„Guten Morgen, Lottchen, die Sonne scheint!" Mit einem Ruck zieht Mady meine Vorhänge zurück und gleißendes Licht flutet mein kleines Zimmer. Mürrisch ziehe ich mir meine Decke über den Kopf und kneife meine Augen fest zusammen. Warum sie zu dieser Stunde schon so fröhlich ist, ist mir unbegreiflich. Naja, irgendwie auch nicht. Mady war schon immer eine kleines Energiebündel. Sie hat alleine den Haushalt geschmissen, ein Kind großgezogen und Geld verdient. Eine richtige Powerfrau! Der Tod ihrer einzigen Tochter hatte ihr jedoch schwer zugesetzt, aber sie sieht im Leben eine Chance, ein Weitermachen, ein Kraftspenden.
„Also wenn du nicht aufstehen magst... die Pancakes esse ich auch alleine!", ruft sie von unten. Sie weiß genau, wie sie mich aus dem Bett bekommt und diese Masche zieht jedes Mal!!
Heute ist Montag. Der erste Schultag nach den Osterferien. Der vorletzte Montag mit Merlin. Ich seufze und schwinge mich mit einem Ruck aus dem Bett.Vor zwei Tagen saß ich mit Merlin im Garten und habe geredet. Er hat mir noch sehr viel von Sophia erzählt, wie sie sich im Baumarkt kennengelernt (er musste Nachschub für die Renovierungsarbeiten besorgen), wie sie einen Midnightwalk am Strand unternommen haben, wie er sie im Mondschein geküsst hat. Es war schön zu hören, wie glücklich Merlin ist. Das Glück funkelte nur so aus seinen blauen Augen, doch ich musste ein wenig über ihn schmunzeln, so eine romantische Ader ist bei ihm noch nie zum Vorschein gekommen.
Nachdem Merlin mir damals geholfen hatte, meine Kette zu richten, haben wir uns auf dem Rückweg zu Madys Haus unterhalten. Seine Eltern wohnten nur zwei Straßen weiter und er machte gerade seinen Schulabschluss. Kaum zu glauben, dass er nebenbei noch Zeit und Muße hatte, meine labile Persönlichkeit wieder aufzubauen. Er integrierte mich in seinem Freundeskreis, er zeigte mir die Umgebung, er nahm sich Zeit für mich. Nach einiger Zeit hatte ich gelernt, mit meiner Trauer umzugehen und konnte ihm auch etwas in dieser Freundschaft zurückgeben. Plötzlich wurde aus unserer Beziehung, in der ich mich immer ein wenig untergeordnet und schwach gefühlt habe, eine gleichwertige Freundschaft. Und wir beide wissen das zu schätzen.
Während ich mich im Bad fertig mache, lasse ich meine Gedanken schweifen. Er verdient diesen Neuanfang in Brighton. Und auch diese Liebe zu Sophia. Allerdings weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll.... wenn Brighton bloß direkt um die Ecke wäre... Faktisch ist es das ja auch, allerdings wird trotzdem nichts aus spontanen Spaziergängen mit Lucy am Abend, stundenlanges Quatschen an der Ecke, weil wir uns zufällig über den Weg gelaufen sind und kraftgebenden Umarmungen. Ich seufze und binde mir meine blonden Haare aus dem Gesicht. Im Spiegel blickt mir ein blasses Mädchen mit starken Augenringen entgegen, die ich ein wenig zu kaschieren versuche. Egal, das muss reichen, schließlich gehe ich doch nur zur Schule, wen sollte ich da schon beeindrucken? Ich verdrehe die Augen während ich die Treppe hinunter in die Küche gehe und muss plötzlich lachen.
Um jemanden zu beeindrucken sollte man erst einmal sozial eingebunden sein. Nicht gerade meine Stärke...„Na, was gibt's denn hier zu lachen?", fragt Mady lächelnd und stapelt ein paar Pancakes auf meinen Teller. „Ich habe nur gerade an die Schule gedacht... die hab ich echt nicht vermisst", sage ich ausweichend und lasse mich schwungvoll auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. „Ach, das wird schon, Lottchen! Noch etwa ein Jahr, dann hast du das ganze doch geschafft!" Sie streicht mir sanft über den Arm und schaut mich mit ihren haselnussbraunen Augen direkt an. Ich verziehe mein Gesicht und wende mich schnell meinen Pancakes zu, die ich großzügig mit Beeren und Sirup belege. Mady verschwindet derweil hinter ihrer Zeitung und ich bin auch ganz froh darüber. Es ist unser morgendliches Ritual, dass wir in Ruhe frühstücken. Ohne viel Gerede. In Gedanken nur beim Essen oder mit der Nase in der Zeitung, wie in Madys Fall. Manchmal lese ich morgens auch ein Buch, meiner Ansicht nach der beste Tag in der Start. Zumindest ein entspannterer Tagesbeginn als eine mürrisch-müde Konversation.
Im Nachhinein denke ich, dass ich es hätte wissen müssen. Der Morgen war viel zu entspannt, was bei mir nie der Fall ist. Es gab Madys Pancakes, die es sonst nur zu besonderen Anlässen gibt, ich hatte laut meinem neuen Stundenplan erst eine Dreiviertelstunde später Unterrichtsbeginn und der Himmel versprach einen sonnigen Tag.
„Ich gehe später einkaufen, brauchst du irgendwas Bestimmtes?" Madys Stimme reißt mich aus meinen düsteren Tagträumen. Meine Gedanken waren mal wieder bei Merlin gewesen. Also eigentlich nicht bei ihm, sondern bei dem Umstand, ihn viel weniger zu sehen. Ich hatte kein soziales Umfeld hier in Eastbourne. Seit zwei Jahren wohne ich jetzt schon hier und doch besteht mein Freundeskreis nur aus Merlin. Und der zieht weg. Ben, sein bester Kumpel, war auch nur noch alle zwei oder drei Wochenenden noch hier, da er auch auswärts studiert. Zu ihm habe ich aber auch keinen wirklich engen Kontakt und nie einen gehabt. Auch wenn wir oft zu dritt unterwegs waren. Naja, und dann gibt es noch Emma. Ich gehe mit ihr in eine Klasse und sie ist bislang die einzige, mit der ich irgendwie etwas anfangen kann. Wir haben zusammen für Mathe gelernt und waren mal Eis essen, aber da hört die Freundschaft dann doch wieder auf.
„Lottchen?" Mady schaut mich verwundert an. Anscheinend ist meine Auffassungsgabe heute ein wenig verzögert. „Ähm, nein ich glaube nicht." Ich probiere ein Lächeln zustande zu bringen, obwohl mir so gar nicht danach ist. „Na gut, ich schaue dann einfach mal, ob ich etwas Leckeres für uns finde." Sie schaut mich verschwörerisch an. Mady ist ein richtiges Genie, wenn es um Essen geht und ich muss widerwillig grinsen. „Ich vertrau darauf. Übrigens sind die Pancakes mal wieder unglaublich lecker! Ist... ist heute irgendein besonderer Tag?" Ich schaue sie gespielt misstrauisch an. Sie lächelt. „Ach nein, ich wollte dir bloß zum Schulbeginn eine kleine Freude machen! Und vielleicht mein schlechtes Gewissen ausgleichen, da ich doch heute Nachmittag Margarete beim Heckeschneiden helfe. Und das kann spät werden wie du weißt..." Oh ja, die beiden können sich so richtig fest quatschen. Mady und Margarete sind alte Schulfreunde. Auch wenn das Schicksal sie manchmal von einander getrennt hat, haben sie über kurz oder lang doch immer wieder zusammen gefunden.
„Ich stelle dir trotzdem dein Mittagessen in den Kühlschrank." Sie ist echt süß. „Mady, ich werde schon nicht verhungern! Ich komme schon klar, genieß den Tag mit Margarete!"**********************************************************************************************
Hey, hat ein wenig länger gedauert, ich hatte die letzten Monate ziemlich viel anderes im Kopf. Jetzt bin ich wieder back on track. :)
- 18.02.2021
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Gewichtig
Teen FictionWas zuerst wie eine kleine dunkle Wolke am Himmel aussah, entwickelt sich zu einem unglaublichen Tornado, der alles Leben zu zerstören vermag. So in etwa mag sich Leyla fühlen, als zuerst ihr bester Freund Merlin wegzieht, ihr Vater sich erneut verl...