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Nach ein paar unruhigen Stunden wachte ich aus meinem traumlosen Schlaf auf. Mürrisch drehte mich um, in der Hoffnung wieder einzuschlafen, doch mein Körper war wach und ließ mich spüren was er von meiner nächtlichen Aktion dachte.

Meine Muskeln schmerzten, mein Kopf pochte von zu viel Alkohol und meine Beine waren schwer wie Blei. Die letzte Nacht hatte meine restlichen Energiereserven verbraucht und dafür eine unstillbare Leere hinterlassen. Eine Leere die nur durch eine Person gefüllt werden konnte. Doch diese war schon lange kein Teil meines Lebens mehr und so musste ich mich mit der Leere arrangieren. Erschöpft schleppte ich mich unter die Dusche und drehte das Wasser so heiß auf, dass es auf meiner Haut brannte. Erst als mein ganzer Körper schmerzte, drehte ich die Temperatur herunter. Körperlich hatte ich mich genug gequält. Den Rest würde mein Kopf erledigen, da war ich mir sicher.

In den letzten Monaten war ich mit einigen Typen nach Hause gegangen um belanglosen Sex zu haben und häufiger hatte ich mich am nächsten Morgen schlecht gefühlt, doch mit der Zeit war ich abgestumpft und das schlechte Gefühl danach hatte nachgelassen. Sex war zu meinem Heilmittel gegen die Einsamkeit geworden.

Warum ich mich ausgerechnet heute Morgen schlechter fühlte als sonst, konnte ich mir selber nicht beantworten. Vielleicht hatte es daran gelegen, dass er ihm so verdammt ähnlich gesehen hatte. Dieselbe Haarfarbe, dieselben blauen Augen und die gleiche Körperstatur. In der dunklen Bar hatte er ihm so ähnlich gesehen, dass ich für einen Moment tatsächlich geglaubt hatte, er würde vor mir stehen. Doch der Fremde legte eine unerträgliche Arroganz an den Tag, die man niemals bei ihm gefunden hätte. Trotzdem hatte ich mich auf ihn eingelassen um für ein paar Stunden die Illusion zu erschaffen, dass sich nichts geändert hatte.

Ja, ich hatte mich Gestern zu sehr von meinen Gefühlen beeinflussen lassen. Und jetzt zahlte ich den Preis dafür.

Das klingeln meines Handys unterbrach meine Gedanken. Seufzend stellte ich das Wasser ab, stieg tropfend aus der Dusche und nahm ab.

"Hallo?"

"Hey, Mia!" An ihrer Stimme erkannte ich sofort,dass etwas nicht stimmte.

"Karla, was ist los?" Im Hintergrund konnte ich Gemurmel hören. Geduldig wartete ich auf eine Antwort.

"Also...", druckste Karla herum. „Vielleicht erinnerst du dich daran, dass wir heute Abend verabredet waren, weil...also...naja heute ist der Tag. Aber Stefan hat mich gefragt ob wir heute Abend ganz romantisch Essen gehen und einen Film gucken. Und du weißt ja, dass es in letzter Zeit nicht so gut zwischen uns gelaufen ist..." Ihre Worte überschlugen sich förmlich, bis sie den Satz abbrach.

'Nicht so gut war' maßlos untertrieben. In den letzten Monaten hatten sich Karla und ihr Freund, Stefan, ununterbrochen gestritten, er war kurzzeitig ausgezogen, hatte sie betrogen, nur um sie dann auf Knien anzuflehen ihm und ihrer Beziehung noch eine Chance zu geben. Karla hatte ihn, gegen meinen Ratschlag, wieder einziehen lassen.

„Karla, du weißt wie wichtig  dieser Tag für mich ist.", versuchte ich sie zu erinnern, „Ich weiß nicht wie ich ihn ohne meine beste Freundin überstehen soll." Meine Stimme nahm einen, für mich untypisch, kläglichen Ton an.

„Ich weiß, aber versteh doch wie wichtig es für mich ist. Es läuft schon lange nicht mehr so perfekt zwischen Stefan und mir, das möchte ich nicht wieder kaputt machen. Sei mir nicht böse."

Am liebsten wäre ich zu ihr gefahren und hätte sie geschüttelt. Stefan war derjenige gewesen, der ihr solange abfällige Dinge an den Kopf geworfen hatte, bis Karla weinend zu mir flüchtete. Der sie betrogen hatte, nur zwei Stunden nachdem er seine Sachen gepackt und gefahren war. Nicht Karla. Und trotzdem machte sie sich für Dinge verantwortlich, deren Schuld eindeutig bei Stefan lagen.

„Karla...", begann ich erneut, brach dann den Satz ab, denn ich wusste, ich würde ihre Meinung nicht ändern können.

„Es tut mir leid." Ihre Stimme war kaum mehr als ein flüstern.

Verletzt legte ich auf.

Heute wären Paul und ich vier Jahre zusammen gewesen. Wenn er nicht vor Zehn Monaten wie aus dem Nichts Schluss gemacht hätte. Von einen auf den anderen Tag hatte er meine Nachrichten ignoriert, hatte nicht abgenommen wenn ich anrief und die Türe nicht aufgemacht als ich stundenlang klingelte. Er hatte mich komplett aus seinem Leben gestrichen. Und ich wusste nicht wieso. Vielleicht war mir deswegen das Ende unserer Beziehung so schwergefallen. Vielleicht aber auch, weil ich ihn liebte wie niemanden zuvor.

Verletzt von Karlas Anruf drehte ich erneut die Dusche auf und hoffte mit dem Wasser meine Gefühle weg zu waschen. Das pochen in meinem Kopf hatte nachgelassen und auch meine Muskeln entspannten sich als das heiße Wasser mich erneut umgab.

Zum ersten Mal zweifelte ich daran, ob mein Lebensstil mich wirklich vergessen ließ oder ob alles einer große Ablenkung diente, damit ich mich unter keinen Umständen mit meinen Gefühlen auseinandersetzten musste.

Seitdem Paul mich verlassen hatte, hatte ich mich ins Nachtleben gestürzt. Ich feierte, trank und rauchte bis zum abwinken. Ich schlief jeden Tag mit einem anderen Kerl der gewillt war, mir seine Aufmerksamkeit für eine Nacht zu schenken. Wochenlang war ich auf der Flucht vor dem Gefühl der Einsamkeit, dass mich begleitet, sobald ich zur Ruhe kam.

Nach anderthalb Monaten hatte Karla mir gedroht, meinen Eltern von meinen Eskapaden zu erzählen. Denn Karla wusste ganz genau, was für ein Abkommen ich mit ihnen getroffen hatte. Ich hatte in eine fremde Stadt ziehen dürfen, in der ich studierte und solange ich vorbildliche Noten vorzeigen konnte, unterstützten sie mich finanziell. Jetzt hatte ich seit knapp einem halben Jahr meinen Bachelor und meine Eltern verlangten von mir einen Plan für die Zukunft. Hätte Karla ihnen erzählt, wie ich die Zeit nutzte, in der ich mich mit meiner Zukunft auseinander setzten sollte, hätten sie mich unverzüglich zurück zu sich geholt. Ich hatte Karla versprechen müssen, meine Abenteuer auf das Wochenende zu verschieben und unter der Woche nüchtern und abstinent zu leben.

Jetzt wachte ich zwar unter meiner Decke und in meinem Bett auf aber dafür wurde ich jeden Morgen von der harten Realität erschlagen. Jedes Mal, wenn ich das leere Bett neben mir erblickte, wurde mir wieder und wieder bewusst, dass es keinen Paul in meinem Leben mehr gab, der mich morgens im Halbschlaf umarmte und mir Geborgenheit gab. Nur mich und die Kälte.

Genau deshalb hatte ich Karla vor Wochen gebeten, den Tag heute mit mir zu verbringen. Ich hatte geahnt, dass mich, egal, wie viel Ablenkung ich zuvor hatte, der Tag aus der Bahn werfen würde. Das sie mich jetzt für ihren heuchlerischen Freund versetzte, tat weh.

Ich war so verletzt von Karla, die mich hängen ließ und so wütend auf Paul, dem die ganze Situation zu verdanken ist, dass ich tropfend nass aus der Dusche stieg, nach meinem Handy griff und Jochen anrief. Er würde bestimmt Karlas Platz einnehmen.

„Mia, du lebst ja noch. Hatte schon gedacht ich höre nichts mehr von dir." Ertönte eine tiefe Stimme, die mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte.

„Wie könnte ich dich denn vergessen?", gab ich charmant zurück.

Jochen lachte leise.

„Ich dachte ich rufe dich mal an und Frage wann du wieder in der Stadt bist.", sprach ich weiter.

„Du hast Glück. Ich bin gestern gelandet und hatte vor dich heute Abend zu sehen."

„Falls du überhaupt Zeit hast.", setzte er hinterher.

Ich wartete einige Sekunden ab bis ich antwortete.

„Zufälligerweise habe ich heute Abend noch nichts geplant."

„Alles klar! Dann hole ich dich Punkt Neun Uhr ab. Es gibt einiges zu erzählen!"

PoppyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt