3. Sicherer Unterschlupf

40 4 0
                                    

Kindsey nickte eilig, wobei sie kaum hörbar flüsterte. "Hier weg, ja. Wir müssen auf jeden Fall hier weg."

Kilians Blicke, bestehend aus zwei merkwürdig pigmentierten Augen, huschten wild umher, bis sie eine schmale Gasse fixierten, welche sich unmittelbar gegenüber, gleich neben jenem Restaurant befand, in welchem einige Touristen verängstigt mit fieberten. Einige kauerten noch immer zitternd unter den Tischen, wobei Andere wiederum hektisch die Risse im Glas betrachteten, als hätten sie bereits gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es in tausend kleine Stücke zerspringen wird und sie der gnadenlosen Naturkatastrophe ausgeliefert werden sein.

'Hier rüber.' Drang es unwiederbringlich rau zwischen den wohlgesonnen vollen Lippen des Geschäftsführers hervor, natürlich schwang ein befehlerischer Unterton in seiner tiefen, rauen Stimme mit. Recht unsanft schlossen sich seine kräftigen Finger um Kindseys Handgelenk, ehe er der jungen Frau eindringlich in die verheulten, rot unterlaufenden Augen blickte. 'Auf 3, hörst du?'

Sie nickte verängstigt, völlig weggetreten.

'1.. 2.. ' Auf letztere Zahl sprintete er los, mit Kindsey im Schlepptau. Dabei bog er mit Absicht scharf rechts ab, denn der Wind würde ohnehin gegenwirken und die beiden schnellstens in die andere Richtung befördern. So und nicht anders geschah es. Mit einer unvorhersehbaren Wucht wurden die beiden an die stählernd harte Wand dieses Gebäudes geschmettert, welches mit einigen anderen Häusern eine schmale Spalte bildete. Am Ende dieser dunklen Gasse? Eine Treppe, welche zu einer verrosteten, einsamen Tür führte. Gezielt lief er auf diese zu, wobei er Kindsey mitzog und die Stiegen hinunterstürzte bloß um das Tor einzutreten, ohne dabei zu berücksichtigen was sich dahinter überhaupt befindet. Hektisch sah er sich darin angekommen um, wonach er ziemlich schnell ein herabgekommenes Regal fixierte. "Kindsey. Schieb das vor die Tür!", befahl er der jungen Frau, welche sich mittlerweile zusammengekauert am Boden dieses karg eingerichteten Raumes befand. Sie rührte sich kein Stück. "Verdammt", fluchte Kilian, wobei er mit Nachdruck rief: "Schieb das verdammte Teil vor die Tür!" Natürlich beabsichtigte er nicht, seine Praktikantin so zu behandeln. Dennoch befanden sich die Beiden in Gefahr und er konnte schließlich nicht alles allein händeln. Konnte er Kindsey eigentlich noch als seine Praktikantin bezeichnen? Warum kehrte er direkt nach seiner heldenhaften Rettungsaktion nicht wieder zu den anderen zurück? Zu seiner Firma? Zu seiner Existenz?

Quatsch. Das konnte er nicht. Der Weg auf die andere Straßenseite wäre viel zu riskant gewesen, so hätte er nicht nur sich selbst, sondern auch Kindsey in große Gefahr gebracht.

Moment... war Kindseys Rettung nicht schon Risiko genug? Hätte er bei den Anderen bleiben sollen? Bei all seinen treuen Mitarbeitern? Bei Claire? Bei Marley? Er hatte den Schmerz in ihren Augen sehen können und doch öffnete er die schwere Tür um ein Menschenleben das von Hunderten vorzuziehen. Warum hatte er Kindsey überhaupt gerettet? Warum hatte er das getan? Vermutlich wegen ihrer funkelnden Augen, dieses ehrliche Lachen. Ihr weißblondes, wunderschönes Haar. Hin und wieder hing es ihr in Form von dünnen Strähnen ins Gesicht, streifte ihre zarten Wangen, ihre von Sommersprossen übersehene Stupsnase. Doch so lange kannte er sie doch gar nicht. Was zum Teufel hatte er bloß angestellt.

