Angst

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Ciel wachte auf, als er einen leichten Druck auf der Stirn spürte. Er hob den Kopf, öffnete die Augen - und zischte auf, als ein Kopfschmerz seine Stirn durchzuckte. "Euer Fieber ist gestiegen", stellte sein Butler Sebastian fest und zog seine behandschuhte Hand fort. "Ich werde Euch ins Bett bringen, Ihr braucht Schlaf und Ruhe, junger Herr."
Ciel hatte den Drang widersprechen zu wollen - schließlich hatte er noch Dokumente abzuzeichnen - aber ein kleines Schläfchen klang wirklich nicht so schlecht. "Gut", murmelte Ciel und erwartete, dass Sebastian ihm aufhelfen würde, doch stattdessen hob er ihn hoch. Ciel ließ es geschehen und sein Kopf sackte kraftlos gegen Sebastians Brust. "Ihr seid sehr schwach. Ich hätte mich früher um Euch kümmern müssen, bitte entschuldigt, junger Herr", sagte Sebastian sanft und blickte auf Ciel herab, der am ganzen Körper zitterte und dessen Augenlider flatterten. Er atmete lauter als sonst, sein Gesicht war leichenblass. Sebastian hätte es früher auffallen sollen - aber er hatte noch die Chance, ihn zu pflegen, sich um ihn zu kümmern.
Sebastian legte Ciel auf dem Bett ab. Der junge Earl machte die Augen halb auf und betrachtete Sebastian, der ihn seiner unbequemen Kleidung entledigte. "Se...bas...tian..."
"Ich ziehe Euch nur das lange Hemd die Hose aus, so wird das Fieber besser sinken können", erklärte Sebastian und bettete Ciel anschließend unter die Decke. Dann entschuldigte Sebastian sich, um rasch eine Schüssel mit kühlem Wasser und einem Lappen holen zu gehen. Ciel sah ihm kurz nach und schaute dann hoch zur Decke, die vor seinen Augen verschwamm. Sein jetziger Zustand war sehr, sehr unpassend: morgen müsste er auf dem Ball von Lady Elizabeth erscheinen und dies war unumgänglich, da er als ihr Verlobter die Pflicht innehielt, für seine zukünftig Ehefrau da zu sein ... Und außerdem würde Lizzy so gekränkt sein, dass sie mit ihren Tränen einen See weinen könnte. Also musste er sich bis dahin wieder erholt haben - eigentlich ist das ein Ding der Unmöglichkeit, doch mit einem Teufel an seiner Seite steht dem nichts in Weg. Zudem hatte Ciel Gefallen daran gefunden, Sebastian öfter um sich zu haben; irgendeine Wirkung hatte er auf ihn, die dafür sorgte, dass er sich selbstbewusster und entspannter fühlte. Dass er eine bessere Version seiner selbst war.
Sebastian kehrte zurück und bereitete einen kalten Lappen auf Ciels schmerzender Stirn aus.
"Se...bastian. Ich befehle dir..." Er hustete trocken. "Ich befehle dir: sorg dafür, dass ich morgen wieder vollständig genesen bin, um auf Lizzys Ball gehen zu können."
Sebastian schmunzelte. "Das kann ich nicht, junger Herr. Dafür müsste ich die Form des Butlers, die ich gerade innehalte, verlassen und meine wahre Form annehmen und das tue ich nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Schließlich bin ich Euer Butler und nicht Eure Bestie."
Ciel wollte so leicht nicht locker lassen. "Dann befehle ich es dir eben! Sebastian, nimm deine wahre Gestalt an."
"Seid Ihr sicher?", fragte der Butler erneut nach. "Eine solche Behandlung ist mit Schmerz verbunden und kann üble Alpträume hervor rufen. Möchtet ihr das wirklich?"
"Ja."
Sebastian seufzte. "Dann bleibt mir keine andere Wahl. Junger Herr, Ihr müsst jetzt Eure Augen schließen."
Ciel tat wie geheißen und im selben Augenblick versank er in der Matratze wie in Treibsand, seine Arme und Beine begannen zu brennen und der Treibsand löste sich auf. Ciel wurde von dem Gefühl übermannt zu fallen, konnte aber nichts sehen außer Schwärze. Seine Ohren allerdings ließen ihn nicht im Stich: Je tiefer er fiel, desto klänglicher, verzweifelter wurden die Schreie, die ihn umzingelten. Ciel legte seine Hände auf die Ohren, doch das machte alles nur noch schlimmer, also beschloss er fest die Augen zu schließen und abzuwarten, bis es vorüber war. Irgendwann wurde die Luft um ihn herum zähflüssig und klebrig und als der die Augen aufschlug stand er bis zur Hüfte in Blut. Ruhig bleiben, ermahnte er sich, das ist nur ein Traum, alles nur ein Traum. Etwas stupste ihn von hinten an. Erschrocken schrie der Earl auf und wandte sie um. Ein abgehackter Kopf und weit aufgerissene rote Augen starrten zu ihm herauf. Er erkannte sofort, wem dieses Körperteil gehörte.
"Sebastian?" Ciel streckte die Hand aus, hob den Kopf seines Butler an Haaren hoch und warf ihn augenblicklich fort, als er den Mund aufriss und wie ein bissiger Hund nach ihm schnappte. Ciel zitterte am ganzen Leib. Es war wirklich schrecklich. Als Sebastian gesagt hatte, die Träume würden schlimm werden, hätte er sich sowas niemals vorstellen können - und es hatte gerade erst begonnen.
Aus dem Augenblick bemerkte der Adelige ein Rot, das sich von dem Rot des Blutes abhob. Ist das etwa ... Tante Anne...? Ehe Ciel sich vergewissern konnte, blickte er rasch zu Boden. Je länger er sich umsah und desto mehr Leichen er entdeckte, würde es ihn immer wahnsinniger machen. Er würde einfach vorwärts gehen müssen, den Blick nach unten gerichtet. Das würde bestimmt etwas bringen.
Zittrig ging Ciel los, sich nicht umsehend. Ab und an schwamm etwas an seinen Blickfeld vorbei, das aussah wie eine Locke von Lizzy, ein Auge seines Vaters, ein Arm seiner Mutter, doch er gab sich Mühe, sie nicht wahrzunehmen. Nach ein paar Metern wurde das Blut immer niedriger und niedriger, bis es ihm nur noch bis zu den Knöcheln reichte.
Und doch versank er plötzlich im Blut, obwohl er auf einer Stelle stand. Er hielt die Luft an und schloss die Augen, wartete ab, bis seine Lunge sich anfühlte, als würde sie kollabieren. Erschrocken riss er die Augen auf und wünschte sich sofort, er hätte sie geschlossen gelassen. Um ihn herum waren Gitterstäbe, zwischen denen gierige, maskierte Gesichter ihn anstarrten. Jener Ort. Schreiend wich Ciel zurück, bis er mit dem Rücken an die Stäbe hinter ihn stieß. "Hilfe! *********, komm her!" Er stockte und sein Bauch verhärtete sich, als hätte er einen Stein verschluckt. Nein. Ich kann seinen Namen nicht sagen - es kommen nur undeutliche Geräusche heraus. Warum nur? Warum bin ich so ... einsam ohne ihn?
Der Käfig öffnete sich und eine Hand griff nach Ciel, packte ihn am Haarschopf und zog ihn aus dem Käfig heraus. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte der junge Earl sein eigenes Spiegelbild in einem der dicken Gitterstäbe sehen - das Zeichen des Pakets in seinem Auge ... Es war weg. Ein überwältigendes Gefühl der zittrigen Todesangst, der vollkommen Verzweiflung, der pechschwarzen Trauer übermannte ihn und er schrie, so laut er konnte.
"*********!!!!"
Hat das...
"Komm her, *********!"
... überhaupt einen Sinn?
"*********, ich befehle es dir! Ich befehle es dir! Komm her, rette mich!"
Er wird nicht kommen. Er wird nicht mehr dasein. Er hat mich allein gelassen. Wie konnte er nur?
"DAS IST EIN BEFEHL, *********! LASS MICH NICHT ALLEIN! LASS MICH NICHT IM STICH!"
Er hat mir alles bedeutet. Und jetzt ist er fort. Hat mich zum Sterben zurück gelassen. Weiß er denn nicht...
Hände packten Ciel, zerrten ihn zu einem Tisch hinüber. "FASST MICH NICHT AN! RÜHRT MICH NICHT AN!"
... dass ich ihn liebe und ihn brauche?
Kaum hatte Ciel diesen Gedanken zu Ende gedacht, stolperte er, fiel nach vorne und die Umgebung veränderte sich.

Sein Butler, Fieberträume [Sebaciel] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt