Klassische Aufmerksamkeitsforschung

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Ein wichtiger Bestandteil der Psychologie ist die Aufmerksamkeitsforschung. Aufmerksamkeit ist kein einheitliches Phänomen. Man unterscheidet drei verschiedene Formen der Aufmerksamkeit:

- Selektive Aufmerksamkeit: Auswahl handlungsrelevanter Informationen, Zurückweisung von handlungsirrelevanter Informationen.

- Geteilte Aufmerksamkeit: Koordination der gleichzeitigen Bearbeitung von zwei oder mehr Aufgaben.

- Dauer-Aufmerksamkeit (Vigilanz): Ausschau nach seltenen, aber wichtigen Ereignissen über einen längeren Zeitraum.

Zunächst beschäftigen wir uns mit der selektiven Aufmerksamkeit. Hier müssen wir zwei wichtige Aspekte unterscheiden. Einmal gibt es die offene vs. verdeckte Selektion. Bei der offenen Selektion orientiert man seine Sinnesorgane auf bestimmte Umweltbereiche. Bei der verdeckten selegiert man einen Ausschnitt der Rezeptoroberfläche. So handelt es sich um eine offene Selektion, wenn man seinen Kopf bewegt, um einen bestimmten Bereich anzuschauen, aber um verdeckte Selektion, wenn man sich auf einen bestimmten Bereich konzentriert, ohne die Augen oder den Kopf dabei zu bewegen. Dann gibt es noch die willkürliche vs. unwillkürliche Selektion. Willkürlich bedeutet, dass man seine Aufmerksamkeit absichtlich und bewusst auf etwas richtet. Es handelt sich hierbei um eine top-down, also eine konzeptgesteuerte Verarbeitung. Bei der unwillkürlichen Selektion, richtet man seine Aufmerksamkeit unfreiwillig auf einen Reiz. Dies geschieht nach der bottom-up, der datengesteuerten Verarbeitung. Der Umweltreiz zieht die Aufmerksamkeit auf sich.

Wann findet Selektion statt? Früh oder spät?

Informationsverarbeitung der Wahrgenommenen Reizen erfolgt in einer Serie von Stufen. Zunächst (Stufe 1) muss der Reiz entdeckt werden, dann werden (Stufe 2) die physikalischen Merkmale verarbeitet, danach (Stufe 3) die phonologischen, dann (Stufe 4) die semantischen und dann wird (Stufe 5) eine Reaktion ausgewählt und (Stufe 6) ausgeführt. Wissenschaftler interessiert, wann selegiert wird, welche Reize wir bewusst wahrnehmen oder nicht. Dazu wurden sehr viele Experimente durchgeführt.

Eine Methode der frühen Aufmerksamkeitsforschung ist die Methode des dichotischen Hörens. Dabei bekommen die Versuchspersonen Kopfhörer aufgesetzt und sollen eine Nachricht verfolgen und nachsprechen. Der Versuchsleiter beobachtet, wie gut dies der Versuchsperson gelingt. Das nennt man Beschatten. Mit dieser Methode findet man heraus, wie gut zwei gleichzeitig auftretende Nachrichten verstanden werden können bzw. wie gut Menschen sich auf eine von mehreren auftretenden Nachrichten konzentrieren können.

Colin Cherry (1953): Wenn die Versuchspersonen auf einem Ohr zwei Nachrichten erhalten, haben sie Probleme, einer Nachricht zu folgen. Erhalten sie pro Ohr eine Nachricht, können sie eine Nachricht verfolgen und verstehen. Von der anderen Nachricht werden höchstens physikalische Merkmale behalten. Dies spricht für eine frühe Selektion.

Donald Broadbent (1954):  "Split-Span"-Aufgabe; Darbietung von Zahlenfolgen je Ohr. Die Botschaften können nicht gleichzeitig (parallel) verarbeitet. Sie werden seriell verarbeitet.

Broadbents Filtermodell: Anhand mehrerer Experiemente stellte Broadbent das Filtermodell vor, in dem er von einer frühen Selektion ausging. In diesem Modell findet die Selektion über physikalische Merkmale statt. Er besagt, dass Selektion dem "Alles-oder-Nichts"-Prinzip folgt. Es gibt quasi einen Filter, durch den nur bestimmte Reize durchkommen und er Rest wird ignoriert. Jedoch gab es Befunde, die gegen dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip verstießen.

Moray (1959): Versuchspersonen bemerkten ihren Namen auf dem irrelevanten Kanal -> Bedeutsame Reize durchbrechen den Filter?

Treisman: Wechseln sinnvolle Nachrichten zwischen zwei Kanälen hin und her, dann gehen die Versuchspersonen ein paar Wörter auf dem irrelevanten Kanal mit. -> Widerspricht Broadbents Filtermodell.

Treismans Abschwächungsmodell: Treisman geht in seinem Modell ebenfalls von einer frühen Selektion aus, jedoch einer Selektion nach dem "Mehr-oder-Weniger"-Prinzip. Die Identifikation entsteht durch der Zusammenarbeit von reizgetriebener (bottom-up) und erwartungsgetriebener (top-down) Verarbeitung. Irrelevante Nachrichten werden bloß abgeschwächt, statt ausgeblendet. Dies erklärt, wieso persönlich relevante Nachrichten wahrgenommen werden: Diese haben im Speicher eine dauerhafte höhere Voraktivierung (Priming) und es kommt zur unwillkürlichen Selektion. Wechseln sinnvolle Nachrichten zwischen zwei Kanälen, verfolgt man die Nachricht aufgrund des kurzfristigen Priming-Effektes.

Von einer späteren Selektion gehen die Psychologen Deutsch und Deutsch aus. Sie nehmen an, dass alle Reize semantisch analysiert werden und dann anhand dieser semantischen Analyse die Relevanz des Reizes bestimmt wird.

Bis heute ist man sich nicht ganz sicher, ob die Selektion früh oder spät geschieht, weshalb es wahrscheinlich ist, dass Selektion flexibel sein könnte (Flankier-Reiz-Aufgabe). Dies wirft die Frage auf: Welche Faktoren beeinflussen den Ort der Selektion? Lavie geht davon aus, dass die Menge an perzeptueller Information den Ort der Selektion bestimmt. Bei niedriger perzeptueller Belastung kommt es zur späten Selektion und bei einer hohen perzeptuellen Belastung wird früh selegiert.

Die meisten Psychologen gehen davon aus, dass Selektion notwendig ist,  da es eine begrenzte Kapazität der Informationsverarbeitung gibt. Dieser Annahme steht Allport entgegen. Er präsentiert "Selection for Action": Selektive Aufmerksamkeit stellt die Informationen zur Verfügung, die zur Realisierung der aktuellen Absicht notwendig ist.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine zentrale Funktion der Aufmerksamkeit in der Auswahl (Selektion) von Informationen für die Verarbeitung besteht. Selektion kann willkürlich (intentional) oder unwillkürlich (vom Reiz gesteuert) sein, wie auf einer Cocktail-Party. Die frühe Aufmerksamkeitsforschung wendete häufig die Methode des dichotischen Hörens und Beschatten an. Empirische Daten zeigen, dass die selektive Aufmerksamkeit nach dem Mehr-oder-Weniger-Prinzip arbeitet. Außerdem kann Selektion im Prozess der Informationsverarbeitung mal früh und mal spät erfolgen. Die meisten frühen Daten lassen sich gut durch das Abschwächungsmodell von Treisman erklären.

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