Kleines Rehkitz

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Ich erinnere mich noch gut an den Tag.
An den Tag, an dem mir der weiße Hirsch erschien.

Ich erinnere mich, wie er plötzlich vor mir mitten auf einer Lichtung mehrere Meilen, weit vom Palast entfernt auftauchte.
Er war einfach nur da gestanden und hatte mich angeblickt. Sein fast silbernes Fell hatte im Licht der Sonne geleuchtet.
Ich bin mit ganz sicher, das er mich damals direkt angesehen hatte.
Wie lange es gedauert hatte, das weiß ich nicht.
Was ich weiß, er hatte gewollt, das ich sie finde.

Er hatte damals den Kopf zum Boden gesenkt und war mit der Schnauze sanft über etwas gestrichen.
Das ich näher gekommen war, hatte ihn nicht interessiert. Vielleicht war genau das, seine Intension gewesen.
Ich weiß es nicht.
Doch als ich nah genug gewesen war, hatte er sich aufgerichtet und mich angesehen.
Ich erinnere mich, wie entsetzt ich runter gesehen hatte.
Es war ein Mädchen gewesen. Ein kleines, ein paar Monate altes Mädchen.
Wie ein Beschützer, war der prachtvolle, weiße Hirsch über ihr gestanden und hatte mich noch immer tief angeblickt.

Um keine Bedrohung zu repräsentieren, wurde jedem Elben beigebracht, was man zu tun hatte.
Sich verneigen, tief und respektvoll verneigen.
Ich hatte damals meine silberne Robe nach hinten gestrichen und hatte mich tief vor ihm verbeugt, eine Hand dabei über das Herz gelegt.
Zwei Könige waren aufeinander getroffen.
Ich war mir damals nicht sicher gewesen ob er sich vor mir verbeugen würde um mir zu zeigen, das er mich akzeptierte.
Und das hatte er auch nicht getan.
Nein,- er war hinter das kleine Kind getreten, hatte den Kopf gesenkt und mir dieses kleine Bündel zugeschoben.
Ich hatte es damals nicht gewagt mich zu bewegen. So war ich einfach in der Verneigung verharrt und hatte auf das Kind gestarrt.
Es hatte eine gefühlte Mondphase gedauert, bis der weiße Hirsch, sich ohne das Kind noch einmal zu beachten, abgewandt hatte.
Mein Herz, es hatte mir bis zum Hals geschlagen.
Erst als der majestätische Hirsch zwischen den Bäumen verschwunden war, hatte ich es gewagt mich aufzurichten und mich über das Kind zu beugen.
Mit großen Augen hatte es mich angesehen und ich war in die Knie gegangen.
Schwarzes Haar, lindgrüne Auge und eine blasse Haut, sie hätte man für eine Elbin halten können. Doch war sie menschlichen Blutes.
"Kleines Rehkitz." hatte ich sie in ihrer Sprache angesprochen, meine Arme unter die warme Seidendecke geführt, in welche sie eingehüllt gewesen war und hochgehoben.
Mit ihren großen Rehaugen hatte sie mich angesehen und nach meinem langen blonden Haar gefasst.
Mit musterndem Blick hatte sie mich angesehen und dann zu meinen Augen aufgeblickt.
"Was siehst du?" hatte ich geflüstert und ihr über das kleine Köpfchen gestrichen.
Ihr Blick hatte sich an meinen geheftet und als sie mich so angeblickt hatte, zog sie die Lippen zu einem Lächeln und gab ein einziges lautes Lachen von sich.

Ich kann mich noch so gut an dieses Lachen erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Es hatte eine halbe Ewigkeit in meinen Ohren nachgehallt. Das glockenhelle, klingende Kinderlachen und dazu das funkeln in ihren Rehkitz Augen.
Solche Augen habe ich bis Heute kein weiteres Mal gesehen.

"Hier kannst du nicht bleiben, kleines Rehkitz." ich erinnere mich das zu ihr gesagt zu haben, während ich die in meine Arme nahm und mich mit ihr umdrehte, wie ich noch einmal über die Schulter blickte um zu sehen, ob ich noch den Hirsch erblicken konnte. Doch hatte ich ihn nicht gesehen.
Ich kann mich erinnern, wie ich den Blick vom dichten Wald abwandte und mich aus dem Nichts ein kalter Schauer durch schoss.
Eine Vorahnung.
Ein Sturm kündigte sich an.

Noch in der gleichen Nacht brachte ich sie fort aus dem Wald. Zu einem Menschendorf nordwestlich von Düsterwald.
Sie schlief ein, als ich mit ihr auf meinem Hirsch durch den Wald ritt und auch als wir das Dorf der Menschen erreicht hatten, war sie ruhig in meinem Arm gelegen und hatte mit ihren Augen alles betrachtet.
Ich kann mich erinnern, wie ich zwischen den Häusern hindurch schritt und ihr dabei über das Haar strich.
Ich erinnere mich wie ich sie vor einer Tür ablegte, meine Haarsträhne aus ihrem Griff zog und von ihr zurücktrat.
Und ich weiß noch, wie ich mich abwandte und wie sie zu schreien begann.

Das letzte was ich hören konnte, war wie eine Frau der Menschen sagte, sie bräuchte einen Namen.

Und ihr Name ist Elanor.

Rehkitz (Thranduil FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt