Entgegen meiner Befürchtungen, nahm die Hausarbeiterin das Tablett wortlos mit. Lediglich ein mitleidiges Lächeln hat sie mir geschenkt. Dazu muss man sagen, dass Hausarbeiterinnen keine Angestellten im normalen Sinne, sondern Insassen sind. Keine Kurzinsassen. Rosi sitzt eigentlich im geschlossenen Vollzug und hat sich diese Stelle hart erarbeitet. Sprich, sie war sehr kooperativ und hat sich an die Hausordnung gehalten. Trotzdem sitzt sie wegen schwerer Körperverletzung noch zwei Jahre. So nett sie auch scheint, kann ich das nicht komplett verdrängen.
Genauso wenig, dass ich bloß noch knapp eine Stunde habe, bis wir auf den Hof müssen. Gestern Abend wurde mir mitgeteilt, dass ich die nächsten fünf Tage beim Aufräumen helfen darf. Die letzten beiden Tage in der Zelle waren verdammt lang. Man bekommt einfach mit der Zeit das Gefühl, die Luft besteht nur noch aus den eigenen Sorgen und Ängsten und dann sind so sechs Quadratmeter plötzlich unfassbar klein. Daran ändern auch Formalien wie Aufnahmegespräche oder Abklärung mit dem Sozialarbeiter nichts, in denen ich eh nicht bei der Sache war.
Ich mache mich auf dem Bett lang und schaue in Richtung Fenster. Die Gitter auszublenden, gelingt mir nicht. Vielmehr drängen sie sich gewaltsam in mein Bewusstsein, sodass der blaue Himmel dahinter komplett aus meiner Wahrnehmung verschwindet.
Eingesperrt. Ich kann es auch nach drei Tagen noch nicht fassen, obwohl mein komplettes Denken seither darum kreist. Niemals hätte ich mir vorstellen können, wie weit weg mein normales Leben einmal sein könnte. Normalerweise wäre ich jetzt auf der Arbeit, zumindest auf den Weg dort hin, und würde mir die heutigen Aufträge ansehen. Gabi und Nela würden darüber debattieren, was man mir zuteilen könnte, mir dann die Scheißarbeit aufs Auge drücken und sich am Ende beschweren, dass es nicht gut genug geworden wäre. In der Zwischenzeit hätten die beiden Kaffeeklatsch gehalten und allerlei Blödsinn über mich, den Chef und manche unserer Kunden erfunden. Witzigerweise hätte Nela, wenn Gabi weg gewesen wäre, vor mir über sie hergezogen. Zickenkrieg eben. Vom Feinsten. Aber was ich so von den Flurgesprächen mitbekommen habe, brauche ich darauf hier ja glücklicherweise nicht zu verzichten.
Laut hämmert es gegen meine Zellentür.
Ich schrecke auf. Schmerz durchzuckt meinen Bauch, ist in der nächsten Sekunde schon wieder verflogen. Die tun immer so, als würden sie Dellen in den Stahl kloppen wollen! Als würde gleich ein Panzer in deine Zelle fahren.
"In fünf Minuten ist Aufschluss, Arbeit", informiert mich Frau Tirian. Sie klingt dabei so monoton wie Alexa herself. Wenn sie morgens fragt "Wie geht's" kann man davon ausgehen, dass die Antwort, sofern eine kommt, sie nicht die Bohne interessiert. Aber sie hält Wort.
Exakt fünf Minuten später höre ich den Schlüssel im Schloss. Langsam bezweifle ich, dass ich davon träumen werde. Vielmehr wird es so sein, wie mit dem Piepen an der Kasse. Irgendwann hört man es einfach nicht mehr. Zumindest hoffe ich das.
Ich darf auf den Gang treten, wo bereits zwei meiner Mitinsassen warten. Die eine ist etwas älter, wortkarg und meistens schlecht gelaunt. Ich mag sie, weil sie mich in Ruhe lässt. Das junge Huhn zwischen uns kenne ich nicht. Sie wird wohl über einundzwanzig sein, sonst hätte man sie wohl eher im Jugendknast untergebracht, aber so naiv, wie sie sich umschaut und in der Gegend herumgrinst, ist sie entweder stoned - was auszuschließen ist, weil sie sonst nicht zur Arbeit eingeteilt worden wäre - oder hält das alles für ein riesiges Abenteuer. Eine leichte Übung, wenn man zuhause bei Mama wohnt und keinen Job hat, den man verlieren könnte.
Es werden noch drei weitere Häftlinge auf den Gang zitiert, die alle brav vor ihrer Zelle stehen bleiben und warten. Der Unterschied zwischen uns und ein paar Schäferhunden ist eigentlich nur, dass die Dressur bei Hunden etwas länger dauert.
Wir bekommen Eimer und Handschuhe ausgehändigt und werden dann den Flur entlang geleitet. Alle Treppenab- und aufgänge sind vergittert. Übers Geländer klettern ist damit nicht drin. Am Ende jedes Flures gibt es eine schwere Gittertür, die auf und wieder zugeschlossen werden muss. Wir passieren acht solcher Durchgänge und zwei Treppenhäuser.
Im begrünten Innenhof angekommen, atme ich erst einmal tief durch. Kein Widerhall der Schritte, keine klickenden Schlösser, kein Gemurmel. Gut, bewacht werden wir trotzdem. Zwei Beamte stehen an der Wand und behalten uns im Blick.
"Hi, ich bin Mira."
Erschrocken zucke ich zusammen und schaue neben mich.
Das junge Mädel, das ich heute zum ersten Mal gesehen habe, strahlt mich fröhlich an.
Ich frage mich, was genau sie genommen hat, versuche aber höflich zu bleiben, auch wenn ich vermutlich etwas unterkühlt klinge, als ich entgegne: "Hi." Mehr bringt mein übermüdetes Hirn gerade nicht fertig.
"Und, warum bist du hier?", fragt sie und klingt dabei, als würde sie mich fragen, zu welcher Pop-Band ich gehöre.
Irgendwas hat die noch nicht ganz begriffen, denke ich und höre mich im selben Moment sagen: "BtMG." Am liebsten hätte ich mir einen Atemzug später, als ihre Augen zu leuchten beginnen, gegen die Stirn geschlagen. Dass ich die Angewohnheit, mit Zahlen und Kürzeln um mich zu werfen, von den anderen übernommen habe, ist das eine, aber dass ich wegen einer Drogengeschichte hier bin, das hatte ich eigentlich niemandem erzählen wollen.
"Krass!", entfährt es Mira voller Bewunderung, ehe ihr Blick etwas Flehendes bekommt. "Meinst du, du kannst mir etwas Age besorgen? Ey, wirklich, ich ..."
"Nein", bremse ich sie sofort. Genau deshalb habe ich niemandem erzählt, warum ich hier bin. Dass mich jemand für einen guten Drogenkurier hält, ist echt das Letzte, das ich gebrauchen kann.
In Miras Gesicht spiegelt sich plötzlich ein Anflug von Wut. "Mann, jetzt sei doch nicht so", redet sie auf mich ein. "Es heißt doch immer, im Knast kriegt man alles!"
Stimmt ja auch, aber man muss halt die richtigen Leute fragen. So kann ich ihr das natürlich nicht verklickern. "Hör zu", beginne ich freundlich, während ich mich langsam mit ihr über den Hof bewege und nach Müll Ausschau halte, der hier eine wahre Rarität ist, "ich hab keine Ahnung, wo man das Zeug herbekommt, okay? Und ich will damit auch nichts mehr zu tun haben. Aber bei Rosi könntest du mal fragen." Ich sage das, bevor mir klar wird, wie mies die Nummer ist, die ich mit Mira abziehe. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rosi es den Wärtern erzählt, ist deutlich höher, als dass die Hausarbeiterin der kleinen Mira auch nur ein Gramm zuschiebt. Aber Mira zu erzählen, wo sie den Stoff wirklich herbekommt, halte ich für deutlich gefährlicher, auch wenn ich der letzte Mensch auf Erden bin, der sich als Moralapostel qualifiziert hat.
So oder so, Mira zieht ab und lässt mich in Ruhe. Ohne, dass sie mir einen Monolog über ihre Strafe hält, wie es viele andere tun. Vor allem hoffe ich eins: Dass Mira bloß die Klappe hält und niemandem erzählt, was sie gerade erfahren hat - und mir ist bewusst, dass ich diesmal diejenige bin, die naive Hoffnungen hat.
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7 Tage Abwärts
FanfictionEine ziemlich dämliche Entscheidung führt Kora an einen Ort, an dem sie nicht einmal im Traum hätte landen wollen. Für sie steht alles auf dem Spiel, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hat und es braucht nur sieben Tage und eine Dummheit...