"Ach du Scheiße", flüsterte Kindsey, in einem recht untypischen, ängstlichen Tonfall, dabei achtete sie wohl herzlich wenig auf ihre unsittliche Wortwahl. Ihre hübschen Augen fixierten den jungen Bub, welcher mit weit aufgerissenen Augen auf seine Blut verschmierten Hände starrte. Direkt neben ihm lag, völlig schlaff und zusammengekauert, seine tödlich verletzte Mutter. Eine dickflüssige, rötliche Substanz löste sich von einer Stelle direkt oberhalb ihres Ohrs, verklebte ihr die hellen Haare und bildete eine Lache enormen Ausmaßes.
"Wir müssen ihr helfen." murmelte Kindsey, völlig überfordert mit der gesamten Situation. Der Drang zur Hilfe überkam sie, wobei sie der Gefahr des Sturmes nicht ins Auge sah, sie eher völlig naiv ignorierte. "Wir müssen ihr helfen!" glitt es nun deutlicher zwischen ihren vollen, rötlichen Lippen hervor. Dabei klappte sie ihren Laptop zu, schmiss ihn rücksichtslos zurück auf das lederne Kundensofa und steuerte geradewegs die Türe an. Noch bevor sie den Knauf erfassen konnte, spürte sie jedoch eine starke Hand an ihrer zierlichen Schulter.
"Sie werden nirgendwo hingehen. Der Sturm ist so gut wie hier, jetzt raus zu gehen wäre lebensgefährlich und zudem ziemlich leichtsinnig." Kilian atmete tief durch, wobei sich seine muskulöse Brust deutlichst hob und wieder senkte. Offensichtlich befand er sich noch nie in solch einer akuten Gefahrensituation.
"Folgen Sie mir. Wir werden alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Kunden und Kundinnen in den Keller verlegen. Dort-"
"Wir?!" Die Angst stand ihr wie ins Gesicht geschrieben, der Mut wurde ihr schier aus den Augen gestohlen.
"Wir. Je schneller desto besser. Außerdem wissen wir nicht ob und wie lange das Gebäude noch standhält." Mit diesen letzten Worten verließ der Kerl das Büro um alle möglichst sicher in den Keller zu führen mit der Annahme, Kindsey würde seinem Beispiel folgen und ebenfalls so viele wie möglich in Richtung Tiefgeschoss schicken.
Die Reaktion der meisten entsprach einem ängstlichen, hektischen herumhuschen. Einige krochen unter Stühle und Tische, wobei anderen mit Mühe versuchten sich selbst und Andere zu beruhigen, was nur bedingt funktionierte. Erst als Kilian kam atmete der Großteil vor Erleichterung auf. Es schien, als hätten sie ein gewisses Vertrauen zu ihm, wobei der Kerl auch wusste was zu tun war.
Seine Anweisungen waren klar und deutlich, keine der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zögerte, jeder Einzelne folgte dem Geschäftsführer die Treppen hinunter bis zum Erdgeschoss. Eine enorme Horde bildete sich, eine Menschenmasse, doch fehlte eine Person. Kindsey. Sobald Kilian seine Sekretärin Claire erblickte, steuerte er jene an. 'Haben Sie das blonde Mädchen gesehen? Unsere neue Praktikantin. Wo zur Hölle steckt sie?'"Ich habe sie seit unserem letzten Zusammentreffen nicht gesehen, Sir."
"Verdammt", fluchend legte der Kerl seine kräftigen, mit Adern und Venen überzogenen Hände in den Nacken, ließ seine Blicke voller Gedankendrang schweifen und erblickte plötzlich eine junge Dame. Ihr weißblondes Haar stach ihm ins Auge, ihr Markenzeichen. Kindsey. Ihre zierliche Hand öffnete entschlossen den Hauptausgang. "Bleiben sie hier.", rief eine tiefe Stimme befehlerisch durch das erste Stockwerk. Kilians Stimme. Jedoch änderte jene offensichtlich nichts an Kindseys vorhaben. Schwungvoll glitt die Türe auf, wobei einige Fenster des Gebäudes allmählich zerbersteten. Hunderte kleine Glassplitter schossen nun in jegliche Büros, Projektsäle und Warteräume. Panik brach aus. Pures Entsetzen.
Eine Kurzschlussreaktion. Eine Reaktion, die in einer Kurzschlusshandlung besteht. Meist begleitet durch starke, meist kurz andauernde Emotionen.
