Mir wurde sofort langweilig. Und wenn mir langweilig wurde - was nicht mehr so oft vorkam, seit ich vor meinem Vater floh - spielte ich immer an einem meiner Messer herum. Heute war ich schlaue Göttin so sehr in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht merkte, wie ich mir einmal mit der scharfen, bronzenen Klinge über die Fingerkuppe schnitt. Ich fluchte leise, als ein Tropfen goldenes Ichor aus der Wunde floss. Wie peinlich - sowas war mir noch nie passiert.
Ohne Nachzudenken, wischte ich das göttliche Blut an meiner Jeans ab. Im nächsten Moment bereute ich es. Jetzt würde Ares auf alle Fälle sehen, dass ich mich geschnitten hatte und sich bestimmt herzhaft darüber lustig machen. Mein Blick verdüsterte sich. Ich sollte endlich aufhören, spontan zu handeln. Dann würde ich auch jetzt nicht in dieser blöden Situation stecken, mit Ares in seinem Bunker eingesperrt. Vielleicht sollte ich abhauen. Alleine war ich stärker und Zeus würde es schwerer haben, mich zu schnappen. Hier bestand immer die Gefahr, dass der Kriegsgott es sich doch nochmal anders überlegte und mich ihm auslieferte. Ich konnte niemandem vertrauen. Jeder könnte für meinen Vater arbeiten. Und er hatte viele Verbündete und Gehilfen. Deswegen war es auch nur eine Frage der Zeit, bis er mich irgendwann in die Finger kriegen würde, aber ich konnte es lange hinauszögern - mit etwas Glück sogar ein paar Jahrzehnte -, aber zu welchem Preis? Das Leben auf der Flucht war nicht gerade das Beste. Man ist jede Sekunde angespannt, erschrickt bei jedem kleinsten Rascheln im Busch. Wie lange wollte ich das noch machen? Irgendwann musste ich mich eh Zeus stellen - der alte Sturkopf würde niemals aufgeben. Wenigstens das hatten wir gemeinsam. Ein kleines Lächeln zuckte über meine Lippen. Er würde nie aufhören mich zu jagen und ich würde niemals aufhören, vor ihm zu fliehen. Vielleicht war das unser Schicksal. Wenn ich doch nur Apollo aufsuchen könnte, damit er mir meine Weissagung vorsingen konnte - er konnte keine fünf Wörter sagen, ohne das es nicht poetisch klang - richtig nervig. Aber er würde mich bestimmt Zeus ausliefern, bevor ich überhaupt nur ein Wort sagen konnte.
Ich seufzte leise. Am besten, ich wartete einfach ab, was passierte. Immerhin bestand die Möglichkeit, mag sie auch noch so klein sein, dass Ares auf meiner Seite war.
Plötzlich spürte ich etwas an meinem Bein. Reflexartig zuckte ich zusammen und hätte mir beinahe den nächsten Finger aufgeschlitzt. Schnell steckte ich das Messer zurück an meinen Gürtel, wo es hingehörte und mich nicht verletzen konnte. Danach wandte ich mich dem Ding an meinem Bein zu. Ich streckte die Hand aus und traf auf etwas weiches, dann wurde ich von etwas Nassem abgeschlabbert. Schnell zog ich meine Hand zurück und konnte mir gerade noch ein lautes, angewiedertes "Uähhh" verkneifen. Ich wollte Ares nicht aufwecken... oder stören. Ob er wirklich schlief, da war ich mir nicht so sicher. Götter schliefen ja normalerweise nicht.
Aiko rollte sich an meinen Beinen zusammen. Entweder er wollte dadurch verhindern, dass ich abhaute oder er mochte mich, was mir allerdings sehr merkwürdig vorkam. Warum sollte der Hund mich mögen?
Ich saß eine Weile da, ohne mich zu bewegen und wartete, ob Aiko sich nicht einen anderen Platz suchen würde, aber er blieb, wo er war. Irgendwann begann ich dann - erst zaghaft - dem Tier übers Fell zu streicheln. Da er mir nicht die Hand abbiss, machte ich einfach weiter, während meine Gedanken immer weiter abdrifteten. Ich dachte zurück, an die Zeit vor meiner Flucht. Der Olymp war, solange ich denken konnte, mein zu Hause gewesen. Es kam mir so vertraut vor und doch so fern. Hermes, der versuchte, mich zum Lachen zu bringen, Apollo und Artemis, die sich über irgendeine lächerliche Kleinigkeit zu streiten schien. Ich schloss die Augen und konnte das alles vor mir sehen. Ungewollt huschte ein Lächeln über meine Lippen. Vielleicht vermisste ich den Olymp mehr, als ich zugeben würde.
Anscheinend war ich doch eingeschlafen oder sowas in der Art, denn als ich die Augen wieder aufschlug, brannte das Licht. Ich blinzelte ein paar Mal, um mich daran zu gewöhnen und sah dann direkt auf Ares' breiten, nackten Rücken. Aiko lief mehrere Male hechelnd und mit dem Schwanz wedelnd um sein Herrchen herum
"Ist ja gut, ist ja gut", murmelte der Kriegsgott, während er in seinem Schrank nach irgendwas kramte. "Du kannst gleich raus. Lass mich nur..." Er holte einen schwarzen Brustpanzer hervor und zog ihn sich über die nackte Brust. Mit der Jeans, die er noch vom Vortag anhatte, zusammen sah das ziemlich ulkig aus.
Er schloss den Schrank wieder und hielt inne, als er mich bemerkte. Sein typisch dämliches Grinsen erschien in seinem Gesicht. "Na, Süße. Wie war dein Nickerchen?"
Mein Blick verdunkelte sich. "Nenn mich nicht Süße!
"Wieso nicht?", provozierte er.
Ich funkelte ihn wütend an, wusste aber keine gute Antwort darauf. "Weil ich das nicht mag!", fauchte ich - das Beste, was mir einfiel.
Er strich sich über die kurzen, schwarzen Haare und durchquerte dann mit zwei Schritten den Raum, sodass er jetzt direkt vor mir stand und auf mich herab sah. Seine durchtrainierten Beine berührten meine. Es war mir unangenehm, dass er mir so nah war. Es machte mich aus irgendeinem Grund nervös und das war nicht gut. Ich blickte zu ihm nach oben, direkt in seine Flammen-Augen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie heute größer und funkelnder waren. Genau wie gestern in diesem einen Moment...
"Ich find dich aber süß." Er grinste und zerbrach damit diese merkwürdige Spannung, die zwischen uns entstanden war.
Ich sah ihn böse an. Das grenzte schon fast an einer Beleidigung. Ich war eine Kämpferin, hinterlistig und heimtückisch - und nicht süß.
"Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir dämliche Spitznamen geben würde?", fauchte ich.
"Dir würde doch eh keiner einfallen", meinte er belustigt und lehnte sich ein Stück zurück, sodass ich wieder Platz zum Atmen hatte. Kaum merklich rückte ich ein Stück von ihm weg - nur zur Sicherheit.
"Würde mir doch", entgegnete ich schwach.
Seine Augen ruhten noch eine Weile auf mir, bevor er kaum, merklich mit der Hand wedelte und Aiko auf ihn zu gedackelt kam. "Wie wäre es, wenn du mit Aiko ein bisschen rausgehst und währenddessen darüber nachdenkst?" Er lächelte schief und der Hund bellte einmal zustimmend.
"Und was machst du währenddessen?"
Er trat einen Schritt zurück und seufzte leise. "Zeus..." Er machte eine Pause, damit der Name auf mich einwirken konnte und es wirkte auch. Jede Faser meines Körpers spannte sich an und schlug Alarm. Er hatte sich doch auf seine Seite gestellt. Wie hatte ich je denken können... "Er hat eine Versammling einberufen", unterbrach er meinen Gedankengang. "Ich werde ihm nicht sagen, wo du bist. Mach dir keine Sorgen." Der hatte gut reden. Sein Leben hing ja nicht davon hab, was ein eingebildeter Kriegsgott auf dem Olymp herumerzählt. Ein großer Teil in mir schrie, dass er mich verraten würde und ich schnellstmöglich abhauen sollte. Aber trotzdem wollte der andere, kleine Teil ihm glauben. Es war zum Verzweifeln.
Ich stand auf und wich seinem Blick aus. "Ich geh mit Aiko raus", murmelte ich, zog meine Stiefel an und ging zur Tür des Bunkers. Jedenfalls dahin, wo ich die Tür vermutete. Der Hund trottete mir aufgeregt hechelnd hinterher. Als ich vor der Wand ankam, blieb ich stehen - keine Tür erschien. Ich drehte mich nicht um, spürte aber, wie er auf mich zu kam.
"Mach die Tür auf!", sagte ich harsch und gefasst, bevor er mir zu nahe kommen konnte.
Ich merkte, wie er inne hielt und dann erschien die Tür in der Wand. Ich drückte schnell die Klinke hinunter und trat ins Freie. Mir war egal, dass es eventuell doch noch Mienen in dem Boden geben könnte. Ich lief einfach nur mit schnellen Schritten weg vom Bunker und Ares.
Hinter mir hörte ich den Hund bellen, aber ich drehte mich nicht um.
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Ares - Freund oder Feind
Short StoryAuf der Flucht vor ihrem Vater Zeus, begegnet die Göttin Larea zufällig dem Kriegsgott Ares. Sie hat ihn noch nie leiden können, da sie aber von dem ewigen Wegrennen müde ist, nimmt sie sein Angebot an, mit ihm in ein Versteck vor Zeus zu gehen. Tro...