Versunken in all seinen Gedanken schien er in keinster Weise zu bemerken, dass sich Kindsey mittlerweile aufgerappelt hatte um das schwere, hölzerne, völlig vollgestellte Regal zu packen und es vor Erschöpfung stöhnend vor die klappernde Tür zu ziehen. Auf dem Weg dorthin fielen einige Töpfe und Pfannen klirrend zu Boden. Auch ein Dutzend Teller konnten sich nicht länger halten, so zerschmetterten jene auf dem kühlen Betonboden und zerbrachen jämmerlich in viele, kleine Scherben. Trotzig wies sie Kilian darauf hin Platz zu machen, um das Teil endgültig vor den Eingang zu stellen. Hiernach stellte sie sich nah vor den Großgewachsenen, wonach sie verärgert knurrte: "Schrei mich nie wieder so an. Nie wieder." Der Kerl hob nun selbstgefällig eine seiner beiden, beinahe perfekt geschwungenen Brauen. "Bitte? Ich habe Ihnen bloß einen Befehl erteilt. Außerhalb meiner Firma sind Sie zwar nicht unbedingt verpflichtet meinen Anweisungen zu folgen, trotzdem sollten zwei der Gefahr ausgesetzten Menschen in einer solchen kritischen Situation zusammenhalten. Finden Sie nicht auch? Warten wir, bis dieser Sturm hier vorbei ist. Wir müssen dringend zu den Anderen. Ich hoffe außer der Fenster sind nicht noch mehr Sachen kaputt gegangen."

Völlig aus der Bahn gezogen blickte sie ihn an. "Zu ihrer Firma? Ist das ihr ernst?" Ein hohes, beinahe hysterisches Lachen drang zwischen ihren Lippen hervor. Wonach sie theatralisch ihre Hände hob. "Hallo, willkommen in der Realität. Ihre Firma dort drüben wird gerade kurz und klein geschlagen, die ganze verdammte Stadt wird gerade verwüstet und du sprichst von Anweisungen und Befehlen?"

Kopfschüttelnd wendete sie sich ab um sich hier etwas umzusehen. Schließlich wusste sie immer noch nichtmals ansatzweise wo sie hier denn überhaupt gelandet waren. Während ihrer Erkundungstour wendete sie sich erneut an Kilian, ohne ihn dabei anzusehen. Jedoch war sie sich ziemlich sicher, dass er sich angesprochen fühlen würde. Letztendlich befanden sich nicht mehr als zwei Leute in diesem Raum. "Süß, wie du versuchst die ganze Sache runterzuschrauben. Denkst du, wenn wir, wann auch immer das alles hier vorbei sein wird, locker fröhlich rausspazieren? Du mit deinem hübschen Anzug zur Arbeit fährst und dich weiterhin mit deiner Rezeptionistin vergnügen wirst? Falsch gedacht. Dieser verdammte Sturm wird nichts mehr, absolut nichts mehr von dieser Stadt übriglassen." Nach diesen Worten amtetet sie erstmals tief durch. Es schien, als hätte sie erstmals losgeworden, was sich alles in ihr angestaut hatte.

Kilian stieß sich locker von der kühlen Wand ab. "Danke, dass du mich gerettet hast." brummt er recht ironisch, wonach auch er beginnt sich allmählich umzusehen. "Sieht wohl so aus, als wären wir in das Nest eines Obdachlosen getreten."

Am anderen Ende dieses Raumes befand sich ein klappriges Bettgestell, mitsamt einer schwammigen Matratze und vielen, schmutzigen Decken. Rechts in der Ecke stand ein waschechtes Tixiklo, gleich daneben ein Elektroherd und ein altes, verstaubtes Radio. Als Kühlschrank sollte wohl ein kleines Schränklein aus Buchenholz dienen, jenes mit Schrauben an der Wand befestigt wurde. Das wohl interessanteste in diesem Zimmer, wenn man es denn so nennen wollte, war eine weiße Leinwand befestigt an einem kleinen Gestell an der rechten Seite der Räumlichkeit. Vielerlei Farbeimer und billige Borstenpinsel schmückten den kahlen Boden. "Seine Kunst reichte wohl nicht aus." meinte Kilian, wobei er aus versehen in eine rote Farblache trat.

"Wenigstens konnte er seine Leidenschaft ausleben." Kindsey starrte auf die rote Farbe, als würde sie eine Art Erinnerung in ihr hervorrufen. Kilian verstand sofort.

"Man konnte ihr nicht mehr helfen." Seine klaren, blau pigmentierten, froschgrün gesprenkelten Augen sahen in ihre Richtung, worauf ein tiefes Seufzen seine Kehle verließ. "Du konntest ihr nicht mehr helfen. Sie verlor zu viel Blut."

Kindseys traurige Augen sahen zu Kilian auf. "Es war grausam. Der arme Junge musste seiner Mutter beim Sterben zusehen."

"Ich weiß. Wir alle konnten das nicht wissen und haben es nicht kommen sehen." Die junge Frau sah niedergeschmettert aus. Er hätte sie gern in den Arm genommen und ihr ein wenig Last von der Schulter gestohlen, dennoch wusste er nicht, ob das der richtige Moment dafür war. Stattessen kam er zu ihr, stellte sich hinter sie und betrachtete aus ihren Winkel das Nest des nun vermutlich verstorbenen, obdachlosen Künstlers. "Ich hoffe dir gefällt was du siehst. Hier werden wir erstmals so lange bleiben, bis der ganze Mist dort draußen vorbei sein wird."

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 14, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Keeper & CamperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt