Leseprobe

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Prolog

Nach knapp vier Stunden aufreibender Autofahrt erreiche ich endlich London. Nicht nur das Wetter, es gießt in Strömen, sondern auch mein heißgeliebter, aber in die Jahre gekommener VW Golf sind mir heute nicht wohlgesonnen.

Der Wagen zickt und das Armaturenbrett leuchtet heller als ein Weihnachtsbaum. Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Warnleuchten gibt. Angespannt erreiche ich mein Ziel, lenke den Wagen in den Innenhof des großen Wohnkomplexes, der ein U bildet und blicke stirnrunzelnd durch die Frontscheibe.

Dafür habe ich also mein Zuhause in Manchester, mit Blick auf Grün verlassen und eine sichere Anstellung für einen gewagten Neustart aufgegeben? Ich tausche mein altes Leben in einer Stadt mit etwa einer halben Million Einwohner ernsthaft gegen ein Leben in London und teile mir dies künftig mit Neun Million anderen Menschen? Ja, ich halte mich selbst für verrückt!

Die Entscheidung umzuziehen und neu zu beginnen ist mir schwer- und gleichzeitig leichtgefallen. Nichts hält mich mehr in meiner alten Heimat, mal abgesehen von meinem Lieblingsfußballverein, aber ansonsten habe ich dort nichts mehr, wofür es sich zu bleiben lohnt.

Ein wenig trostlos blickt mir das graue Gebäude entgegen und zeigt sich nicht gerade von seiner besten Seite. Ich werfe einen kurzen Blick auf den Rücksitz und runzle meine Stirn. In vier Kartons, zwei Koffern und drei Reisetaschen befindet sich mein komplettes Leben. Irgendwie traurig, denn mehr besitze ich nicht.

Noch einmal gleitet mein Blick in den Regen hinaus und ich beschließe abzuwarten und meine Sachen bei trockenem Wetter in die Wohnung zu schaffen. Ich schnappe mir die Handtasche vom Beifahrersitz, verlasse das Auto und sprinte durch den Regen.

Völlig durchweicht und außer Atem bleibe ich vor den Klingelschildern stehen. Laut dem Vermieter kann ich meinen Schlüssel bei einer gewissen Sadie Jones abholen.

Nach kurzem Suchen finde ich eben diesen Namen und drücke ein paar Sekunden auf die Klingel.

„Hallo?", ertönt es fröhlich aus dem kleinen Kasten. „Hi. Ich bin Reese King und ich soll bei einer Sadie Jones den Schlüssel zu meiner Wohnung holen."

„Ja das bin ich. Dritter Stock, Apartment 30b", erklärt sie mir und keine Sekunde später ertönt ein Summen. Ich drücke die Tür auf und betrete neugierig den Eingangsbereich.

Während ich auf den Fahrstuhl warte sehe ich mich überrascht um. Von außen potthässlich, Triest und grau erstrahlt das Gebäude von innen freundlich und gepflegt in warmen erdigen Farben.

Im dritten Stock angekommen, suche ich anhand der Türschilder nach dem genannten Apartment und noch ehe ich klopfen kann, wird die Tür von einer herzlich strahlenden Blondine aufgerissen.

Perplex lasse ich meine Hand wieder sinken und mustere sie einen Moment. Sie scheint in meinem Alter zu sein und ganz offensichtlich hat sie ein Faible für die Hippie-Zeit.

„Hi, ich bin Sadie", sagt sie und streckt mir freundlich ihre Hand entgegen, „du bist Reese? Reese King? Ich hatte einen Mann erwartet."

Erstaunt kräuselt sie die Nase und ich ergreife vorsichtig lächelnd ihre Hand. „Ja, ich bin Reese und nein, ich bin kein Mann", antworte ich Schulterzuckend. Ich bin es mittlerweile gewohnt, dass die Leute mich erst für einen Mann halten und dann umso überraschter sind, wenn ich auftauche.

„Cool! Hier ist dein Schlüssel. Komm mit, ich zeig dir deine Wohnung." Sie hält mir kurz den Schlüssel unter die Nase, ehe sie ihre Tür zuzieht und auf die Wohnung direkt neben der ihren deutet. Sie öffnet die Tür und ich folge ihr in den schmalen Flur. Auf den ersten Blick sieht es nach nichts Besonderem aus. Aber was braucht man schon Großartiges?

Ginger - Cure The Past (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt