8. Verhör und ungeahnte Wendung

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"Erzähl uns doch mal was über dich", forderte Elias mich auf.

Ich erstarrte kurz. Über mich gab es nicht viel zu erzählen, außerdem lagen wieder alle Augen auf mir. Nur Nemea war damit beschäftigt, Elias wütend anzustarren.

"Zu früh", zischte sie ihm leise zu, so leise, dass es normale Menschen nicht hören sollten. Doch seltsamerweise war mein Gehör bisschen besser als das der meisten, weshalb ich Nemeas Worte mitbekam.

Um Elias aus der Situation herauszuhelfen, sagte ich schnell: "Nein, ist schon okay. Mich stört das nicht."

Ich lächelte Elias an, welcher zu Nemea gewandt eine Augenbraue hochzog. "Siehst du, sie kann auch selbst antworten", meinte er in einem überlegenen Ton. Dann zwinkerte er mir verschwörerisch zu.

"Du hast ein echt gutes Gehör", kam es leise von Tammy. Es wunderte mich, dass ihr jetzt sowas auffiel, nachdem sie mich vorhin so abschätzig behandelt hatte.

"Jaaa", antwortete ich gedehnt. "War schon immer so. Ist irgendwas?"

Tammys eisblauer Blick bohrte sich in meinen, als sie nur mit den Schultern zuckte. "Diese Frage könnte ich eher dir stellen."
Was sollte das? War ich in einem Verhör oder wie?!

Alle anderen sahen sich hilflos und verzweifelt an, als Arda das Wort ergriff: "Sonst noch etwas, das wir über dich wissen sollten? Hast du irgendwelche Leichen im Keller oder bist eine international gesuchte Psychopathin?", fragte er in einem scherzhaften Ton, um die Stimmung aufzulockern. Dennoch sah sein Lächeln etwas gequält aus.

Das änderte nichts daran, dass mir kurz der Atem stockte, als sich unsere Blicke begegneten.

Um sowohl meine so ungewöhnliche Reaktion auf ihn, als auch die Tatsache, dass hier gerade definitiv etwas ablief, von dem ich nichts wusste, zu überspielen tat ich so, als müsste ich ernsthaft überlegen.

"Hmm... naja... eigentlich nicht. Ich bin eine mehr oder weniger normale Person, die mit ihren Eltern in eine neue Stadt gezogen ist." Ich sah ihnen an, dass sie sich alle bei dem Wort "Eltern" Blicke zuwarfen.

Das war alles mehr als seltsam. Fast so, als würden sie wissen, dass Kati und Marc nicht meine leiblichen Eltern waren.

"Eltern?", fragte diesmal Roxy. Ihre Stimme lies sich nichts anmerken, sie klang fast desinteressiert, wie nebenbei gefragt, doch anhand ihres Blickes merkte ich, dass sie ziemlich scharf auf diese Antwort war. "Keine... Geschwister oder so?", setzte sie hinterher.

"Ich habe keine Geschwister. Ich bin adoptiert", lies ich die Bombe platzen.

Erst dann merkte ich, dass ich mir unbewusst an die Namenskette gegriffen hatte und unruhig an ihr herumspielte.

Keiner sah wirklich überrascht aus, stattdessen machte sich Erleichterung breit. Als Nemea merkte, wie seltsam das alles auf mich wirken musste,  lenkte sie schnell ab. "Cool, dass du dich so gut mit ihnen verstehst."

"Stimmt", bejahte ich mit einem ehrlichen Lächeln. Sie hatte recht, Kati und Marc waren mir unglaublich tolle Eltern gewesen und mir hatte es niemals an irgendwas gefehlt.

"Weißt du eigentlich irgendwas über deine biologische Familie?", fragte Elias mit ehrlichem Interesse. 

Wieder einmal funkelte Nemea ihn wütend an, aber diesmal lag auch Fassungslosigkeit in ihrer Stimme. "Das ist doch nicht dein Ernst, Elias! Du kannst sie nicht solche Sachen fragen, erst recht nicht, wenn du sie erst eben Kennengelernt hast!"

