Kapitel 1

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*Überarbeitet*

Liva

Es ist lange her, viel zu lange. Freeridge hatte sich auf den ersten Blick nicht verändert – aber das hatte ich auch nicht erwartet. Obwohl ich nur knapp eine Stunde mit dem Auto entfernt wohne, war ich seit über zwei Jahren nicht mehr hier. Ich arbeite viel, zumindest war das die Ausrede, die ich mir selbst eingeredet hatte, um nicht herkommen zu müssen. Es ist nicht so, dass ich meine Familie nicht gerne besuche, doch ich war mehr als froh, aus diesem Loch herausgekommen zu sein. Nachdem meine Eltern zurück nach Spanien gezogen waren, hatte ich keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Außerdem hatte ich mit dem Modeln angefangen, was meine Chance war, endlich zu entkommen.

Ich sah den Wagen meiner Eltern schon vor dem Haus meiner Tante parken und steuerte mein Auto darauf zu. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann stieg ich aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich zur Wohnungstür, die schon geöffnet wurde, bevor ich klingeln konnte. „Mi hija está aquí!" [„Meine Tochter ist hier!"], rief meine Mutter fast schon laut, und ich konnte nicht anders, als zu lachen. „Mamá", brachte ich hervor, und sie zog mich sofort in eine sanfte Umarmung. Sie führte mich ins Haus, und dort sah ich alle sitzen. Und erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wie sehr ich sie alle vermisst hatte. Am liebsten hätte ich mir selbst eine Ohrfeige gegeben, dass ich nicht schon früher hergekommen war.
„Schaut euch das an, wie schön sie geworden ist", sagte meine Tante und kam auf mich zu. Sie zog mich ebenfalls in eine Umarmung, genau wie mein Vater und die anderen. Zuletzt begrüßte mich Ruby. „Du bist fast ein Mann geworden." Tränen stiegen mir in die Augen, als wir uns umarmten. Ruby war immer wie meine bessere Hälfte, und ihn hatte ich am meisten vermisst.
„Ich bin schon ein Mann, meinst du?" Grinsend drehte er sich einmal im Kreis, was auch mich zum Lachen brachte. „Ich hab euch alle so vermisst."

Wir hatten vor ein paar Stunden gegessen, und ich wurde über meinen Job ausgefragt, vor allem von Ruby. Doch der Abend neigte sich langsam dem Ende zu. „Ich treffe mich noch mit den anderen an der Ecke", sagte mein Cousin und stand auf, was ich ihm gleich tat. „Ich fahre dich, es ist schon spät", sagte ich. Ich verabschiedete mich von allen, und wir gingen nach draußen zu meinem Wagen. „Ist das ein Geländewagen?!" Ruby strich mit Staunen über die Felgen. Stolz nickte ich und wir stiegen ein.
„Wie viel hat der gekostet?" fragte er neugierig, was mich zum Grinsen brachte. „Um die 200.000 Dollar." Er hielt sich die Hand ans Herz und stieß einen kleinen Schrei aus.
„Wie geht es den anderen?", fragte ich und bog in eine Seitenstraße ab. „Das kannst du sie gleich selber fragen. Aber César ist bei den Santos."
„Wie bitte?" Ein entsetzter Blick huschte über mein Gesicht. „César ist bei den Santos?" In meinem Kopf tauchte plötzlich ein Bild auf, das ich längst verdrängt hatte, und mein Magen zog sich zusammen. Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir auf, und ich hatte das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben.
Ich hielt vor dem Laden von Jamals Vater, der dort gerade arbeitete. Als ich sah, dass er beschäftigt war, stieg ich aus, doch zwei Gestalten traten in mein Blickfeld.
„Liva?" Ruby und ich gingen auf sie zu, und Monse zog mich sofort in eine Umarmung. Ich hatte damals oft auf sie aufgepasst. Jamal musterte mich, dann grinste er und zog mich ebenfalls in seine Arme. „Ruby hatte gesagt, dass du vorbeikommst", sagte Jamal, und ich warf einen Blick auf meinen Cousin, der den Blick abwandte. Wir unterhielten uns kurz, bevor ich beschloss, Jamals Vater Hallo zu sagen.
„Mr. Turner", grinste ich, und es dauerte einen Moment, bis er mich erkannte. Dann zog er mich in eine der vielen Umarmungen, die an diesem Tag schon fast zur Gewohnheit geworden waren. „Wie geht's dir, meine Kleine?" fragte er mit einem Lächeln, und ich antwortete wie immer, dass es mir nie besser ging. Wir unterhielten uns über sein Geschäft und wie es mir in New York erging. Es tat so gut, alle wiederzusehen. Als ich mich schließlich verabschiedete, versprach ich, die nächsten Tage mal zum Essen vorbeizukommen.
Wieder draußen, fiel mein Blick auf César, der gerade aus einem roten Chevrolet Impala stieg. Als ich die Person am Steuer bemerkte, schnürte sich mein Magen erneut zusammen. Unsere Blicke trafen sich für einen Moment, und ich dachte, einen Funken Freude in seinen Augen gesehen zu haben. Doch ich fing mich schnell wieder und begrüßte César, bevor ich ihm in den Arm zwickte.
„Ich habe gehört, du bist bei den Santos?" Ich betrachtete ihn mit einem schiefen Blick. Er wollte etwas sagen, lachte dann jedoch nur verlegen.
„Pass aber auf dich auf, kleiner", sagte ich und er nickte. Ich verabschiedete mich von allen und meinte, sie sollten mich anrufen, wenn sie nach Hause wollten. Nachdem sie verschwunden waren, drehte ich mich um und ging zu meinem Wagen. Es war seltsam, alle wiederzusehen. Sie waren alle so groß geworden.

Ich fuhr zu dem Motel, das ich mir ausgesucht hatte. Nachdem ich den Schlüssel für mein Zimmer abgeholt hatte, ging ich zurück zu meinem Wagen, um meinen Koffer zu holen. Doch ich hielt inne, als ich den roten Impala erneut sah. Ich schloss mein Auto ab und wollte gerade zum Motel gehen, als er ausstieg. Ich konnte nicht anders, als ihn zu mustern, und er tat das Gleiche. Sein Hemd war bis oben zugeknöpft und hing locker über seiner Baggy-Hose. Mit hochgezogener Augenbraue stand er vor mir, mittlerweile mindestens einen Kopf größer als ich.
„Du bist wieder da", sagte er mit der gleichen Stimme wie früher, die sich kaum verändert hatte. Aber ich hatte sie nie vergessen. Wie könnte ich auch.
„Nur für ein paar Tage", antwortete ich, und er nickte. Ohne ein weiteres Wort nahm er meinen Koffer und ging voran. Ich folgte ihm für einen kurzen Moment, bis ich ihn einholte und ihm das Zimmer zeigte. „Du fährst eine dicke Karre und wohnst in einem schäbigen Motel", sagte er belustigt, während er sich im Zimmer umsah. Dann setzte er sich auf das Bett. „Ach was, erinnert mich ein bisschen an dein Kinderzimmer damals", gab ich zurück, und er konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.
Ich setzte mich neben ihn, und wir schwiegen für eine Weile.
„Es ist schön, dich wiederzusehen", brach er schließlich die Stille, und ich wünschte, ich könnte ihm dasselbe sagen.

Er nahm mein Schweigen wohl als Antwort, denn er stand auf und rieb sich mit der flachen Hand über sein Gesicht, bevor er mich noch einmal kurz ansah und eilig mein Zimmer verließ.

You have my Heart // OSCAR DÍAZ : On My Block Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt