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1937

In der Eisenbahn war es Staubig. Überall waren Menschen. Mütter mit ihren Kindern. Alte Frauen die den Kindern beim spielen zusahen. Und Soldaten. Viele Soldaten. Ich erschauderte jedes Mal, wenn einer von ihnen mich zu lange beobachtete. Zum Glück war meine Reise bald vorbei. Ich konnte schon die ersten Gebäude von Wien sehen, wenn ich aus dem schmutzigen Fenster sah. Bald bist du da und kannst von vorne beginnen, versuchte ich mir Mut anzureden. Und schon kam die Durchsage „Nächster Halt Wien Südbahnhof". Ich stand auf klopfte mir den Staub von meinem Rock, zog mein rotes Mäntelchen zurecht und versuchte meinen kleinen schwarzen Reisekoffer von der Ablage zu nehmen. Aber natürlich war ich zu klein. Auch schon in München, wo ich einstieg hilf mir ein netter älterer Herr ihn hinaufzuheben. Doch leider war dieser schon vor einigen Stationen ausgestiegen. Plötzlich hörte ich eine raue aber erschreckender weiße angenehme Stimme hinter mir „Brauchen Sie Hilfe Fräulein?" Ich drehte mich um und konnte mich gerade noch zusammenreißen um nicht zu erschrecken. Der junge Mann der hinter mir stand und mir seine Hilfe anbot trug eine schwarze Uniform mit zwei silbernen Blitzen am linken Kragen. Um seinen rechten Arm schlang sich ein rotes Band mit einem schwarzen Zeichen in der Mitte und eingeklemmt in seinem Arm befand sich eine Schwarze Mütze. Er grinste mich lässig an und seine tiefblauen Augen funkelten mich an. Na toll dachte mir, ausgerechnet ein SS-Hauptsturmführer musste mir, einer Jüdin seine Hilfe anbieten. Wenn er nur wüsste wer ich bin. „Es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mir helfen würden" nahm ich seine Hilfe an. Ich wollte kein Drama schieben um vielleicht meine Herkunft zu verraten. Das wäre mein Stolz mir nicht wert. Der Mann nahm meinen Koffer mit Leichtigkeit und Eleganz von der Ablage und sah mich an. Ich wollte mich schon bedanken und ihm meinen Koffer aus der Hand nehmen da sagte er „Ich kann eine so hübsche und zierliche Dame doch keinen schweren Koffer tragen lassen" und ging mit einem kräftigen Schritt Richtung Ausgang. Die Menschen die im Gang standen traten voller Respekt und Bewunderung auf die Seite. Ich wusste, dass sie eingeschüchtert von ihm waren. So wie ich. Da ich meinen Koffer nicht verlieren wollte stolperte ich ihm den Gang hinter her. Langsam fuhren wir im Bahnhof ein. Der Zug blieb ruckelnd und quietschend stehen. Plötzlich spürte ich einen festen, warmen Griff an meinem Oberarm. Ich erschrak und wollte mich dem Griff schon entwinden da hörte ich abermals seine Stimme „Wir wollen doch nicht, dass sie hinfallen und sich noch verletzen". Er sah mich grinsend an und ich spürte wie meine Wangen heiß wurden. Zum Glück öffneten sich in diesem Moment die Türe, er lies mich los und stieg aus. Peinlich berührt ging ich ihm hinterher und fasste meinen ganzen Mut zusammen. „Sie können mir den Koffer gerne wiedergeben, ich werde hier abgeholt". Er blieb stehen und drückte mir den Koffer in die Hand. Sein Gesicht kam meinem ganz nahe und ich konnte sein Parfum riechen. Es roch gut. „Wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen, ich hoffe es zumindest" sagte er. Ich sah ihn nur ganz verdutzt mit meinen großen grünen Augen an. „Ich heiße übrigens Erwin" sagte er, drehte sich um und verschwand in der Menschenmenge. Ich war noch nie in meinem Leben so verwirrt stehen gelassen worden. Was war das denn? Dachte ich mir. Mein Blick schweifte über die Menschenmenge bis ich das liebliche Gesicht fand nachdem ich suchte. Die beste Freundin meiner Mutter, Klara eine 40-Jährige Frau, stürmte auf mich zu. Sie fiel in meine Arme und wir umarmten uns eine gefühlte Ewigkeit. „Endlich bist du da Elisabeth, du wirst Wien lieben" begrüßte sie mich. In diesem Moment fühlte ich mich seit Ewigkeiten wieder sicher.

Anders als erwartetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt