Prolog

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                                                                             27.10.1955

Liebes Tagebuch,
Fast zehn Jahre habe ich dich nicht mehr geöffnet, geschweige denn dir berichtet .
Zu viel Angst hatte ich vor dem, was ich dir einst erzählte.
Aus einer Zeit, welche sich mittlerweile in Asche und Schutt verwandelt hat.
Eine Zeit aus Leiden, Fürchten, Zittern und grässlichen Toden.
Wenn du dir nur vorstellen könntest, wie lange ich dich immer wieder aus meinem kleinen Sesselchen hinaus beobachtete, jedoch nie wagte dich zu berühren.
Zu sehr schmerzten mich die Erinnerungen, an ihn, Mutter, Vater , Annabel und Hans.
Zu sehr begann mein Herz zu rasen, als dass ich es hätte vollbringen können und mich zurück in jene Momente zu werfen.
Und nun sitze ich hier, eine Frau, Mitte ihrer Dreißiger, noch immer verängstigt.
Es quält mich und doch bin ich fasziniert.
Die Welt, wie ich sie als 13- jähriges Mädchen kennengelernt hatte, welche nur wenige Wochen später, die erste große Veränderung erlitt, sah so anders aus, wie ich sie jetzt betrachte .
Während ich dir dies hier schreibe, fühle ich Tausende von kalten Schauern meine Wirbelsäule hinabfahren, ohne dass ich bisher auch nur eine Seite zurückgeblättert habe .
Ob ich es bereuen werde ?
Ich weiß es noch nicht


Deine Lissi

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