1. Ein Neustart

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Ich schaute mich in meinem neuen Zimmer um. Durch meine Möbel wirkte es nicht mehr so kahl, auch wenn mir die Wände ohne meine vielen Fotos, die in meinem alten Zimmer gehangen hatten, sehr leer vorkamen.

Ich war sehr zufrieden mit meiner Raumgestaltung, die ich lange geplant hatte.

Gegenüber von meinem Bett, das einen tollen Blick zum Fenster hatte und wo ich nachts die Sterne beobachten könnte, sollte mein riesiges Bücherregal hinkommen. Ich lächelte. Damit würde ein kleiner Traum für mich in Erfüllung gehen, da ich die Welt der Bücher der Realität vorzog.

Ich liebte es, mich in Geschichten zu verlieren und in fremde Welten einzutauchen. Manchmal wollte ich nicht einmal mehr in die Realität zurückkehren. 

In Büchern war einfach alles leichter, unbeschwerter.

Seufzend spielte ich mit meiner Kette. Sie erinnerte mich daran, dass ein Teil meiner Vergangenheit im Dunkeln lag. Nur wenige Dinge waren mir geblieben, unter anderem dieses vergoldete Schmuckstück mit der Aufschrift "Adara". Es lag sehr Nahe, dass Adara mein Name war, doch sicher sein konnte ich natürlich nicht.

Noch in Gedanken öffnete ich den ersten Karton mit der Aufschrift "Adara Kleiderschrank" und begann, meine Sachen in den Schrank zu räumen.

Wie viel zu oft in letzter Zeit stellte ich dabei Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Wer waren meine leiblichen Eltern? Wieso hatten sie mich weggegeben? Taten sie das freiwillig? Lebten sie noch? Hatte ich überhaupt eine leibliche Familie?

Ich schüttelte den Kopf, um das Gefühl der Nostalgie loszuwerden. Es brachte nichts, immer in der Vergangenheit zu leben, stattdessen wollte ich nach vorne schauen. Ein Umzug in eine neue Stadt brachte immer neue Chancen und ein Neustart war genau das, was ich jetzt brauchte.

Gerade als ich meine Klamotten fertig eingeräumt hatte, klopfte Kati sanft an die offene Tür und trat ein. "Ist alles in Ordnung, Liebes?", fragte sie vorsichtig.

Sie kannte mich besser als sonst jemand und konnte es fühlen, wenn mich etwas bedrückte. Seit ich denken konnte, war sie immer diejenige gewesen, der ich alles anvertrauen konnte. Obwohl ich nicht ihre leibliche Tochter war, hatte sie immer dafür gesorgt, dass ich niemals das Gefühl hatte, in irgendeiner Weise nicht genug zu sein. 

"Adara?", fragte sie wieder, als sie keine Antwort erhielt.

Ich schreckte hoch, als ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. "Achso, nein, alles gut", versicherte ich ihr schnell. "Ich war nur in Gedanken." Zaghaft schaute ich sie an.

 "Es... ist so... seltsam", setzte ich vorsichtig an. "Irgendwie muss ich ständig an die Vergangenheit denken. Ich weiß, dass es unnötig ist, aber ich stelle ständig Fragen, auf die ich keine Antwort finde. Es ist, als ob mich Erinnerungen einholen", versuchte ich, meine Gefühle in Worte zu fassen.

Lächelnd nahm die mich in die Arme. "Du weißt, dass wir dich lieben. Du wirst immer unsere Tochter sein, egal was geschehen ist, geschieht oder auch noch geschehen wird", sagte sie, während sie mir über die roten Haare strich. 

"Ich verstehe es vollkommen, dass du die Vergangenheit nicht einfach loslassen kannst. Sie wird nunmal immer zu dir gehören und ein Teil von dir sein, aber das sollte dich nicht davon abhalten, weiterzuleben."

Sie schaffte es, die richtigen Worte zu finden, um mich wieder zu entspannen und die Fragen in mir verstummen zu lassen. 

"Danke", murmelte ich an ihrer Schulter. "Ich hab dich lieb, Kati."

Sie lies mich los und lächelte mich an. "Es sieht hier schon gut aus. Wie wäre es, wenn du mit nach unten kommst und wir die Küche einweihen?"

"Wir?", fragte ich lachend und hob fragend eine Augenbraue. "Oder doch eher nur Marc und ich?" 

Kati war in der Küche nicht die beste, was kein Problem war, da Marc ein leidenschaftlicher Koch war und hier ein tolles Jobangebot in einem Sternerestaurant bekommen hatte.

Lachend gingen wir die Treppen nach unten, wo Marc schon verschiedene Zutaten rausgesucht hatte.

Ich schaute mir die Zutaten an und zählte sie leise auf. "Mehl, Eier, Salz, Milch..."

Ich stutzte. "Marc? On fait des crêpes?" (Machen wir crêpes?), fragte ich überrascht.

Marc hatte mir schon von klein auf seine Muttersprache, die französische Kultur und seine Familientraditionen beigebracht. Somit war ich immer zweisprachig aufgewachsen, obwohl nicht ganz klar war, was genau meine Nationalität ist.

"Bien sûr, chérie" (Natürlich, Schatz), antwortete er, während er eine Schüssel und einen Schneebesen aus der Schublade holte. "Was würde sich besser eignen, die Küche einzuweihen, als die Crêpes nach dem Rezept von Mamie?"

Die flammende TräumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt