosen misshandelten Jungen und dem Schatten, der meine Vergangenheit verschlossen hielt, sprechen zu lassen.

„Um ihn zu schützen. Er würde zerbrechen, wenn er damit konfrontiert wird. Ich möchte ihm doch nur helfen. Was ist daran denn falsch?" Ein weiteres kehliges Schluchzen. Ich wollte doch nicht mehr verletzt werden. Diese eine Nacht war schon zu viel führ mich. Wie sollte ich also noch mehr von diesem Albtraum aushalten?

Ich war nicht stark. Nein, dass war ich nicht.

Meine Hände kamen garnicht mehr hinter her die wiederaufkommenden Tränen weg zu wischen.

„Setz dich bitte auf den anderen Stuhl." Meinte die blondhaarig zu mir, was mein Körper dann auch automatisch tat.

Ich wusste nicht wie oft ich mich schon umsetzten musste, ich hatte beim siebten mal aufgehört zu zählen.

„Was glaubst du? Denkst du er hat recht, dass er dich einsperrt und nicht zulässt, dass du dein Trauma verarbeitest?"

Sie redete nicht mit mir. Nicht damit dem Namjoon der körperlich in ihrem Büro anwesend war.

Schon seit dem ich mich auf eins dieser Stühle setzten musste, sprach sie nicht mehr mit mir.

Ich schüttelte nur müde und entkräftet den Kopf.

Er hatte nicht das Recht mir ein Großteil meiner Erinnerung zu löschen, egal ob sie gut oder schlecht war. Schlechte Erfahrungen gab es um aus sie zu lernen, deswegen machen wir Fehler und Erfahrungen. Um schlauer zu werden, aber wenn ich keine hatte, wie sollte ich mich dann weiter entwickeln?

Er wollte mich schützen, doch tat er nicht eigentlich das Gegenteil?

„Ich brauche diese schlechten Erinnerungen, damit ich wieder gesund werde, oder?" hauchte ich schläfrig.

Ein Nicken von ihr.

ℕ𝕖𝕨 𝕕𝕒𝕪 || ℕ𝕒𝕞𝕛𝕚𝕟Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt