Schicksalsberg

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Es wäre so einfach gewesen. Frodo hätte nur den Ring der Macht in den lodernden Flammen des Schicksalsbergers vernichten müssen und Sauron und seine tödliche Streitmacht wäre für immer zerstört worden.

Doch der Ring hatte bereits zu viel Macht über seinen Besitzer erlangt und fraß sich langsam in das Unterbewusstsein seines Trägers.

Es war unerträglich heiß. Die beiden geschwächten Hobbits konnten sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten. Die Luft flimmerte vor ihren Augen.

Und so standen sie da. Sam nur wenige Meter vom Eingang entfernt, Frodo am Ziel seiner langen und schmerzhaften Reise. Frodo war wie gelähmt. Er hörte diese Stimme im Kopf: „Tu es nicht!" Die Stimme kam ihm so vertraut vor, so warm und ehrlich. „Behalte mich. Zusammen werden wir ewig leben."
Ja, der Ring hatte Recht. Wieso sollte er so etwas mächtiges und wertvolles einfach vernichten? Es ist sein Schatz! Alle wollen ihm seinen Schatz nehmen. Aber es ist sein Schatz, sein Schatz!

Sams Füße brannten aufgrund der unerträglichen Hitze im Berg. Was war nur los mit Frodo? Mehrmals hat Sam bereits den Namen seines besten Freundes gerufen, doch der war wie erstarrt. Er musste doch den Ring nur noch ins Feuer werfen. Dann wäre ihre lange und kräftezehrende Reise zu Ende. Doch worauf wartete er noch? Als sich Frodo endlich umdrehte, bekam es Sam auf einem Schlag mit der Angst zu tun. In Frodos Augen sah man nur noch Wut und Hass. In seiner rechten Hand hielt er den Ring der Macht zwischen seinem Zeigefinger und Daumen. Der Zeigefinger der linken Hand war nur noch wenige Zentimeter vom Ring entfernt. Aus Frodos Mund kamen nur zwei Wörter, die Sams Blut in den Adern gefrieren ließen. "Mein Schatz!"
Sam wusste, er musste handeln. So schnell ihn seine kleinen Hobbitfüße ließen, lief er los in Richtung Frodo. Sein Freund hatte offensichtlich den Verstand verloren. Sie waren doch so kurz vor dem Ziel.

Frodo wusste, dass er das Falsche tat. Er wusste, dass er sich gegen den Ring wehren musste. Er wusste, dass er stark sein musste. Doch der Ring war stärker.

Sam brauchte vielleicht noch drei, vier Meter. Doch er kam zu spät. Frodo steckte den Ring an seinen Finger und war von der einen Sekunde auf die andere unsichtbar. Er war einfach weg. Sam lief trotzdem durch. Vielleicht hat er Glück und Frodo hatte sich noch nicht von der Stelle bewegt. Doch dem war nicht so. Sam lief ins Leere. Er konnte es einfach nicht fassen. Sollte die lange Reise etwa tatsächlich umsonst gewesen sein? Sam rief noch einmal laut Frodos Namen, dann brach er unter Tränen zusammen und ließ sich auf seine Knie fallen. Er wusste, es war vorbei. Frodo würde nicht mehr zurückkehren. Er hatte ihn an den Ring verloren.

Doch Frodo war näher, als Sam lieb sein sollte. Er stand gerade einmal einen Meter hinter Sam. Da kniete er nun, sein bester Freund. Nein, sein ehemals bester Freund. Der Ring war jetzt sein Freund, sein einziger Freund. Doch er hatte noch Gefühle für Sam. Die Abenteuer, die er die letzten Wochen mit Sam erlebt hatte, die fröhliche Zeit im Auenland, die ewige Freundschaft, die die beiden verbindet. All das drängte sich langsam an der Dunkelheit des Ringes vorbei. Der Ring wusste, er musste handeln. 

"Er will dir nur deinen Schatz nehmen. Er will deinen Schatz nur für sich haben. Aber es ist dein Schatz. Dein Schatz ganz alleine."

Es war geradezu zu einfach für Frodo. Sam kniete am Rande des steineren Weges im Berg, hatte ihm den Rücken zugekehrt und ahnte vor lauter Trauer gar nicht, dass jemand hinter ihm stand. Doch selbst, wenn er etwas geahnt hätte, er hätte Frodo sowieso nicht gesehen. Ein einzelner Fußtritt in Sams Rücken und er war verschwunden. Mit einem Schlag wurde es still um Frodo. Er dachte er hätte den Ring ganz für sich alleine. Doch er sollte noch früh erkennen, dass dem nicht so war.

Der Tritt kam für Sam überraschend. Anfangs realisierte er gar nicht, was eigentlich geschehen war. Er spürte den Schmerz im Rücken nicht. Es ging alles so schnell, doch es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Die 30 Meter, die er fiel, kamen ihm vor wie 30 Tage. Er sah sein Leben an sich vorbei ziehen. Seine Geburt, an die er sich nur noch wage erinnerte, seine Eltern, insbesondere das glückliche Gesicht seines Vaters. Seine ersten Schritte im Auenland, seine Freunde, Familie und Verwandte. Er sah sich und Frodo. Frodo. Selbst jetzt im Augenblick seines Todes spürte er keinen Hass, keine Wut. Er spürte nur Trauer. Trauer über sich selbst, dass er seinem Freund nicht helfen konnte. Sams letzter Gedanke galt Frodo. Auch wenn er es ihm nicht mehr sagen konnte, er war stolz Frodo als Freund zu haben.

Der Aufstieg SauronsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt