,,Hier", erklang die tiefe Stimme eines Polizeibeamten und vor Viktors Gesicht tauchte ein Pappbecher mit heißem Kakao darin auf.
Zögerlich nahm Viktor sie ihm ab, wärmte seine eiskalten Hände daran etwas auf.
Es war das erste Mal seit Stunden, dass jemand ihm Aufmerksamkeit schenkte. Bisher waren alle Blicke auf Helena gerichtet gewesen. Die Mediziner kämpften darum, dass sie am Leben blieb. Die Pfleger liefen hektisch herum, suchten alles notwenige zusammen, versuchten ein Bett für sie später zu organisieren, immer war es nicht alltäglich, dass eine solch schwere Frau eingeliefert wurde. Jeder bemühte sich nach Leibeskräften um Helena, doch vergasen alle dabei ganz Viktor, dessen Boden unter den Füßen weggerissen wurde und der nun in der Luft schwebte. Im Ungewissen wie es seiner Mutter ging. Im Ungewissen, wie es nun weiter ging. Was mit ihr und ihm geschehen würde. Ihm war bewusst, dass sein Leben sich nun verändern würde, doch wusste er nicht wie sehr. Diese Ungewissheit, diese Angst um seine Mutter zerrten an ihm.
,,Sie stabilisieren deine Mutter", erklärte der Polizist ihm in akzentschwerem russisch.
Kurz blickte Viktor zu ihm auf, ehe er wieder auf das dunkle Gebräu in seinen Händen blickte.
Da Viktor solch ein Theater veranstaltet hatte, schickten sie nicht nur einen Krankenwagen, sondern auch direkt noch einen Streifenwagen bei ihm vorbei. Als all die Männer in sein Haus stürmten, seinen Rückzugsort entweihten, fühlte er sich noch viel schlimmer. Seine Mutter kam nicht mehr zu sich und er musste hilflos dabei zusehen, wie die Sanitäter sie wiederbelebten und anschließend mit einem speziellen Krankenwagen wegbrachten. Viktor wurde von einem der Polizisten mit zum Krankenhaus genommen, in dem er nun schon seit Stunden sitzt.
,,Heute wirst du nicht mehr zu ihr können. Wir müssen dich hier wegbringen", erklärte der Mann neben ihm, doch wollte Viktor das nicht hören.
,,Ich kann sie nicht allein lassen", nuschelte Viktor leise, was seinen Gesprächspartner zum seufzen brachte.
Der Mann hatte sich ihm als Detektiv Parker vorgestellt. Eigentlich war er Mordermittler, doch da er als einziger im Umkreis russisch in der Schule belegt hatte, wurde er beauftragt Viktor wegzubringen. Fort von seiner Mutter, hin in ein Heim. Eine Auffangstation.
,,Du lässt sie nicht allein. Es ist nur spät und du kannst ja schlecht hier schlafen", lächelte Parker.
,,Wenn sie aber aufwacht und ich nicht da bin? Sie braucht mich"
,,Wenn sie aufwacht werden sich Ärzte und Pfleger um sie kümmern. Sie wird nicht allein sein. Du musst sie nicht mehr umsorgen"
Viktor stiegen wieder Tränen in die Augen. Er konnte sich sein Leben nicht mehr ohne seine Mutter vorstellen. Er lebte nur für sie. Stand auf, nur um sie zu umsorgen. Ging nur für sie aus dem Haus und kam wieder zurück. Wenn er nicht mehr für sie zuständig war, wusste er nicht, was er tun sollte.
,,Ich muss ihr zuhause Klamotten zusammensuchen. Und ihr Handy holen und...", begann Viktor leise, wurde jedoch von Parker unterbrochen.
,,Das musst du nicht. Es wird alles erledigt"
,,Wenn ich jetzt nach Hause gehe, kann ich das aber doch machen", wand Viktor ein und blickte bettelnd zu Parker auf, dieser schüttelte jedoch nur den Kopf.
,,Du kommst nicht nach Hause. Ein Kollege hat dir eine Tasche mit deinen Sachen gepackt und..."
Nun war es Viktor der ihn unterbrach.
,,Nein! Ich gehe in kein Heim. Ich habe ein Zuhause. Mein Vater bezahlt immer Wohngeld für uns. Zahlt das Haus. Ich komme zurecht. Ich muss in kein Heim", sagte Viktor hastig.
Er zitterte vor Angst, lies seinen Tränen freien Lauf, die über seine Wangen rannen, an seinem Kinn hinabstürzten und seinen Pulli tränkten.
,,Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Aber es ist das beste für dich. In solch einem Zustand solltest du nicht allein sein", sagte Parker mitleidig, nahm Viktor den nun mittlerweile nur noch lauwarmen Kakao aus der Hand, da er sich war, dass er ihn nun eh nicht mehr trinken würde, stellte ihn weg und zog Viktor mit in den Stand.
,,Ich will nicht", schluchzte Viktor noch immer weinend, doch ließ er sich von Parker mit aus dem Krankenhaus und zu dessen Wagen bringen.
Viktor war erschöpft und nicht mehr in der Lage sich zu wehren, was Parker ausnutzte, um seinen Job zu erledigen.
,,Ich will zu meiner Mama", schluchzte Viktor noch leise, als er auf dem Beifahrersitz saß und sich von Parker anschnallen ließ.
Parker blickte noch kurz zu seinem Schützling, schwieg jedoch. Er startete den Motor und fuhr los.
Viktor schaute ein letztes Mal zum Krankenhaus auf, indem seine Mutter lag und um ihr Leben kämpfte.
,,Ich werde sie nie mehr sehen", flüsterte Viktor mit einer Gewissheit, die ihn selbst erschreckte.
,,Nun mal den Teufel nicht an die Wand. Das wird schon wieder. Du wirst schon sehen", versuchte Parker ihn aufzumuntern, doch antwortete Viktor ihm nicht.
Leise weiter weinend lehnte er seinen Kopf gegen die kalten Scheibe des Wagens und schloss seine Augen.
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Silent Scream
RandomNach der Trennung seiner Eltern zog Viktor mit seiner Mutter nach Amerika. Mit den Jahren ließ sie sich immer mehr gehen und nahm zu. Bereits mit 9 Jahren konnte Viktor nicht mehr zur Schule gehen, war voll und ganz für die Pflege seiner Mutter zust...