Kapitel 2

8 2 0
                                    

Die ersten hundert Meter sind wir in einem schnellen Tempo gelaufen, bis wir um die Ecke gebogen sind. Erst danach läuft er endlich langsamer, was mir gerade mehr als nur recht ist. Neben ihm und erst recht mit dem ganzen Alkohol in meinem Blut, fühle ich mich wie ein tollpatschiges Trampeltier, das die Ausdauer verloren hat.

Zugegeben ist es nicht die klügste Idee von mir gewesen, dem komplett fremden Menschen in die dunkle Nacht zu folgen. Schließlich könnte er auch ein kranker Psychopath sein, der genau auf den richtigen Augenblick gewartet hat... doch stattdessen fühle ich mich sicher neben ihm. Vielleicht liegt es an der – zugegeben sehr eigenartigen – Rettung des Fremden, als er mich vor der Festnahme des Polizisten gerettet hat. Oder vielleicht liegt es daran, dass er mir die Haare festgehalten hat, während ich mich fast zu Tode ausgekotzt habe? Jedenfalls läuten nicht gleich all meine Alarmglocken, während ich in seiner Nähe bin.

»Hier sollten wir fürs erste sicher sein«, meint er und dreht seinen Kopf in meine Richtung. »Wo wohnst du?«, fragt er dann. Die Frage verwirrt mich, dennoch gebe ich ihm die Antwort auf seine Frage.

»Vier Straßen weiter«, erwidere ich und versuche dabei relativ normal zu klingen. Durch unseren kleinen Sprint bin ich total außer Puste.

»Okay«, sagt er und geht ohne weiteres weiter.

Verwirrt trampel ich ihn hinterher, da er ziemlich schnell ist. »Moment, du brauchst mich nicht nach Hause bringen«, stammele ich aus der Fassung gebracht. Generell habe ich nichts dagegen nach Hause gebracht zu werden, aber die Tatsache, dass er mir komplett fremd ist, hinterlässt trotzdem ein komisches Gefühl in meiner Magengegend. Jedoch läuft er unbeirrt weiter, als können ihn nichts und niemand davon abbringen.

»Eh, warte doch!«, rufe ich verzweifelt.

Dann bleibt er endlich stehen. »Ich lasse Mädchen grundsätzlich nicht Abends alleine nach Hause laufen«, grummelt er und wirft einen kritischen Blick zu. »Außerdem bist du in deinem Zustand viel zu leichte Beute für irgendwelche Dreckskerle.«

Ich will erst was dagegen erwidern, aber das letzte Argument lässt mich verstummen. Er hat recht, aber was gibt mir die Gewissheit, dass er nicht auch so ein Mensch ist? Schließlich kenne ich ihn nicht einmal.

Als kann er meine Gedanken lesen, fügt er noch hinzu: »Mach dir keine Sorgen. Hätte ich dir was antun wollen, dann wäre das längst passiert.« Als ich ihn nur stumm anblicke, deutete er mit seinem Kopf weiter zu gehen. Mehr oder weniger einverstanden stimme ich ihm zu und geh mit ihm wieder weiter. Der restliche Weg bis zu mir nach Hause sprechen wir kein Wort mehr miteinander, aber das stört mich nicht, weil ich so echt müde werde. Nach einigen Minuten erreichen wir letztendlich mein Haus, was er mit großem Erstaunen mustert.

»Hier wohnst du?«, fragt er verblüfft. Das Haus in dem ich mit meiner Familie wohne, gehört zu dem reichen Viertel aus dieser Stadt. Nachdem meine Oma verstorben ist, hat sie uns das Haus und eine Erbe hinterlassen, was meine Eltern für alle Notfälle aufbewahrt haben. Wie hoch die Summe letztendlich ist, weiß ich bis heute immer noch nicht, aber um ehrlich zu sein hat es mich auch nicht wirklich interessiert.

Ich nicke bloß und gehe paar Schritte auf das Haus zu, um ihn deutliche Signale zu geben. Sie bin nämlich echt müde, ich will einfach nur ins Bett. »Ja. Danke nochmal fürs bringen.« Es braucht paar Sekunden, bis er seinen Blick von dem beeindruckenden Gebäude wenden kann.

»Natürlich, ist keine Rede wert.«

Ich lächele noch, ehe ich mit dem Schlüssel die Haustür öffne. Bevor ich aber rein gehe, sehe ich noch einmal nach hinten und muss feststellen, dass er längst verschwunden ist. Ich schaue in alle Richtungen, aber dort ist nichts zu sehen. Mit leichtem Bedauern bemerke ich erst jetzt, dass ich nicht einmal seinen Namen weiß und betrete dann das Haus. Da es mitten in der Nacht ist, schleiche ich mich leise die Treppe hoch, die zu meinem Zimmer führt. Es ist nicht gerade leicht dabei komplett still zu sein, da ich immer noch benommen vom Alkohol bin. Kaum habe ich es die Treppen hoch geschafft, stolpere ich über mein eigenes Bein und knalle gegen eine Kommode, die im Flur steht. Die darauf stehenden Vasen klirren laut durch das ganze Haus. Ich fluche in mich hinein und hoffe, dass es niemand gehört hat. Doch meine Hoffnung wird zerstört, als ein Schatten im Flur auftaucht. Es ist zwar stockenduster, doch ich könnte die Umrisse meines Vaters selbst Blind erkennen.

»Wo warst du um diese Uhrzeit, Fräulein?«, erklingt die tiefe Stimme meines Vater. Ein unangenehmer Schauer fährt über meinen Körper und wie automatisch gehe ich einen Schritt nach hinten.

»Ich war mit meinen Freundinnen unterwegs«, stammele ich fiebrig. Mein Herz schlägt zweimal so schnell; plötzlich fühle ich mich komplett nüchtern.

»Und dann dachtest du dir du schleichst dich aus dem Haus?«, knurrt er bedrohlich und geht zwei Schritte auf mich zu. Ich zucke ängstlich zusammen und gehe ebenfalls zwei Schritte zurück, aber die Wand macht mir einen Strich durch die Rechnung.

»Hast du getrunken?« Die Frage klingt eher wie eine Feststellung, als nach einer Frage. Ich weiß, dass ich nicht lügen kann, aber wie auf Knopfdruck schüttel ich den Kopf. Mein Vater ist nicht blöd, also durchbricht er das bisschen Abstand zwischen uns und zieht mich an meinem Pullover heran. Erschrocken quickte ich auf, aber das scheint ihn nicht zu interessieren. Er riecht nur kurz an mir, dann schubst er mich zurück an die Wand. Der gewaltige Aufprall sorgt dafür, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand knalle. Schmerzverzerrt halte ich mir an den Kopf und versuche dabei die Tränen zu unterdrücken, aber ich scheitere.

»WIESO LÜGST DU MICH AN?«, brüllt er und schlägt mit seiner Faust auf die Wand neben mir. Wimmernd zucke ich wieder zusammen und rutsche langsam an der Wand herunter. Ich bekomme das Gefühl die Kraft in meinen Beinen zu verlieren.

Nachdem ich immer noch nichts von mir gegeben habe, funkelt er mich zornig an. »REDE!«

»Es t-tut mir le-leid«, bringe ich bloß über die Lippen. Er greift wieder nach dem Pullover und zieht mich zu sich hoch, um mir direkt in die Augen sehen zu können. Obwohl es dunkel ist, sehen seine Augen noch schwarzer aus, als sie ohnehin schon sind. Ich kann nichts anderes darin erkennen, als puren Hass und das schmerzt. Wieso hasst er mich bitte so sehr? Was habe ich getan?

Es vergehen gefühlt Stunden, als er mir nur in die Augen schaut, um dort nach irgendwelchen Antworten zu suchen. Der eiskalte Blick lässt mein Herz schmerzhaft in der Brust schlagen. Die Ungewissheit, was er als nächstes tun wird, jagte mir so eine große Angst ein, dass ich fast ohnmächtig werde. Dann, auf einmal, lässt er mich abrupt los. Das überrascht mich so sehr, dass ich ohne weiteres zu Boden falle und dabei hart auf mein Steißbein lande. Der Schmerz zischt durch den ganzen Körper, weshalb ich einen schmerzverzerrten Laut von mir gebe und mich auf die Seite rolle. Das letzte, was ich wahrnehme, sind noch die schweren Schritte von ihm, die sich Stück für Stück von mir entfernen. Ich wartete noch einige Minuten, bis ich schließlich in Tränen ausbreche. 

The man who stole my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt