Nummer 9, auf eine Safari gehen

16 1 0
                                    

Die Sonne brennt runter, die Luft ist heiss und die trockenen, gelben Gräser bewegen sich leicht im Wind. Der Truck rumpelt über am Boden liegende Äste und die zahlreichen Schlaglöcher erleichtern die Fahrt nicht. Der Reiseleiter stoppt den Truck vor einer Horde Zebras. Hailees kleine Schwester quickt vor Aufregung. Ach wie schön hat man es noch mit sechs Jahren! Das Leben ist dann noch so sorglos und einfach. Ihre Eltern wollen Hailees krankes Herz vor Amy-Hailees Schwester,-verschweigen. Hailee kann diese Entscheidung nicht ganz nachvollziehen, nicht nur weil sie eher der Realist ist, aber vor allem, weil sie ihrer kleinen Schwester nichts verheimlichen möchte. Wie dem auch sei, seit dem Konzert sind 15 Tage vergangen und sie hat immer noch acht Punkte auf ihrer Bucket List übrig. Sie hofft, dass sie wenigsten vor ihrem Tod alles abarbeiten kann, doch wird das nicht so leicht...

Als ihre Familie wieder auf dem Campus ankommt, fällt ihr auf, dass ein riesiger Car auf dem Parkplatz vor dem Resort steht. Der Car ist in einem dunklen Blau gehalten und die Scheiben sind verspiegelt. "Das sind bestimmt reiche Leute" mutmasst ihr Vater. Ihre Mutter lacht daraufhin nur und antwortet: "Reichtum ist nicht alles."
Plötzlich ist es Hailee danach, auf den Aussichtspunkt zu spazieren, der einen wunderschönen Ausblick über die ganze Steppe birgt. Sie teilt es ihren Eltern mit und verspricht, vor dem Abendessen wieder in ihrer Hütte zu sein.

Schnaufend wie ein Nashorn tappt Hailee die gefühlte tausend Stufentritte nach oben. Das schwüle Klima und die heisse Lufttemperatur tragen nicht dazu bei, dass der Aufstieg besser geht.  Ihr Herz hämmert wild in ihrer Brust und sie spürt jeden Atemzug. Sie sieht schon die letzte Stufe als sie plötzlich auf die Knie sinkt und wild anfängt zu atmen. Da der Aufprall überraschend gekommen ist, schreit und flucht sie zur selben Zeit. Zuerst bemerkt sie nur ihre blutiges Knie, doch danach spürt sie ihr Herz. Es schlägt wie wild, doch meint sie zur gleichen Zeit, dass es stehen bleiben würde. Es ist ein unerträglicher Schmerz. Sie drückt sich mit der einen Hand auf die Brust und ächzt, während dem sie probiert aufzustehen. Plötzlich sieht sie eine Hand vor ihren Augen. Erstaunt blickt sie hoch und traut ihren Augen kaum: Vor ihr steht Bradley! Wie schon auf dem Konzert halten seine schokoladenbraune Augen sie im Bann. Die Sonnenbrille, die seine kräftigen Haare zurückhalten, reflektiert den roten Abendhimmel. Er scheint wohl auch genau so erstaunt zu sein wie sie, denn er zuckt für einen kurzen Moment zusammen, lächelt leicht und sagt dann: Hi, ich heisse Bradley." Das nächste geschieht  blitzschnell: Als Hailee ihm die Hand geben wollte um sich vorzustellen, sackte sie zusammen und krümmt sich vor Schmerz im trockenen, staubigen Sand. Sie will sich ja nicht vorstellen, was das für ein Bild sein mag... An das nächste kann sie sich nicht mehr erinnern, denn es wird schwarz vor Augen...

Vor ein paar Stunden war er noch im immer nassen London und jetzt geniesst er den Ausblick auf die Savanne von Afrika. Die grünen, in der Sonne badenden Baumkronen der Akazien, erinnern ihn an sein Waldmädchen, die mit den waldgrünen Augen vom letzten Konzert. Er schiebt seine Sonnenbrille auf den Kopf, als er plötzlich aus der Richtung der Treppen Steine knirschen hörte und daraufhin ein Fluchen. Es war aber nicht das Fluchen, dass seine Aufmerksamkeit erregt, sondern das plötzliche kribbeln in seinem ganzen Körper- so wie auch am letzten Konzert. Neugierig geht er auf die Geräuschequelle zu und sieht schon von weitem, dass es sich um ein Mädchen handelt. Ihre langen Haare lassen ihn keinen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Er streckt ihr die Hand hin. Sie blickt neugierig hoch und dann- Das kann doch nicht sein! Das Gefühl von vorher hat ihn nicht getäuscht! Es ist  sein Waldmädchen! Sie ist ebenso erstaunt wie er, doch als sie ihm die Hand entgegenstreckt und er sie schon fassen will, sackt sie in sich zusammen und fängt an zu wimmern. Es tut ihm weh, sein Waldmädchen, was am Konzert so fröhlich und unbesorgt zu seiner Musik mitsang, jetzt so zu sehen. Ohne gross zu überlegen hebt er sie hoch, und rennt die Treppen hinunter. Als er am Fuss des Berges ankommt, ist er für eine kurzen Moment ratlos, was er nun machen sollte. Er blickt zuerst auf sein Waldmädchen hinunter, die sogar ohne Bewusstsein an Qualen zu leiden hat, und schaut sich dann suchend um. Er könnte zur Rezeption rennen... Es ist wohl die beste Idee. Als er schon losrenne will, hört er eine Frauenstimme schreien: "Hailee!" Bradley schaut erstaunt zu der Frau hin und erkennt an ebenfalls so grüne Augen wie von seinem Waldmädchen, dass es wohl ihre Mutter sein muss. Die Frau rennt zu ihm hin und sieht verzweifelt auf ihre Tochter runter. Ihre Augenbrauen sind nach oben gezogen, ihre Hände sind vor ihrem Mund. Sie wimmert leise. "Pack unsere Sachen, Hank. Wir müssen sofort zum Flughafen. Hailee geht es nicht gut." Ihr Handy hat eine fröhliche Hülle; viele bunte Blumen verzieren den Hintergrund und im Vordergrund ist der Spruch: "Be Happy, don't worry." aufgedruckt. "Ma'am, wir können meinen Privatjet nehmen. Wohin soll es denn gehen?" Brad hat Mitleid mit der Frau und ihrer Tochter. Erstaunt blickt die Frau auf. Sie bemerkt ihn wohl erst jetzt. "Ich möchte dir keine Umstände machen." Sie blickt wieder auf Hailee, eine Träne kullert ihre Wange hinunter. "Sie..." Ein Schluchzten unterbricht ihren Satz. "Sie wird bald sterben. Ihr Herz ist krank, doch ihre Seele ist noch so jung." Ihre Worte schockieren ihn. Das heisst dann, Hailee war an seinem Konzert auch schon krank. Sie wirkte da noch so fröhlich... "Ma'am, wir können wirklich meinen Jet nehmen." Die Frau schaute ihn an. "Es sollte nach London gehen...In das Krankenhaus für Herzchirurgie." Als der Vater mit einem etwa sechsjährigem Kind im Arm zu rennen kommt, beendete die Frau ihren Satz: "Wir...wir wären sehr froh, wenn wir mit Ihnen reisen dürften." 

Der Jet ist blitzschnell beladen und schon sitzen alle im Jet. Das Flugzeug hebt ab. Die Savanne ist mittlerweile in ein tiefes blaut getränkt. Die Hitze des Tages liegt noch in der Luft.  Die Akazien werden immer kleiner bis nur noch ein sandgrüner Teppich der Savanne zu sehen ist. Brad löst sich vom Fenster und schaut Hailees Eltern an. Sie heben sich gegenseitig im Arm, die Mutter döst leicht und wirkt zehn Jahre älter. Das Kind schläft auf dem Schoss des Vaters und nuckelt leicht am Finger. Ihre blonden, feinen Haare sind wild zu zwei Zöpfe geflochten. Hat Hailee ihrer Schwester heute morgen noch die Haare geflochten? Hailee liegt hinten im Jet, an einer Infusion, die die Familie vom Krankenhaus bekommen hat, falls so etwas geschehen sollte. Brad durchbricht leise das Schweigen: "Wie lange wird sie noch zu leben haben?". Der Vater antwortet mit einer rauen Stimme: " Die Ärzte sagten, sie habe noch etwa 100 Tage zu leben. Aber da war ihr Zustand noch viel besser. Nun wissen wir nicht, was diese erneute Verschlechterung ihres Zustandes zu bedeuten hat." 

Sie läuft in hohen, trockenen Gräser. Der Sand unter ihren Füssen ist staubig trocken. Die Sonne brennt runter und lässt den Horizont unter ihrer Hitze flimmern. Die Akazien leuchten in den Sonnenstrahlen und Savannenvögel suchen Schatten unter ihnen. In der Ferne weiden Zebras, ein Löwe sonnt sich auf einem niedrigen, rostroten Stein. Es ist ruhig, sie fühlt sich schwerelos. Plötzlich findet sie sich zwischen einer Felsspalte. Ihre Brust wird eingedrückt, sie bekommt fast keine Luft. Sie fängt an zu schreien, doch kommt kein Mucks aus ihrem Mund. Dann fällt sie. Um sie herum ist es schwarz. Am Ende des Ganges ist ein heller Fleck. Sie kommt ihm immer näher... Dann urplötzlich: Sie fühlt sich geborgen, starke Arme halten sie. Haben sie vom Fall gerettet. Sie hört eine warme, tiefe, zarte Stimme...

Hailees Vater ist fast am Ende von Hailees Geschichte angekommen, als beide von einem Geräusch unterbrochen werden. Sie sehen im Durchgang zum Schlaftraum Hailee stehen. "Boah, hab ich Kopfschmerzen..." Sie massiert sich mit einere Hand die Schläfe. Torckelnd möchte sie zu ihrem Vater laufe. Sie stützt sich an den Sitzen ab. Ihr Vater geht zu ihr, stützt sie.  Hailee wusste, was geschehen ist. Sie schreckte vor etwa einer Minute aus ihrem komischen Traum auf, und erinnerte sich, was geschehen ist. Allerdings ist sie überrascht, wo sie sich jetzt befindet. Sie schaut sich nochmals genauer um: Sie stützt sich auf einem hellgrauen Ledersessel ab, rechts von der Sitzreihe ist ein rundes Fenster. Draussen ist nur ein Wolkenmeer ersichtlich. Die Wand ist in einem hellen Holz gefasst. Der Boden ist mit einem beigen Teppich ausgelegt. Der eher schmale Raum ist schlicht eingerichtet, doch es hat alles, was es braucht um gemütlich zu wirken. Sie lässt ihren Blick weiterwandern und sieht...Brad! Er schaut sie ebenfalls an, in seinem Blick liegt Erstaunen, aber auch Besorgnis. Neben ihm sieht sie den Hinterkopf ihrer Mutter. Sie sitzt auf einer hellgrauen Sitzreihe, offenbar schläft sie, denn sie bewegt sich nicht. "Hailee, Mr. Simpson hat uns nach deinem Zusammenbruch seinen Privatjet angeboten, um dich nach London zu bringen." Ihr Vater schaut sie besorgt an und streichelt ihren Rücken. "Dad, hör zu." Da Hailee ihre leise Stimme bemerkt, räuspert sie sich und fährt fort: "Ich möchte nich ins Krankenhaus. Du weisst doch, ich hatte schonmal solche Zusammenbrüche. Die Ärzte können mir nur eine schlechtere Diagnose geben. Ich möchte nicht gehen. Ich kämpfe, ich lebe, ich geniesse meine letzten Tage. Der Gang ins Krankenhaus wäre nur Verschwendung!" Sie findet, sie hat diese kurze Rede überzeugend dargestellt. "Aber..." demonstriert ihr Vater. "Nein, bitte Dad. Lass mich leben." Sie wollte sich nicht so grob anhören, deshalb fügt sie noch sanfter hinzu: "Das, bitte. Du weisst, dass ich recht habe.". 

Aus dem Ecken ertönt die Stimme ihrer Mutter. Mit verstrubbelten Haare und tränen in den Augen rennt sie mit offenen Arme auf Hailee zu. Sie schenkt ihr eine dicke Umarmung. "Hailee, meine Kämpferin, mein Kind. Hank, wir sollten vielleicht auf unsere Tochter hören. Sie hat recht. Es würde keinem was bringen ausser mehr Kummer."  Endlich sieht ihr Vater ein und fragt sie: " Was ist als nächstes auf deiner Bucket-List?" Hailee lacht kurz auf und umarmt ihre Eltern: "Ich wäre damit zufrieden, wenn wir die Zeit geniessen können." 
Brad horcht bei den Worten ihres Vaters auf. Sie hat eine Bucket-List? Er ist enttäuscht, als sie offenbar nicht den nächsten Punkt nennt. Er muss alle Punkte unbedingt herausfinden. Offenbar gibt sich Hailees Vater damit zufrieden, zur Enttäuschung von Brad. Brad fällt auf, dass die ganze Familie müde aussieht. Wieso ist ihm nicht früher eingefallen, dass er ihnen die Schlafräume und das Badezimmer zeigt? Es ist ihm peinlich, das erst jetzt zu erwähnen: "Wenn ihr wollt, könnt ihr dort hinten, " er zeigt auf eine Tür, die kaum aufgefallen ist, da sie aus dem selben Holz besteht wie die Wand, "euch zum Schlafen fertigmachen. Und dort hinten, " er zeigt auf eine Tür nach dem Durchgang wo Hailee hinauskam, "sind viele Schlafmöglichkeiten. Ihr könnt euch einfach irgendwo hinlegen." 



Why? Ein Herz und zwei SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt