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Ich schaudere.

Seit einer Viertelstunde hat es angefangen, große, schwere, Regentropfen zu regnen. Die Welt war dunkel geworden, die Sterne sind aufgetaucht und der Wald hat sich mittlerweile verdichtet. Joel scheint aber nicht vorzuhaben, stehenzubleiben. Ich bin fast dabei, ihn zu fragen, ob es noch lange dauert, aber er ist schneller. Er fängt an noch bevor ich einen hauch herausgelassen habe. "Hier müsste es sein." Ich kann es noch nicht sehen, Joel verdeckt mir die Sicht, und außerdem habe ich ihn noch lange nicht erreicht. Als ich dann neben ihm zu stehen komme, erwarte ich, es zu sehen. Stattdessen stehen wir vor einer Lichtung. Sie erstreckt sich mindestens über einen guten Kilometer, und hört auf wie sie anfängt: mit einem dichten Wald der sich noch weiter hinausstreckt. Ich miss wohl einen ziemlich verständnislosen Blick haben, denn Joel lächelt. Er hat ein nettes Lächeln, seine Mundwinkel biegen sich leicht nach oben, seine Augen bekommen leichte Lachfalten und auf seinen Wangen ist ein leichtes Anzeichen von Grübchen. Sein Lächeln, fällt mir auf, ist ein völliger Konstrast zu seinen sarkastischen Unterton, den er sonst immer in seiner Stimme mitträgt. "Okay, ich sehe eine Lichtung," fange ich an, als spielten wir 'Ich sehe was, dass du nicht siehst.'

"Alles was du siehst ist... nichts, nicht wahr?" Ich nicke langsam.

"Dacht ich's mir doch." Er lächelt wieder, diesesmal schwingt doch etwas Sarkasmus mit.

Bevor ich überhaupt reagieren kann, legt er seine Hand vor meine Augen. Und als er sie wieder wegschweift, fühlt es sich an, als würde ein Schleier vor meinen Blick liegen.

Vor mir erstreckt sich nicht mehr eine leere, weite Wiese. Ein Haus pragt vor mich hin. Nein, Haus ist nicht das richtige Wort. Palast, ja, das ist es. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Buckingham Palace erkenne ich bei näherem Betrachten. Die Säulen sind elegant geschwungen, die Tür steht offen, gibt den Blick auf einen Teil der Eingangshalle frei. Die Treppen, die zur Tür führen sind märchenhaft, gläsern und zeigen sich prächtig vor mir. An den Seiten stehen Marmorstatuen, und ich erkennte einige populäre Dichter, aus dem griechischen, römischen und ägyptischen reich. Einige, jedoch, sind mir unbekannt.

Somnium maiorum

Die Inschrift auf dem Türpfosten ist das, was am meisten hinaussticht, jedoch bemerke ich es nur jetzt. Ich kratze mein hängengebliebenes Latein zusammen und übersetze;

Träume unserer Vorfahren.

"Träume unserer Vorfahren," wispert Joel, als hätte er nicht genung Atem, um es zu sagen. Als schaffe er es nicht, das Wort auszusprechen und er müsse es hauchen.

Für einen Moment sieht er aus, als wäre er ohne Wörter geblieben, als hätte ihm der Anblick die Fähigkeit genommen, zu sprechen. Im nächsten Moment ist er wieder in sich selbst zurückgekehrt und sagt, diesemal etwas lauter: "Es nimmt mir jedes Mal den Atem." Er beginnt, die Treppe hinaufzulaufen, zwei Stufen auf einmal nehmend. So ist er in einen Augenblick oben. "Kommst du?" ruft er, ohne sich umzudrehen, sondern wirft mir nur einen Blick über die Schultern zu. Ich zögere. "W-Was hast du gemacht? Ich meine, w-warum kann ich es sehen?" wende ich ein. Dieser zuckt nur mit den Schulter. "Ich?", er lächelt. "Das warst das ganz allein."

Dieses Mal will ich nicht weglaufen, ganz im Gegenteil, ich will ihm in die Arme springen. Es ist ein warmes, ungewohntes Gefühl dass sich den Weg von meinem Magen in meine Brust bahnt. Zum ersten Mal zögere ich kein zweites Mal. Mit tausenden von Unsicherheiten, millionen von Fragen und hunderten von Gefühlen setze ich den ersten Fuß auf die gläserne Treppe.

Sominium Maiorum.
Die Träume unserer Vorfahren.

Dieser Satz lässt mich nicht mehr los, ich schweife ihn mit als ich Joel durch den Labyrinth von Gängen und Zimmern folge. Er scheint sich ziemlich gut hier auszkennen.

"Tower of Glass." sagt er aus dem Nichts.

"Was?"

"Dieser Ort. Er heißt Tower of Glass. Frag erst gar nicht, was dieser Ort ist."

"Einen Tag kennst du mich, und du bildest dir ein du könntest alle meine Fragen im vorhinein beantworten."

Er runzelt die Stirn, dann lässt er einen lautes, einziges Lachen aus.

Joel biegt rechts ein, dann links, und bevor ich mich versehe, stehen wir vor einer Tür, die mindestens gleich groß ist wie die am Eingang. "Ich gehe rein. Warte kurz. Wenn alles git geht, hole ich dich." Er zwinkert mir kurz zu bevor durch einen engen Spalt in den Raum hinter der Tür verschwindet, ohne dass ich auch einen Blick hineinwerfen kann.

Ich habe noch Niemanden hier gesehen, keine Seele, keine Angestellten, nur ewig lange Gänge.

Und dann, sehe ich es. Ein Schatten huscht über die von Tapeze bekleideten Wand. "Hallo?" Unsicher stoße ich mich von der Wand ab, and der ich mich angelehnt hatte. Ein murmeln. Und dann tretet sie aus dem versteckten Gang hinaus. Sie trägt ein rosarotes, leichtes Kleid das wie ein indischer Sari um eine ihrer Schultern hängt. Ihre kurzgeschnittenen Haare stehen wild vom Kopf ab, ihre großen Augen sind mit Neugier gepackt. Unter dem Saum ihres Kleides kann man ihre nackten Füße erspähen. Ein Fußring schmiegt sich an ihrem großem Zeh. Sie schaut aus wie ein ganz normaler Mensch; übersieht man eine kleine,fast unsichtbare Differenz: Ihre Ohren sind leicht zugespitzt, wie bei einer Elfe. Exakt wie bei einer Elfe. "Wer bist du?" Fragt sie. Ihre Stimme ist total anders als ihre zierliche Gestalt es einem vorstellen lässt. "Ah... Ich bin... May." Ich halte ihr die Hand hin.

"Nein. Ich meine ob du ein Mensch bist. Einer von draußen."

"Ich nehme an, ja. Aber-"

"Und wer hat dich mitgebracht?"

"Ich" Joel steht plötzlich neben mir. Jedoch würdigt er mich keines Blickes. Er starrt dem fremdem Mädchen direkt in die Augen.

Diese neigt den Kopf leicht zur Seite und lächelt. Ich kann nicht einschätzen, ob es echt ist oder nur gespielt.

"Toyi, ruf bitte die anderen." Sein Blick fügt den Befehl "Jetzt" hinzu.

Das Mädchen, das nun einen Namen hat, nickt hastig und verschwindet von wo sie gekommen ist.

Als ich mir sicher bin, dass sie nicht mehr in möglicher Hörweite ist, frage ich Joel aus.

"Was ist sie?"

"Eine Amber. So nennen wir diese die dem Hof zur Verfügung stehen."

"Wir?"

Joel streicht sich di Haare hinter dem Ohr. Und da sehe ich. Seine Ohren, wie die von Toyi, sind an der Spitze spitz. Ich muss blass aussehen, denn Joel lächelt wieder und zieht eine Grimasse. "Wir sind keine Monster."

Um es mir zu beweisen, führt er mich zu einem Spiegel, der mitten im Gang hängt. Ich habe schon mehrere davon im ganzen Palast gesehen. Als ich direkt davor stehe, steckt er mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Mein Ohr.

Ich bin wie sie.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 20, 2014 ⏰

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