Kapitel 16

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Zwei junge Mädchen liefen eilig die Straße hinunter, mitten durch den nicht enden wollenden Regenschauer. Mit ihren Einkaufstüten versuchten sie sich vor den dicken Regentropfen zu schützen, doch es war vergebens. Immerhin konnten sie über ihre Situation lachen, denn sie kicherten fröhlich als sie am Hauseingang, wo Kankuro und ich immernoch dicht hinter einander standen, vorbeiliefen. Von uns nahmen sie keine Notiz. Wir beide schwiegen, seitdem er seine Bitte geäußert hatte. Diese Worte musste ich erst einmal sacken lassen. Wie durfte ich sie deuten?

„...was?...", fragte ich kaum für jemand anderes hörbar.

Ob er mich nun gehört hatte oder nicht, nach einer kurzen Pause sprach er weiter: „Es ist egoistisch von mir, dich um so etwas zu bitten, wo ich selbst mehrere Tagesmärsche von hier entfernt lebe und für gewöhnlich nur hin und wieder in Konoha bin. Ich musste wirklich lange darüber nachdenken...."

Ich nahm einen Luftzug, um etwas zu sagen, doch es war anscheinend noch nicht alles, das er mir zu sagen hatte, denn er ließ mich nicht zu Wort kommen. „Aber ich kann einfach nicht anders. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es mir zuwider, dich hier in Kibas Obhut zu geben."

Mein Herz machte einen Hüpfer nach diesen Worten. Ganz automatisch machte ich eine halbe Drehung in seine Richtung und sah hoch in sein Gesicht. Ich blickte tief in seine Augen, aus denen die Härte völlig gewichen war. Durch den ungewohnt weichen Blick seiner fast schon ebenholzfarbenen Augen fühlte ich mich wie paralysiert. Es war mir unmöglich in dieser Situation noch ein Pokerface aufzubehalten. Ich spührte wie es von meinem Gesicht abfiel und meine wahren Gefühle zum Vorschein kamen. Er machte mich vollkommen sprachlos. Mit weit geöffneten Augen sah ich ihn an.

„Kankuro...", hauchte ich, wobei mir die richtigen Worte nicht einfallen wollten.

„Ich habe meine Pflichten in Suna schon einmal sausen lassen, als ich anstatt zurückzukehren dir gefolgt war...Jetzt muss ich aber wirklich zurück... Man braucht mich in meiner Heimat...Immerhin bin ich die rechte Hand des Kazekages." Auf seinen Lippen formte sich kurz ein kleines stolzes Grinsen, bevor er den Blick senkte.

Der Abstand zwischen uns verringerte sich noch mehr als ich mich nun ganz zu ihm drehte und seinen Blick suchte. So durcheinander wie ich war, sprach ich einfach das aus, was mir gerade auf der Zunge lag.

„Wann kommst du wieder?"

Er schaute mich sichtlich erfreut über diese Frage an und antwortete:„ Das ist eine gute Frage... Im schlimmsten Fall erst in ein paar Monaten..."

Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Unvorstellbar war es für mich, ihn so lange nicht zu sehen, jetzt, wo er andeutete, dass ihm wohl etwas mehr an mir lag.

Ich schluckte und senkte erschrocken den Blick.

„Hey...", flüssterte er mit weicher Stimme. Mit einer vorsichtigen Handbewegung strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht, hinter das Ohr. Seine große warme Hand glitt sanft über meine Wange und anschließend an meinem Kiefer entlang. Er berührte meine Haut so leicht und behutsam als hätte er Angst, er könnte sich an ihr verbrennen. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass mein Mund vor Entsetzen leicht geöffnet war.

Immer schneller klopfte mein Herz vor Aufregung. Es waren die ersten Zärtlichkeiten, die ich von einem Mann erfuhr und ich wollte nicht, dass er aufhörte. Etwas schüchtern schmiegte ich mich an seine Hand und schloss dabei die Augen. Als sich mein Kopf nun wie von selbst wieder nach Oben in seine Richtung neigte, erinnerte mich dieser Moment an den „beinahe Kuss" und ich hoffte, dass es diesmal passieren würde.

„Neulich im Schrein hatte ich Angst, du könntest etwas Falsches von mir denken,... dass ich die Situation nur ausnutzen will... Jetzt bereue ich es, dass ich das hier nicht schon viel eher getan habe....Misaki...", hauchte er und ich wusste, dieses Mal war es soweit, denn er zog mich mit seiner freien Hand immer dichter an sich.

Zu meiner Überraschung lockerte sich jedoch sein Griff gleich wieder und ich hörte, wie ihm ein genervtes Stöhnen entfuhr.

„Kiba...", knurrte er leise in mein Ohr. Ich wusste sofort, welcher Anblick sich mir bieten würde, sobald ich mich umgedreht hatte...

Ein wenig durcheinander drehte ich mich um und sah wie er am Fuße der Treppe stand und zu uns herrüber starrte. Der Regen prasselte auf ihn ein, doch er bewegte sich nicht vom Fleck. Sein Gesicht war wie versteinert, die gute Laune verschwunden. Er machte ein paar Schritte auf uns zu, blieb jedoch mitten auf der Straße stehen.

"Seid ihr endlich fertig? ", fragte er mit tiefer Stimme und blickte dann starr die Straße hinunter.

Kankuro ging nun an mir vorbei, in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

Nach einigen Metern stoppte er und blickte zu Kiba.

"Ich mach mich jetzt auf den Weg... Kiba, pass gut auf Misaki auf..."

Kiba verschränkte daraufhin die Arme und sah ihn nur aus dem Augenwinkel heraus mürrisch an.

"Misaki, denk bitte an die Box, ja ?", Kankuro sah mich mit ernster Mine an und ignorierte Kiba, dessen Blick er mit diesen Worten auf sich gezogen hatte.

Ich nickte, woraufhin er wieder zu lächeln begann.

"Wir sehen uns.", sagte er.

Er machte noch eine Winkbewegung und ging.

„Tschüss...", murmelte ich leise, während ich ihm hinterher sah.

Das Gefühlschaos in mir ordnete sich langsam. Ich konnte es noch nicht ganz glauben, was sich eben zwischen Kankuro und mir abgespielt hatte. All die Gedanken, die ich mir seinetwegen gemacht hatte, die ganzen Stunden, indenen ich mir den Kopf zerbrochen hatte und meine Stimmung ständig zwischen Wut und Traurigkeit schwankte, es war alles vollkommen unnötig gewesen. Mein Gefühl lag doch nicht so verkehrt.

„Willst du da Wurzeln schlagen? Komm Akamaru, wir gehen jetzt..."

Kibas mies gelaunte Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

Erst jetzt bemerkte ich, dass er bereits ein ganzes Stück weitergegangen war.

„Warte doch!", rief ich ihm nach und folgte ihm gemeinsam mit Toru durch den Regen.

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Noch nie hatte ich Kiba so still erlebt. Den ganzen Weg bis zu seinem Haus schwieg er und sprach nicht einmal mit Akamaru. Ich schaute immer mal wieder zu ihm, doch er würdigte mich keines Blickes. Anscheinend hatte es ihn getroffen, Kankuro und mich so zusehen. Von der Treppe aus musste es bestimmt so ausgesehen haben als hätten wir uns geküsst. War er eifersüchtig? Es war ein komisches Gefühl so über Kiba zu denken. Ich wünschte mir eine gute Freundschaft mit ihm, schließlich hatten wir viel gemeinsam...

Erst als wir sein Haus erreicht hatten und uns seine Mutter trotz des Regens mit einem breiten Grinsen entgegen kam, brach er sein Schweigen.

„Hallo...", sagte er und ging ohne anzuhalten an ihr vorbei, ins Haus hinein.

Ich hingegen ging auf sie zu und verbeugte mich höflich zur Begrüßung.

Sie stemmte begeisterte ihre Hände in die Hüften und ignorierte ihren Sohn und mich völlig.

„Das ist er also...", sagte sie voller Bewunderung und begann damit Toru genau zu mustern.

Dieser blieb neben mir stehen, aber schenkte der staunenden Frau keine Beachtung. Stattdessen hob er seine Schnauze und schnupperte neugierig in alle Richtungen.

„Es ist schlimm, dass die anderen beiden Schattenwölfe verschwunden sind... Und das hier ist das Männchen?", fragte sie interessiert, wobei man den Eindruck bekam, sie führte ein Selbstgespräch. Ohne mich groß angesehen zu haben, war sie beherzt an ihn herangetreten, um sich ihre Frage selbst zu beantworten.

„Ah, sehr gut.", sagte sie schließlich, nachdem sie unter seinem Bauch nachgesehen hatte und ging wieder etwas auf Abstand.

Für mich war es ein komischer Anblick zu sehen, wie vertraut sie mit Toru umging. Entweder vertraute sie darauf, dass Toru ihr in meiner Gegenwart nichts tun würde oder sie war einfach nur mutig im Umgang mit Raubtieren...

„Ähm, ja... Sein Name ist Toru.", sagte ich etwas verlegen wegen ihres plumpen Blicks in Torus Schritt. „Wie geht es jetzt weiter?"

Tsumes Augen glänzten: „Meine Tochter Hana ist Tierärztin. Sie wird Toru durchchecken." Sie strich ihm nun über das Fell, was er sich zu meiner Überraschung gefallen ließ.
„Einen guten Eindruck macht er ja schon mal dafür, dass er so krank war..."

„Das stimmt...", ich nickte und sah zum Eingang des Hauses. Ich hoffte, Kiba würde bald wiederkommen. Ich fühlte mich unwohl, so ganz ohne die Jungs um mich herum. Das Wissen, das Kankuro nun wieder auf dem Weg zurück in seine Heimat war, machte es nicht gerade besser.

„Misaki...."

Ich sah wieder zu Tsume.

„Die nächsten drei Tage kannst du nutzen, um dich hier etwas einzuleben, aber dann müssen wir darüber reden, wie es jetzt weitergehen soll, mit dir und deinem prächtigen Partner...."

Wieder nickte ich zustimmend.

Mir fiel auf, dass ihr Blick strenger geworden war. Einen Moment schaute sie mich so an, ohne dabei zu blinzeln. Ich traute mich nicht zu fragen, weshalb sie mich so ansah, deshalb schwieg ich einfach und kämpfte gegen meine Schüchternheit an, die von mir verlangte, ihrem Blick auszuweichen.

Zu meiner Verwunderung war sie es, die als erste weg sah. Sie klopfte Torus Schulter, so wie ich es sonst immer tat. Mit gesenkter Stimme sagte sie:

„Ich weiß, du wirst es nicht hören wollen, aber eine Suche nach den anderen beiden sowie nach dieser Frau ist sinnlos..."

„Was??", platzte es gleich aus mir heraus. Ich hoffte, ich hatte mich nur verhörrt...

„Die Regenschauer der letzten Tage werden die Spuren weggespühlt haben...Selbst wenn wir einen Suchtrupp schicken würden, es gäbe nichts, was er tun könnte. Du wirst dich damit abfinden müssen, dass vorerst niemand nach ihnen suchen wird."
Wieder traf mich ihr Blick.

Ich wusste nicht, was härter war. Ihr Blick oder die Worte, die sie mir um die Ohren knallte. Sie hatte Recht. Sowas wollte ich wirklich nicht hören.
Eigentlich hätte ich von selbst darauf kommen können, dass dieser Regen alle Spuren verwischen würde.

Geschockt drehte ich mich von ihr weg.

Das hatte gesessen.

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Nach dem Gespräch mit Tsume brachten wir Toru gemeinsam zu Kibas Schwester Hana, der Tierärztin.

Als wenn der Tag nicht schon blöd genug gewesen wäre, sagte sie auch noch, Toru müsste nach den Untersuchungen sicherheitshalber für 24 Std. in Quarantäne bleiben. Besser fühlte ich mich dadurch nicht, dass Toru mich nun auch verlassen musste, aber ich zeigte mich dennoch vor ihnen einsichtig, auch, wenn ich ihn am liebsten sofort wieder aus diesem Quarantäneraum geholt hätte.

Als wir aus Hanas Praxis kamen, wurde Tsume sofort von Mitgliedern des Inuzukaclans abgefangen. Ich wusste nicht, wohin ich sollte, deshalb nahm ich auf der Bank vor Kibas Haus Platz und blieb dort erstmal sitzen.

Mittlerweile war schon fast eine Stunde vergangen und langsam gab ich die Hoffnung auf, dass Kiba bald nach mir sehen würde.

Ob er wohl ernsthaft böse war?

Ich starrte auf meine Füße und dann wieder zu meinen Sachen, die neben der Bank gestapelt waren.

Gerade als ich dachte, ich könnte einen Blick in die Box von Kankuro werfen, zuckte ich zusammen, denn eine Hand berührte mich an der Schulter.

Kaze no Uta - Das Lied des Windes - Kankuro x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt