Kapitel 7

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* Überarbeitet *

Oscar

Es war mittlerweile schon fast zwei Wochen her, seit Liva zu ihrer Familie gefahren war. Zwei Wochen, die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlten. Die Zeit zog sich endlos hin, und jeder Tag schien sich in den nächsten zu schleifen. Ich hatte aufgehört, ihr zu schreiben. Ich war kein Hund, der hinter jemandem herläuft. Sie wusste, dass ich sie hätte kontaktieren wollen. Was sie daraus machte, war ihre Sache. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich immer wieder auf ihr Instagram-Profil starrte, in der Hoffnung, dass sie etwas Neues gepostet hatte. Und ehrlich gesagt, fühlte ich mich dabei mittlerweile ziemlich dumm. Als mir die Jungs erzählt hatten, dass sie vor der Tür gestanden hatte, und anscheinend ein Gespräch mitgehört hatte, bevor sie wütend in ihr Auto gestiegen war, hatte ich lange darüber nachgedacht, was das gewesen sein könnte. Aber ich kam einfach nicht drauf. Was hatte ich gesagt, das sie verletzen konnte? Eigentlich nichts. Oder?
Ich nahm das Gras aus dem Beifahrerfach und stieg aus, als ich bei Alonzo ankam. Die Tür war offen, also ging ich einfach rein. Im Wohnzimmer fand ich Julia, die völlig entspannt auf der Couch lag und TV schaute. Sie und Alonzo waren mittlerweile seit fast einem Jahr zusammen. Bei den beiden lief es gut – jedenfalls schien es so. Aber Julia war auch eine „Ghetto-Braut" – sie wusste, was sie wollte und wusste, wie sie sich durchsetzte. „Was geht?", fragte ich, als ich mich zu ihr setzte und begann, einen Joint zu drehen. „Nicht viel, was gibt's Neues bei dir?", fragte sie, während sie sich richtig hinsetzte und Alonzo den Raum betrat. Ich begrüßte ihn, während er mir ein Feuerzeug reichte.
„Nichts, warum sollte auch?", brummte ich, zündete den Joint an und lehnte mich entspannt zurück. Ich legte die Füße auf den Tisch und ließ den Rauch tief in meine Lungen strömen, bevor ich ihn wieder ausatmete. Die Unterhaltung drehte sich schnell ums Geschäft, während Julia desinteressiert auf ihrem Handy herumspielte. Doch plötzlich sprang sie auf.
„Liva ruft per FaceTime an!", sagte sie aufgeregt. Alonzo nickte nur und sagte, sie soll ran gehen. Er setzte sich näher an sie und blickte mich dann an, während er mir den Finger auf die Lippen legte. Ich wusste, dass er es nur gut meinte, also schwieg ich und wartete. „Hey, was geht ab, Süße?", hörte ich Julia in den Bildschirm rufen, während sie sich an Alonzo lehnte. „Nicht viel, bin gerade nach Hause gekommen", antwortete Liva. „War gerade Jetski fahren, hab ein paar Bilder gemacht. Dachte, ich ruf mal durch."
„Bist du bei Alonzo?", fragte Liva plötzlich. Julia nickte. „Ist Oscar auch da?"
„Nein, ist er nicht", antwortet sie, während ich den Kopf schüttelte. Es war einen Moment still, bevor Liva sich nach meinem Wohlbefinden erkundigte. „Wie geht's ihm?", mein Herz macht einen kleinen Sprung. „Du kennst Oscar", antwortete Julia schulterzuckend. „Er tut so, als wäre alles okay." Ich merkte, wie mich diese Worte doch irgendwie trafen. Natürlich war es alles okay. Und trotzdem fühlte es sich nicht so an. Die Stille zog sich wieder in den Raum, bis Julia eine Frage stellte, die den Moment durchbrach. „Liebst du ihn?", fragte sie plötzlich, so direkt, dass sowohl Alonzo als auch ich uns verwundert ansahen. Ich wusste sofort, was die Antwort war – und dennoch wollte ich sie nicht hören. Liva schien nach Worten zu suchen. „Es ist kompliziert.", gab sie schließlich zu, ihre Stimme klang brüchig, als ob sie sich selbst nicht ganz sicher war, ob sie das wirklich aussprechen wollte. „Ich hasse ihn dafür, dass er damals den Santos beigetreten ist und alles, was wir hatten, zerstört hat. Ich hasse ihn für all die Lügen, die er mir erzählt hat, für all die falschen Versprechungen. Und vor allem hasse ich ihn dafür, dass er mich dazu gebracht hat, wieder Hoffnung in uns zu setzen, obwohl ich eigentlich wusste, dass es keine Chance mehr für uns gibt." Sie atmete tief ein, als würde es ihr schwerfallen, die Worte weiter auszusprechen, doch sie zwang sich, fortzufahren. „Ich wünschte, ich könnte ihm einfach vergeben. Aber ich kann es nicht. Ich hasse ihn, weil er mich in diese verdammte Situation gebracht hat. Er hat mich immer wieder dazu gebracht, an uns zu glauben." Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht – härter, als ich je zugeben würde. Jeder Satz schien tief aus ihrem Inneren zu kommen, ein Bekenntnis von Schmerz und Enttäuschung, das sie sich wohl lange nicht getraut hatte, laut auszusprechen. Es war, als würde sie sich selbst entblößen, und mit jedem Wort spürte ich den wachsenden Schmerz, der sich wie ein unsichtbares Band zwischen uns spannte. Ich hatte das Gefühl, als ob mein Herz aus meiner Brust herausbrechen würde. Die Wucht ihrer Worte traf mich, als hätte sie einen dunklen Teil in mir angestoßen, den ich selbst verdrängt hatte. „Aber am meisten...", setzte sie an, schluckt schwer. „Am meisten hasse ich ihn dafür, dass ich ihn nach all dieser Zeit immer noch nicht einfach abschreiben kann. Dass mein Herz immer noch nach ihm schreit, als wäre nichts geschehen. Dass ich immer noch auf irgendeine verdrehte Weise... auf ihn hoffe. Und das ist das, was mich am meisten zerstört. Dieses Gefühl, dass ich nie wirklich loslassen kann."
Ich starrte fassungslos auf die Rückseite des Handys, auf das, was sie ihnen gerade anvertraut hatte. Jeder Satz, den sie sprach, schnürte mir die Kehle zu. Die Worte, die sie für mich gewählt hatte, trafen wie ein gut platzierter Schlag ins Gesicht, und ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug, als würde es aus meiner Brust herauswollen. Meine beiden Freunde, die gegenüber von mir sitzen, gaben natürlich nichts von dem mit, was in meinem Inneren vorging. Sie hatten keine Ahnung, wie sehr mich ihre Worte trafen, wie sehr sie mich in diesem Moment aus der Bahn warfen. Sie sahen mich an, als wüssten sie nicht, was zu sagen war, während ich das Gefühl hatte, dass alles um mich herum stillstand. Der Raum, die Geräusche, alles schien zu verschwimmen, als ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wollte ihr antworten, wollte irgendetwas sagen, das uns aus diesem Moment herausführen würde, aber die Worte blieben mir im Hals stecken.
Ich drückte Alonzo den Joint in die Hand und stand auf. Ein Plan formte sich in meinem Kopf, ein verrückter Plan. Ich hatte genug von diesem Hin und Her, genug von der Ungewissheit. „Ich gehe.", forme ich mit meinen Lippen, während ich die Wohnung verließ und in meinen Wagen stieg. Nebenbei rief ich Cesar an.
„Bist du mit Ruby?", fragte ich direkt, als er ans Telefon ging. „Ja", antwortete er, ohne zu zögern.
„Gib mir Ruby. Jetzt." Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich das leise Getuschel hörte, bevor er Ruby ans Telefon gab. „Hör mir zu", zischte ich ins Telefon. „Du schickst mir jetzt die Adresse deiner Cousine. Und sag ihr nichts."
„Was?", kam es verwirrt von Ruben, aber ich legte einfach auf. Ich fuhr in Richtung New York, mein Herz pochte bei dem Gedanken, was gleich passieren würde. Ich hatte keine Ahnung, was mich da erwartete. Aber das war mir egal. Ich muss ihr in die Augen schauen.

You have my Heart // OSCAR DÍAZ : On My Block Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt