Kapitel 2

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Die Tür hinter ihnen ging erneut auf und Rudolf schreckte aus seiner Starre. Seine Hand griff nach der vom Tod und zog ihn bestimmt hinter sich her, bis auf sein Zimmer. "Nirgends ist man allein, überall lauern sie, ich fühle mich wie ein Vogel der jedes mal zurück in seinen Goldenen Käfig fliegt.", rief er laut in seine eigenen Räume und atmete danach befreit durch. Das hatte er loswerden wollen. "Ja, du hast gar nichts von der Mutter Kleiner.", neckte ihn der Tod. "Hör auf von ihr zu reden.", kam die schnippische Antwort. Beschwichtigend hob der blonde die Hände und ließ sich auf die Bettkante nieder. "Eifersucht?" "Keine Antwort." "Wieso nicht? Für mich ist es ganz offensichtlich, wenn auch die Umstände makaber sind.", erklärte der Tod und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. "Die Umstände sind für DICH makaber?!", fragte Rudolf mit einem leicht hysterischen Unterton und versuchte seine Jacke zu öffnen. "Wer ist auf die Idee mit den tausend Knöpfen gekommen?!", fluchte er leise und riss fast den letzten Knopf aus dem Knopfloch. Die Jacke flog auf den Schreibtisch, die Weste landete einfach mitten im Raum, das Hemd ließ er an und seine Schuhe, Hose und Socken verstreuten sich mitten im Zimmer.

Irgendwann kam er an seinem Bett zu halten und sah auf seinen Freund nieder. "DU machst mich verrückt.", zischte er ihn an und erntete ein Lächeln, welches hätte ehrlicher nicht sein können. "Du mich auch Rudolf." Der Prinz schloss die Augen, atmete einmal durch, umrundete sein Bett und ließ sich neben dem Tod nieder. Da dieser quer auf seinem Bett lag, konnte Rudolf seine Decke von links aus über sich und den Tod ziehen. "Ich bekomme auch Decke?", fragte dieser gespielt verwundert. "Mein Vater will das du mein Bett wärmst.", murrte Rudolf als Antwort und gab danach ein belustigtes Schnauben von sich.
Schlagartig ging das Licht um sie herum aus, selbst das Mondlicht war verschwunden. "Gewöhne dich nicht daran Rudolf. Ich bin der Tod, du solltest angst vor mir haben." Mit Argwohn bedachte ihn der Prinz. Wieso er den Tod so klar sehen konnte, obwohl es keine Lichtquelle mehr gab, erschloss sich ihm nicht. "Angst?", fragte er schließlich und lächelte traurig. "Seid ich dich kenne habe ich keine angst mehr vor dem Tod. Er muss wundervoll sein, wundervoller als alles was ich kenne und wenn du es bist der mich zu sich holen will, dann akzeptiere ich das, ohne wenn und aber." Rudolf streckte eine Hand aus und legte sie auf die Wange des Todes. Die helle Haut wirkte so unschuldig, aber die kalten Augen sprachen das Gegenteil.

„Du wirst dich an mir verbrennen Rudolf." Der Blonde ergriff die Hand des Prinzen, zog sie an seine Lippen und küsste die Knöchel behutsam. Dann legte er seine Hand an Rudolfs Hinterkopf, vergrub seine Finger in dem nicht zu beendigendem Haar und zog ihn zu sich. „Das ist mir egal." Der Prinz überwand die letzten Zentimeter die zwischen ihnen lagen und fühlte den zarten Kuss des Todes. Ein wohliges Geräusch verließ ihn und er schloss genießerisch die Augen. Einmal hatte Rudolf den Tod bei seiner Arbeit beobachten können. Es war eigentlich ein flüchtiger Moment gewesen, nichts von Bedeutung, aber der Prinz hatte sich danach so gesehnt, dass er es nicht hätte vergessen können.


Sie waren in einer Kutsche unterwegs gewesen, seine Mutter saß ihm gegenüber und sein Vater neben ihr. Es war schon lange her und irgendwie wirkte zu dieser Zeit noch alles zwanglos. Schon etwas länger standen sie und bewegten sich nicht fort. Rudolf war langweilig gewesen, so sterbenslangweilig und da sah er, seinen Freund, den er seid dem Fieber nicht mehr gesehen hatte. Der Tod stand an Rudolfs Fenster, halb verdeckt vom alles verschlingenden Vorhang, nur die Lippen mit dem abfälligen Lächeln hatte er zuerst sehen können. Der junge Knabe wusste gar nicht was er mit sich hatte anfangen sollen, sein Freund war solange weg gewesen und nun stand er auf einmal, auf der anderen Seite der Scheibe.

„Sei lieb zu deiner Mutter." Hatte der Tod, stumm, mit seinem Mund gesprochen und war dann von der Kutsche weggetreten. Am Wegesrand saß eine Frau, sie sah ihn wie im Delirium an, streckte ihre Arme nach ihm aus und er empfing sie, mit solch einer Hingabe, dass Rudolf geseufzt hatte. „Seine Majestät der Tod", hatte Rudolf damals gedacht. Der weiß gekleidete Mann legte eine Hand auf ihre Hüfte, mit der anderen ergriff er die andere und dann tanzten sie. Rudolf hatte den Atem angehalten, hatte seinen Kopf an die kühle Scheibe gedrückt und beobachtete das Schauspiel. Er hatte schon viele Leute tanzen sehen, aber noch nie mit solche einer Hingebung. Und dann folgte der Kuss, so unschuldig und sachte hatte der Tod seine Lippen auf die der Frau gelegt und ihren sterben Körper in seinen Arm gehalten. Wohin die Frau gegangen war, hatte Rudolf nicht sehen könne, sie lag noch in seinem Arm als sich die Kutsche in Bewegung setzte und sie den Schauplatz verließen.


Das wollte er auch, aber noch nicht jetzt. Erschrocken schlug er die Augen auf, blickte in das eisige Paar des Todes, welches von oben auf ihn hinab sah. Wann hatte der Tod ihn übermannt und sich auf seine Lenden gesetzt? Der Blonde legte seinen Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. „Du lebst noch, weil es noch nicht an der Zeit ist.", erklärte er und kam dem Prinzen wieder etwas näher. Rudolf sah fragend zu ihm auf, hatte seine rot geküssten Lippen leicht geöffnet und ließ seinen Gedanken freien Laut. „Warum?" „Ich brauche dich.", hauchte er dem jüngeren entgegen und stahl einen letzten Kuss, ehe er verschwand. Der Kaisersohn lag, völlig außer Atem, auf seinem Bett und sah Richtung Decke. Dieses Thema brauchte noch mehr Gesprächsbedarf. Verwirrt setzte er sich auf und strich sich durch sein Haar. „Wie kannst du mich immer in den unmöglichsten Momenten verlassen.", flüsterte er seine in seine Handfläche und lachte humorlos auf.

Es verging einiges an Zeit, bis sich der Tod erneut Blicken lassen sollte. Rudolf hatte gelernt nicht auf ihn zu warten, aber er ertappte sich immer öfters dabei suchend durch den Raum zu blicken. Schon zwei mal musste er sich einen Vortrag seines Vaters anhören, der Inhalt war beides mal gleich gewesen. Rudolf sollte die Dame vom Ball zu seiner Gemahlin machen, man hätte sie schon des öfteren in seinem Zimmer vermutet und wolle endlich ein Stellungnahme von ihm hören. Der Prinz hatte beide male genickt, gelächelt und „Ja Herr.", geantwortet. Zwei Monate lang hatte Rudolf so getan als würde er nicht auf ihn warten, nun konnte er es nicht mehr verbergen und so blieb er nach der Sonntagsmesse in der Kirche sitzen. Man hatte ihn nicht beäugt, es wurde still schweigend akzeptiert und nun saß er hier, allein. Wieso er sich hier dem Tode so nahe fühlte wusste er nicht, es war verrückt, so wie eh alles verrückt schien. Langsam rutschte er zu Boden, kniete sich auf die Kirchenbank, legte seinen Kopf auf seine gefalteten Hände und schloss die Augen.

„Das hätte ich nicht erwartet. Eine gefühllosere Reaktion auf einen Kuss ist dir nicht eingefallen?", fragte eine Stimme, die ihm kalt und heiß werden ließ. „Gott, gib mir die Kraft.", flüsterte Rudolf, erhob sich und sah auf den Mann hinab, der sich hinter ihm auf die Bank gesetzt hatte. Der Schalk stand ihm ins Gesicht geschrieben und das Lächeln lag angedeutet auf seinen Lippen. Die Beine des Todes waren überschlagen und seine Arme, links und rechts auf die Rückenlehne der Bank gelegt. „Was hält dich zurück?" Langsam richtete der Blonde sich auf und streckte eine Hand nach Rudolf aus. Fragend dreinblicken trat dieser an ihm vorbei, lief zum Mittelgang und warf einen kurzen Blick über seine Schulter zurück. „Wirst du mich begleiten?" Mit verschränkten Armen vor der Brust wartete der Brünette auf den Tod, der erst zu überlegen schien, dann aber dem Objekt seiner Begierde folgte. „Ich begleite dich überall hin, schließlich bin ich der Tod."



Die Kutsche, in der das Kaiserpaar wartete, stand vor der Kathedrale und eine Schar Menschen stand um sie herum. „Menschen sind mir zu wieder.", murrte der Tod neben ihm. Rudolf sah kurz zur Seite, deutete an einer Nonne zu zunicken, sah aber eigentlich zu seinem Freund. „Warten die Herrschaften etwa auf dich?" Der Blonde schritt schnell an ihm vorbei und blieb mit einem fiesen lächeln vor der Kutschentür stehen. Er hatte vor mitzufahren und der Prinz musste zugeben, dass ihm der Gedanke gefiel seinen Tod einmal bei sich zu haben wenn er durch die Hölle musste. Kutschfahrten durch die Stadt waren Arbeit, man musste lächeln, die Untertanen verzaubern und aufrecht sitzen. Das Lächeln, auf den Lippen des Prinzen, war jedoch diesmal echt.
„Gehabt euch wohl.", sagte Rudolf, mit fester Stimme zu dem jungen Knaben der die Kutschentür öffnete. Ein schnellen Blick zum Tod, sollte diesem verdeutlichen zu erst einzusteigen. Die schwarze Gestalte bestieg den Innenraum mit solch einer Leichtigkeit, dass sich nichts bewegte, erste als Rudolf ihm folgte, neigte sich die Kutsche etwas zur Seite. Er hörte seine Mutter auf keuchen, aber nicht wegen der unerwarteten und ruckartigen Bewegung der Kutsche.
Ihre Augen waren mit denen des Todes verkettet, aber zu Rudolfs erstaunen spiegelte sich nicht nur Hass in ihnen wieder. Dem Prinzen wurde langsam bewusst, dass er sie noch nie von vorne gesehen hatte wenn der Tod ihr gegenüberstand und der Anblick machte ihn traurig.

Er wollte seine Mutter nicht verletzt sehen, er wollte nicht wahrhaben, dass sie die gleichen Gedanken quälten wie ihn. An seinen dunkelsten Tagen war der Tod für ihn da, aber war er es auch für sie? Wie schaffte sie es ihm zu widerstehen? Mitleid spiegelte sich in Rudolfs Augen, als er zittrig nach der Hand seiner Mutter griff und die Behandschuhte Hand in seine nahm. Sein Vater sah verwundert zu den beiden rüber, sah kurz auf die ungewohnte zärtliche Berührung und dann in das Gesicht seiner Frau. Eilig löste er die Kordeln der Vorhänge an seinem Fenster und wies seinen Sohn an das gleiche zu tun. „Rudolf! Mach die Vorhänge zu!", wiederholte er bestimmt und legte seine Hand auf Elisabeths Stirn. Der Kaisersohn ließ langsam von seiner Mutter ab, löste gedankenlos den Vorhang neben sich und sah zum Tod rüber. In seinen Augen funkelte die Gier und sie lagen auf Sissi.
„Elisabeth. Engel! Was ist denn los? Beruhige dich. Du bist ganz blass.", fragte der Kaiser mit Sorge in der Stimme. „Mutter. Sieh mich an. Es ist alles in Ordnung." Rudolf versuchte erneut nach der Hand der Kaiserin zu greifen, wurde von ihr aber abgewehrt. Ein angestrengter, vorwurfsvoller Blick lag in ihren Augen, mit dem sie ihren Sohn in seine Schranken wies. „Es geh mir gut!", gab sie noch schnippisch von sich und entriss sich ihrem Mann. „Alles ist in Ordnung.", flüsterte sie noch einmal leise und blickte gegen den Vorhang.

„Was war das zwischen dir und deiner Mutter!" Mit diesen Worten betrat Franz Joseph
die Räumlichkeiten seines Sohnes. Dieser war gerade dabei seine eigene Wut, auf sich und den Rest der Welt, an seiner Teetasse auszulassen und warf sie just in diesem Moment in die Richtung des Tods, der rechts neben seinem Vater stand. Mit einem klirrenden Geräusch zerbrach sie an der Wand, hinter den beiden. Die Hoheiten reagierten beide unterschiedlich auf den Angriff des Prinzen.
„Du!", grollte sein Vater, der dachte, dass dieser Wurf ihm galt. „Ich bin empört! Erschüttert gar! Ich habe über alles hin weggesehen. Deine Aufmüpfigkeit, dein Starrsinn, dein Kopf und dein Verhalten gegenüber der meinen Politik! Aber wie es mir scheint muss ich auf meinen Rücken achten, um nicht irgendwann ein Messer in ihm zu finden!" „Herr Vater!", Rudolf wollte sich rechtfertigen, seinem Vater alles erklären, aber er bekam kein weiteres Wort heraus.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Vater an, der immer mehr Sachen seinem Sohn entgegen rief, fast schon brüllte.
Der Tod auf der anderen Seite, belächelte die gesamte Situation, ergötzte sich gar an dem Streit den er zu Genießen schien. Rudolf war angewidert von ihm, sich und allem anderen. „DU wirst Heiraten und eine Familie gründen! Und das noch dieses Jahr!" Der Kaiser, rieb sich über den Nasenrücken, schüttelte seinen Kopf und verließ den Raum. Rudolf lief ein paar Schritte rückwärts, lehnte sich rücklings an seinen Schreibtisch und starrte auf den Boden.
„Ich fasse es nicht. Er weiß alles.", keuchte er leise. „Dachtest du er bekommt nicht mit das du gegen ihn agierst?" Der Tod lehnte sich neben ihn an die Tischplatte und legte einen Arm um die Schultern des Prinzen. „Nein." Der Junge Mann stand rasch auf, trat in den Raum und drehte sich seinem Freund zu.

Trauer wallte ihn ihm auf, aber der Zorn war stärker und übermannte ihn. „Ich..." Rudolf ballte seine Hände und spürte seine Fingernägel in die Handflächen drücken. „Du?" Der blonde Mann verschränkte seine Arme, war offensichtlich sauer zurück gewiesen worden zu sein und beobachtete Rudolf. Ein Träne rannte über die Wange des Mannes und er zeigte wutentbrannt auf seinen Freund. „Was machst du mit mir! Wieso tust du mir das an!", spuckte er mit so viel Rage dem Blonden entgegen, dass er schon selber von sich genervt war.
Der Tod war ruhig, seine Gesichtszüge waren unergründlich, aber er ließ nicht von seinem Prinzen ab und hörte ihm zu. Rudolfs Atmung wurde ruhiger, die Tränen liefen ihm unaufhörlich über das Gesicht und er holte einmal zittrig Luft. „Was machst du nur mit mir?", keuchte er leise, legte seinen Kopf in den Nacken und sah Richtung Decke. Langsam, wie eine Katze, erhob sich der Blonde vom Tisch. Er ließ weiterhin seine Arme verschränkte, sah auf den Boden, ging nicht Geradewegs auf Rudolf zu und blieb irgendwann mitten im Raum stehen.
Der Prinz wusste wo er war, obwohl er ihn nicht sah, raffte sich zusammen und sah zu ihm. „Wieso brauchst du mich?" Auf diese Frage wollte er eine Antwort wissen, er wartete schon solange darauf. Der schwarz gekleidete Mann seufzte und zog einen Mundwinkel nach oben. „Du gibst mir etwas. Etwas, dass ich vorher nicht kannte." Der Tod lockerte die Arme vor seiner Brust und ließ sie neben sich fallen. Rudolf wischte sich eine Träne von der Wange, lächelte einmal kurz trocken und ging auf den Tod zu. „Sag es.", bat er ihn leise. „Menschen nennen es Liebe. Ich habe es schon einmal gespürt. Ich...", er stockte, suchte nach Worten, wollte eigentlich weitersprechen, aber Rudolf legte ihm seine flache Hand auf den Mund.

„Sprich nicht weiter. Schweig." Langsam zog er seine Hand zurück und legte stattdessen seine Handflächen auf seine Ohren. „Geh.", flüsterte er leise - zugleich glitt er zu Boden. Ein keuchen glitt ihm über die Lippen, ein Knoten zog sich in seiner Brust zusammen. Immer und Immer fester. „NEEEEEEEEIN!", brüllte er dem Fußboden entgegen und schluckte einen weiteren Schrei hinunter. Wut, Hass, Trauer, Zuneigung, Hoffnung, all dies und noch viel mehr huschte durch seinen Kopf.


Er hatte die Zügel losgelassen, eigentlich war sein Haupt leer, völlig leer gefegt und der letzte Funke Hoffnung schlich sich davon. „Rudolf.", sprach eine Stimme so sachte, dass der Angesprochene sie der eigentlichen Person erst nicht zuordnen konnte. Er hatte gedacht der Tod war gegangen, Rudolf dachte er wurde wieder einmal alleine gelassen, aber so war es nicht. Verwirrung spiegelte sich im Gesicht des jungen Mannes wieder. „Rudolf." Sein Freund saß neben ihm auf der Bettkante, seine sonst so adelsgleiche Art war nicht aufzufinden, stattdessen erblickte Rudolf einen Mann der sich unterordnete und dem Sorge im Gesicht stand. „Was geschieht hier? DU bist nicht der Tod! Wer bist du?", flüsterte der Prinz leise und mit rauer Stimme. Rudolf erschrak, irrte er sich so sehr oder erkannte er wirklich seinen liebsten Freund nicht mehr wieder? Der blonde lächelte, noch einmal streckte er seine Hand aus, erreichte aber die Wange des Prinzen nicht mehr. Ruchlos riss er sich von seinem Schützling los; soweit man es Schutz nennen konnte.

„Ich...Geh." Rudolf fühlte sich schwach. Wieso befand er sich überhaupt in seinem Bett? Hatte der Tod ihn hier hergebracht? Zaghaft klopfte es an der Tür, Paukenschläge in seinem Kopf. „Herein.", krächzte der Prinz und wand sich seiner Tür zu. Den Tod und seine Gedanken musste er nun verdrängen. Langsam und ein wenig zögerlich öffnete sich die Flügeltür. Ein überraschtes Geräusch verließ Rudolfs Lippen und fast hätte er vergessen sich aufzurichten. „Mutter." „Mein Junge.", zweifel schwang in ihrer Stimme mit, haderte sie mit sich selbst? Elisabeth ergriff erneut das Wort, dies mal mit mehr Überzeugung. „Mein Junge!" Eilig schloss sie die Tür und glitt an das Bett ihres einzigen Sohnes. Eine kühle Hand legte sich an seine Wange und strich über die helle Haut. „Du bist so stur.", flüsterte sie zaghaft. Er versuchte keine Regung zu zeigen, aber am meisten versuchte er zu unterdrücken seine verletzten Gefühle zu offenbaren. „Ich..." Wieder fand sie keine Worte. Seine Mutter war sonst kühl, eitel und distanziert, aber nun erblickte er eine andere Person. Immer schon dachte er sich in ihr zu erkennen, nur war er sich nie sicher gewesen und nun spiegle sie ihn wie es keiner sonst hätte tun können. Der Prinz legte eine Hand an die Wange seine Mutter. Hatte er ihr je so nahe kommen können? Sollte dies das erst mal sein, dass er ihr so nahe sein konnte?

„Ich wünsche mir, dass du lebst Rudolf." Ihre sanfte Hand legte sich auf die seine. „Und ich möchte, dass du dich ihm lossagst." Der junge Mann senkte sein Haupt, Elisabeth drückte seine Hand an ihre Brust und er spürte ihr Herz stetig schlagen. „Ich habe bereits ein Kind verloren. Es ist nichts schlimmer als seine Kinder vor sich sterben zu sehen und ich weiß, dass mein Egoismus Mauern zwischen uns gebaut hat, aber..." Ein schluchzen ließ ihn ruckartig aufschauen.

Seine Mutter weinte. Und sie weinte nie.

Es schickte sich nicht für die königliche Familie, aber der Prinz zog seine Mutter an sich und bette ihr Haupt auf seiner Schulter. Sachte zog er seine Decke über sie und drückte einen zittrigen Kuss auf ihre Stirn. „Ich kann nicht Mutter.", flüsterte er, zeitgleich legte die Kaiserin ihre Hand über sein Herz. „Solange dieses Herz schlägt, Rudolf. Solange werde ich gegen ihn ankämpfen und danach wird mir alles egal sein." Ihre Tonfall war nicht böse, er war auch nicht traurig, der Prinz entnahm ihr ein Versprechen welches sich Tief in seine Brust fraß. Wie lange sie dort beide lagen wusste er nicht, die Zeit verstrich und die Sonne sankt immer tiefer vom Himmelszelt. Als sich die letzten Sonnenstrahlen in dem glitzernden Fensterglas brachen, begann Rudolf die Welt anders zu betrachten.

War hielt ihn davon ab zu gehen? Er musste sich nicht einschließen und darauf warten, dass sein Vater starb. Er musste keinem Krieg beiwohnen, da er der Thronfolger war und sein Militärisches Geschick nicht ausgeprägt war um sich auf einem Schlachtfeld durch zuschlagen.
Er wollte die Welt sehen, genau wie seine Mutter wollte er fliehen. Das Bett senkte sich und der junge Mann blickte von den Fenstern zu dem blonden Schönling. „Egoismus?", fragte dieser und blickte abwertend auf die schlafende Sissi nieder. Wann war sein Blick so gehässig gegenüber ihr geworden? „Arrogant?" Die klaren Augen blitzten amüsiert auf, ein freches Lächeln schlich sich auf seine Lippen und Rudolf erschauderte. Die Augen des Todes gaben noch etwas anderes frei und er meinte Gefühle zu erkennen. Nichts abwertendes, zumindest nicht gegenüber ihm, etwas offenes.

Kaum merklich hoben sich die Mundwinkel des Prinzen. „Ich empfinde Dinge..." Er sah zu seiner Mutter und dann wieder selbstbewusst auf. „...die ich nicht missen möchte." Der Tod; Sein Tod zwinkerte ihm zu, das Lächeln wurde breiter und echter. „Ich finde es ganz und gar nicht schön sie in deinen Armen zu sehen." „Sie ist meine Mutter. Du kannst nicht auf mich eifersüchtig sein." Der schöne Mann lachte, Rudolf erschrak da seine Mutter zusammen zuckte und sich aufrichtete.
Der Prinz befand sich noch nie in solch einer grotesken Situation.

Der Liebhaber seiner Mutter, seine Mutter die Kaiserin und er in seinem Bett. Dazu kam noch, dass der Tod Gefühle für ihn hegte und sein Vater, der Kaiser, Rudolf am liebsten lynchen würde. Elisabeth sah entgeistert zwischen den beiden hin und her. „Wieso mein Sohn?" Der Tod ignorierte sie, blickte nur Rudolf an. „Ich bin nicht auf dich eifersüchtig. In mir hegt ein Groll dich in ihren Armen zu sehen." Dunkle Schatten huschten über sein Gesicht, als er schließlich doch die Kaiserin beäugte. „Solch einen Hohn brauche ich mir nicht von dir und sonst wem entgegenbringen lassen." Arrogant hob sie ihr Haupt und wand sich vom Tod ab. Der Blick der Rudolf traf sprach Bände, jedoch gab sie ihm auch noch etwas mit auf den Weg. „Dein Vater wünscht, dass du heiratest Rudolf. Bitte begehe nicht den gleichen Fehler wie ich." Ein letztes mal fühlte er ihre Hand an seiner Brust und konnte ihr dann nur noch beim verlassen des Raumes nachschauen.

Eine lange Zeit schwiegen sie, Rudolf hatte seine Decke am Bettende gefaltet, war einige male im Zimmer umher gelaufen und hatte zuletzt die Scherben der Teetasse aufgesammelt. Der Tod wiederum war einmal kurz verschwunden, hatte sich dann jedoch auf dem Bett niedergelassen, sich am Kopfteil angelehnt und die Arme verschränkt. Still beobachtete er seinen Prinzen, einmal lachte er leise als Rudolf sich bei einem strengen Selbstgespräch erwischte. Ein zweites mal klopfte es an diesem Tag an der wuchtigen Flügeltür.

Der brünette öffnete diesmal persönlich den Eingang und gab ein entzücktes Geräusch von sich. Gisela, seine älteste Schwester, gerade mal zwei Jahre älter und offensichtlich schwanger, huschte hinein. Hinter ihr folgte seine jüngste Schwester Marie. Beide steuerten direkt auf das riesige Bett zu, auf dem der Tod hektisch aufsprang und über die weiche Matratze huschte, damit sich keine der Beiden auf ihn warf. Rudolf beäugte seine Reaktion amüsiert, schloss die Tür und trat an sein Bett. Er blieb an dem Bettpfosten stehen, an welchem sich der Tod festhielt und betrachtete die Damen fragend. „Ihr werdet nie erwachsen?", stellte er fest und lächelte. Eine ungewohnte Situation in der er sich erneut wiederfand, gerade erst hatte er aus einer jenen fliehen können und unbewusst gierte er nach einer Unterhaltung mit dem Tod, aber dies sollte nun nicht sein.
„Rudolf.", fing Marie an. „Mutter hat uns eingeladen." „Sie lud DICH ein Marie.", sprach Gisela und verdrehte die Augen, etwas was sich für eine Prinzessin nicht ziemte, währenddessen strich sie über ihren runden Bauch. Die Jüngste, gerade mal 15 Jahre alt, mahnte sie mit einem Blick. Der Tod rührte sich, langsam glitt er an Rudolfs Seite hinunter, ließ eine Hand um dessen Taille gleiten und zog ihn sachte an sich. Der Prinz ließ sich nichts anmerken, jedoch seufzte er leise, aber nur wegen der Neckerei zwischen seinen Geschwistern. Er hatte vergessen wie offen sie miteinander umgangen.

„Wieso lud euch Mutter ein?" Rudolf lehnte sich mit verschränkten Armen an den Bettpfosten, der Tod folgte ihm die paar Zentimeter und lehnte sich an ihn. „Oh nein! Gisela! Er verdrängt es schon wieder!", merkte Marie aufgebracht an und stemmte ihre Hände auf ihre Oberschenkel, da sie auf dem Bett hockte. „Das letzte mal hatte er hohes Fieber Marie. Dieses mal scheint er es einfach vergessen zu haben oder zu verdrängen.", erklärte die Älteste und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. „Du hast bald Geburtstag Rudolf. Mein Kind, du wirst dreißig.", erklärte ihm der Tod. Der Prinz lächelte und blickte schnell zu seinem Freund, dieser schien lockerer zu sein, seine Augen bargen keinen Schalk, nur pure Freude. dreißig wurde er? Wie lange würde er es noch aushalten? Wie viele Jahre würde er noch zu Gesicht bekommen?

Der Brünette begrub seine Zweifel erneut tief in sich und schüttelte den Kopf. „Ihr seid also gekommen um mir ein weiteres Lebensjahr zu versüßen? Wie nett von euch?" Er drückte die Hand des Tods von seiner Taille, da er sich mit auf das Bett setzten wollte. Widerwillig ließ der Mann von ihm ab, platzierte jedoch noch einen Kuss auf dessen Schläfe und blickte ihn ein letztes mal mit Schalk in den Augen an, ehe er verschwand. „Marie hat mich nicht davon abhalten können nicht zu kommen.", sagte die Älteste, versuchte ernsthaft zu bleiben, musste jedoch anfangen zu lachen als Marie empört Luft schnappte. „Du bist freiwillig mitgekommen. Rudolf und du, ihr seid wie ein Mensch in zwei Körpern. Euch trennen nur zwei Jahre jedoch könnte man meinen ihr hättet von Sekunde eins an alles gemeinsam getan." Rudolfs Blick wurde sanft und mitfühlend.
Neugierig besah er den Bauch seiner älteren Schwester und legte seine Hand auf ihn.
„Du bist schwanger?" Eine dumme Frage, da man die Antwort sehen konnte und gerade auch fühlen. „Es hört dich.", lachte Gisela auf. „Fantastisch.", flüsterte Rudolf und sah funkelnd auf. Er fand den Gedanken, dass eine Frau in ihrem Körper einen Menschen entstehen lassen konnte, wundervoll.

Schmunzelnd strich er dann Marie eine Locke aus dem Gesicht, stumm fragte er sich ob sie eifersüchtig auf ihre Verbindung war oder ob sie es ihnen beiden gönnte. Sie selber war die einzige die das Herz von ihrer Mutter, von Sekunde eins an, bei sich tragen durfte. Gisela hingegen war von Elisabeth verdrängt worden. Erst hatte ihre Mutter sie jedoch noch zu einer Heirat mit Siebzehn Jahren gedrängt, zu der die Kaiserin es nicht für wichtig empfand selber zu erscheinen. Gisela, die nun seid zehn Jahren verheiratet war, richtete sich auf und warf sich in Maries Schoß. „Du bist für deine jungen Jahre so Erwachsen, jedoch waren Rudolf und ich immer voneinander getrennt. Ich war im Schloss und er wurde, weit weg von mir, zu einem Thronfolger heraufgezogen." „Und dann zogst du nach Bayern.", merkte der Prinz an. Bis spät in die Nacht hinein saßen die Geschwister noch beisammen, eine Magd trat kurz hinein und brachte Decken sowie Tee und Kekse. Mit einem amüsierten Lächeln bedachte sie die schwätzenden, lachenden und glücklichen Kinder.

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