Diesmal wirkte Elias tatsächlich geknickt, als sähe er ein, dass er zu weit gegangen war.
"Sorry", murmelte er kurz, ohne das klar wurde, ob das an Nemea oder mich richtete. 

Roxy seufzte neben mir. "Bitte verzeih Elias, er ist zwar eigentlich ein echt netter Kerl, weiß aber nicht, wann er zu weit geht. Dann kann er leider ein unsensibler Holzklotz sein."
Ihre Stimme klang erschöpft, so als würden sie dieses Thema nicht zum ersten mal durchkauen.

"Schon okay", meinte ich nur. Ich war Elias wirklich nicht böse, auch wenn die Frage schon ungewöhnlich war. 

In der unangenehmen Stille, die danach folgte, fanden meine Augen wie von selbst den grünen Blick von Arda, in dem ich sofort versank. Auch er lächelte mich entschuldigend an, als hätte ich Elias nicht schon längst verziehen.

Das Kribbeln in meinem Magen fing wieder an, als er sich auch noch die Locken aus den Augen strich und ich das Muskelspiel seiner Arme beobachten konnte.

"Freunde", meinte er dann mit Blick zum Himmel. "Ich will ja echt nicht den Spielverderber spielen, aber ich glaube, dass es gleich anfängt zu gewittern."

Und tatsächlich hatten sich über uns die Wolken bereits zugezogen und hatten einen bedrohlich dunklen Farbton angenommen.

Soviel zum schönen Wetter.

"Dann sollten wir langsam aufbrechen, würde ich sagen", meinte auch Roxy, nachdem sie einen Blick zu den Wolken geworfen hatte.

"Shit, ich schaffe es niemals so schnell nach Hause", murmelte ich.
So sehr ich Fahrrad fahren liebte, so sehr hasste ich es auch, im Regen zu fahren.

Nemea schien zu überlegen und warf mir einen entschuldigenden und geknickten Blick zu.
"Ich würde dich ja gerne zu mir mitnehmen, aber meine Eltern haben wichtigen Besuch da. So leicht kann ich dich nicht mitnehmen."

Wow. Ich war über dieses Vertrauen echt erstaunt. Ich war mir nicht sicher, ob ich ein fremdes Mädchen einfach so zu mir einladen würde, das ich erst heute kennen gelernt hatte.

"Kein Problem, trotzdem danke", seufzte ich und schnitt eine Grimasse. "Da werde ich wohl oder übel nass werden. Immerhin brauche ich nachher nicht duschen", scherzte ich.

Erst nachdem ich das ausgesprochen hatte, merkte ich, wie dumm das klang. Außerdem hatte es sich in meinem Kopf viel cooler und lustiger angehört.
Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn für diesen Kommentar.

Aber zum Glück hatten die anderen das nicht gehört.
Elias und Tammy falteten die Picknickdecke zusammen, auf der sie gesessen hatten bevor ich kam, und Roxy begann, aus ihrer Tasche eine Regenjacke hervorzukramen.
Wie zu erwarten in neongrün.

Ich war leider nicht so schlau gewesen, mir eine mitzunehmen.

Jemand berührte mich an der Schulter. Es war Arda.
Sofort begann die Stelle zu kribbeln und wurde ganz warm.

"Wenn du möchtest, kannst du gerne zu mir kommen, bis es aufhört zu regnen", sagte er. "Ich wohne nicht weit von hier und meine Familie stört das nicht."

Die Schmetterlinge in meinem Bauch eskalierten, als ich mir vorstellte, mit Arda alleine bei ihm zuhause zu sein.

In genau diesem Moment spürte ich den ersten Regentropfen auf meiner Haut.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, sagte ich schnell zu und hob mein Fahrrad auf.

Alle anderen waren auch schon aufbruchbereit.

Roxy, Elias und Tammy verabschiedeten sich schon hier von uns, da sie in die andere Richtung mussten - Tammy mit einem prüfenden Blick, Roxy mit einem Handschlag und Elias mit einem Zwinkern.

Dann gingen Nemea, Arda und ich auch los, bevor der Regen noch stärker wurde.

Die flammende TräumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt