Unruhig rührte Viktor in der Pfanne herum, achtete darauf, dass das Rührei darin nicht anbrannte.
Er führte wieder eine Bestellung seiner Mutter aus. Ein zweites Frühstück, ganz wie sie es wollte. Vier Scheiben Toast hatte er bereits dick mit Nutella bestrichen und nun machte er sich an das Rührei. Sieben Eier, ganz wie seine Mutter es sich wünschte.
Er selbst würde nicht einmal einen Bruchteil davon schaffen, doch seine Mutter war es gewöhnt. Sie verschlag täglich wesentlich mehr, wurde zornig, wenn Viktor sie nicht mit dem Essen oder den Portionsgrößen versorgte, die sie haben wollte und strafte Viktor dann aufs Härteste. Vor körperlicher Gewalt schreckte die vierzig jährige Frau nicht zurück, weshalb Viktor brav tat, was sie ihm auftrug.
,,Viktor! Wie lange brauchst du noch? Ich verhungere hier und du bist schuld!", schrie seine Mutter durch das kleine Haus, in dem sie zu weit lebten.
,,Komme!", rief Viktor kraftlos, stellte den Herd ab und schob die Eiermischung auf den Teller mit den Toastscheiben.
Ihm drehte sich der Magen um bei dieser Zusammenstellung, doch seine Mutter liebte es.
Er nahm den Teller und brachte ihn in das Wohnzimmer, in dem seine Mutter auf dem Sofa lag und wie immer Fernsehen sah.
Seit einem Jahr lebte sie nun schon im Wohnzimmer, da sie ihres nicht mehr betreten konnte. Generell konnte sie sich nicht mehr bewegen. Sie lag nur herum, lies sich bedienen und waschen. Seit der Trennung von Viktors Vater und dem Umzug von Russland nach Amerika lies sie sich gehen. Sie nahm immer mehr zu, bis sie endgültig ein Gewicht von 310 Kilo annahm und nicht mehr in der Lage war ihr Lager im Wohnzimmer zu verlassen.
Viktor liebte seine Mutter nach wie vor, litt jedoch unter der Situation. Von seiner Schule wurde er abgemeldet damit er sich gänzlich um seine Mutter kümmern konnte. Soziale Kontakte wie andere Jugendliche sie hatten, waren ihm untersagt, nur wenn er zum Einkaufen rausgeschickte wurde, kam er unter andere Menschen, mit denen er sich jedoch nicht unterhalten konnte, da er Englisch nie gelernt hatte und die paar Wörter die er verstand und sprechen konnte, reichten zum Einkaufen, nicht aber um sich mit jemandem zu unterhalten oder gar Freunde zu finden.
,,Ist das gut", schmatzte seine Helena und stieß ihren Atem hart durch die Nase aus.
,,Das hast du gut gemacht. Genauso saftig wie ich sie gern hab", schwärmte sie und schob sich eine gehäufte Gabel in den Mund.
Viktor beobachtete seine Mutter mit Ekel. Er liebte sie, ja das tat er, doch widerte sie ihn immer mehr an. Zudem machte er sich sorgen. Nicht erst seit gestern klagte sie über Schmerzen. Wenn Viktor sie wusch, schrie sie, weinte und klagte. Nachts bekam sie Erstickungsanfälle, weshalb Viktor meist wach blieb und nach ihr sah. Ihre wund gelegenen Stellen nässten und entzündeten sich oft, doch was auch immer Viktor sagte, egal wie groß ihre Schmerzen waren, Helena hörte nicht auf zu essen.
,,Jetzt steh da doch nicht so herum. Setz dich zu mir. Es läuft gerade Frauentausch. Solche Rabenmütter", lachte Helena und lächelte Viktor liebevoll an, was auch ihm das erste Lächeln an diesem Tag entlockte.
,,Würde ich gern, aber ich muss noch aufräumen und die Wäsche machen", sagte er leicht geknickt.
,,Das hat doch Zeit. Komm schon. Bleib bei mir. Nur ein paar Minuten", forderte sie ihn weiter auf, woraufhin Viktor dann doch einknickte und sich auf die Armlehne, den einzig freien Platz auf dem Sofa, setzte.
,,Du siehst krank aus. Hast du was?", fragte Helena und musterte ihren Sohn, der ungewöhnlich blass war.
,,Mir geht's gut. War wohl nur zu lang wach gestern", meinte er mit einem leicht verlegenen Lächeln auf den Lippen., während die Frauen sich im Fernsehen anschrien.
Er vermied es seiner Mutter in die Augen zu sehen. Generell hatte er ein Problem mit langem Blickkontakt, doch wenn er log oder über sich selbst sprechen musste, machte es ihm die meisten Probleme.
,,Rede mit mir wenn dich etwas bedrückt. Ich bin immer für dich da. Mama hat dich doll lieb Vik", sagte sie und lächelte Viktor liebevoll an, was dieser jedoch nur kurz sah, als er aufblickte.
,,Mit geht es wirklich gut Mom. Wirklich. Mach dir keine Sorgen. Ich muss jetzt aber weitermachen", sagte er, rutschte von der Armlehne runter und wollte gerade aus dem Zimmer huschen, als er seine Mutter keuchen hörte und dann das Zerbrechen eines Tellers.
,,Mom...", setzte Viktor an und drehte sich herum um nach seiner Mutter, seiner einzigen Familie zu sehen, die er noch hatte.
Als er sag wie seiner Mutter der Schweiß ausbrach und sie zitternd und keuchend beide Hände auf die Brust drückte, wurde ihm eiskalt.
,,Mama", schluchzte er und Tränen rannen ihm über sein Gesicht.
,,Mama was ist los? Mama!", schrie er entsetzt.
,,Hilfe", brachte seine Mutter noch keuchen hervor, ehe ihre Augen zufielen und sie scheinbar das Bewusstsein verlor.
Kopflos rannte er zum Festnetztelefon und kontaktierte den Notruf. In seinem gebrochenen Englisch versuchte er Hilfe anzufordern, schrie der Frau am anderen Ende in der Leitung immer wieder zu, dass seine Mutter Hilfe brauchte, das sie wohl sterben würde, schrie seine Adresse und seinen Namen und hoffte, dass irgendjemand ihm helfen würde. Als er auflegte sackte er kraftlos und weinend auf den Boden und schlug sich beide Hände vors Gesicht.
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Silent Scream
RandomNach der Trennung seiner Eltern zog Viktor mit seiner Mutter nach Amerika. Mit den Jahren ließ sie sich immer mehr gehen und nahm zu. Bereits mit 9 Jahren konnte Viktor nicht mehr zur Schule gehen, war voll und ganz für die Pflege seiner Mutter zust...