Emotionen. Hiervon wurde Kilian reichlich überschwemmt. Panik, Angst, Unbeschlossenheit. Wie man sein akutes Handeln beschreiben hätte können? Definitiv eine Kurzschlussreaktion. Eine verdammte Kurzschlussreaktion. Ohne auch nur Gedanken ans Zögern zu verschwenden, steuerte er entschlossen die bereits etwas beschädigte Türe des Ausganges an, wobei er durch das Rufen einiger Mitarbeiter sofort große Aufmerksamkeit auf sich lenkte. So auch die verängstigten Blicke der gerade eben erst erschienenen Marley. Völlig verschreckt schlägt sie eine ihrer zierlichen Hände vor ihren leicht geöffneten Mund, wobei sie versucht den Geschäftsführer einzuholen, um ihn von jener Tat aufzuhalten, doch Claire hielt sie entschlossen zurück. "Mr. Harrington, was zur Hölle machen Sie da?! Wir müssen sofort in den Keller. Alle. Wir wissen weder ob das Gebäude noch standhält noch wie lange es das tut. Kommen sie sofort wieder her." Eine kurze Pause sorgte für eine recht dramatische Atmosphäre. Es schien, als hätte Marley eine ganz besondere Bedeutung auf ihre folgenden Worte legen wollen. "Bitte" Ihre Stimme glich nun nicht mehr als ein Flüstern, ein Hauchen. Ihr lag wohl mehr als Kilian, als jener er sich je vorstellen hätte können.
"Wir sind für sie verantwortlich, außerdem- verdammt ich werde sie bloß schnell zurückholen, danach werde ich mit ihr zurück in den Keller. Marley und Claire, geht schon mal mit all den Anderen vor. Ich werde wiederkommen. Versprochen.", mit jenen Worten riss er die Türe komplett auf, wobei er sich kaum am Boden halten konnte. Es war nicht zu leugnen, dass der Sturm von Sekunde zu Sekunde an Geschwindigkeit zunahm. An der nächstbesten Straßenlaterne fand er halt, wonach er sich zügig nach Kindsey umsah, jene versuchte mit Gewalt die Tür des naheliegenden Restaurants zu öffnen. Das Kind und seine tote Mutter? Verschwunden. Zurück blieb eine Blutlache, die tiefrote Substanz floss in all die Rillen des rissigen Asphalts. "Auf die andere Straßenseite. Ich muss auf die andere Straßenseite, verdammt." Kindsey schien Kilian noch immer nicht bemerkt zu haben, erst als sie von einem enormen Windstoß an die gläserne Wand des Restaurants knallte, blickte sie geradewegs in die Augen des Anderen. Die Horde innerhalb des Pubs kreischte aufgeregt auf, als sich aufgrund des starken Aufpralls Risse über das Glas zogen. Zu diesem Zeitpunkt wagte der Geschäftsmann das Undenkbare. Mit einem Male sprintet er los, wurde jedoch durch den Wind abgelenkt und knallte einige Meter entfernt von Kindsey an eine Modeboutique. Zumindest befand er sich nun auf der anderen Straßenseite. Er wusste, es wäre unmöglich gegen den Sturm anzukämpfen. Da er also nicht zu Kindsey konnte, musste sie zu ihm. "Lass los!" Aufgrund des dumpfen Pfeiffens des mörderischen Sturms musste Kilian lauthals brüllen.
"Nein. Nein ich werde ganz bestimmt nicht loslassen." kreischte sie verängstigt. Kindseys weißblondes, für gewöhnlich wunderschönes Haar klebte nun an ihrem von Tränen überströmten Gesicht. Wie gelähmt klammerte sie sich an den Henkel der Türe des Restaurants.
"Verdammt Kindsey, lass los. Ich fange dich auf. Wir müssen hier weg. Sofort."
Sollte Kindsey wirklich einer völlig fremden Person vertrauen? Nun, sie hatte schließlich keine andere Wahl. Allmählich begann sie ihren Griff zu lockern, dabei kniff sie ihre Augen zu dünne Schlitze zusammen.
Sie fiel. Vom Winde getragen schwebte sie für einige Sekunden, fiel zum Opfer der Schwerelosigkeit, ehe sie auf den kräftigen Körper Kilians prallte. Jener packte sie mit einer Hand an ihrer Taille, mit der anderen hielt er sich an einer Straßenlaterne fest. "Hab dich." keuchte er erschöpft. Kindseys tränenunterlaufenden Augen blickten nun in jene des Geschäftsführers. Ihr Gesicht, pure Verzweiflung. Kilian betrachtete sie direkt sowie intensiv, als wären seine nächsten Worte die wichtigsten in jenem Moment.
"Wir müssen hier weg."
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Keeper & Camper
Teen Fiction"Verdammt warum tust du das?" Kilians berühmt berüchtigte, tiefe, raue Stimme bewies sich in jenen Sekunden als nichts weiter außer ein schwaches Flüstern, welches zwischen seinen unverschämt vollen Lippen hervordrang. Sein Gegenüber? Kindsey. Lange...