"Was ist mit deinem Gesicht passiert, Dila?", ich hob meinen Kopf und sah zu Vanessa, meine Arbeitskollegin. Schmunzelnd sah ich für einen Moment zu Boden.
"Ich bin unglücklich gefallen.", meine dunklen Augen hoben sich wieder und ich sah in ihre misstrauischen Augen. Das letzte Mal lächelte ich sie an und drehte mich mit den Putzutensilien von ihr. Mit großen Schritten verließ ich den Raum und lief in das erste Büro, welches ich reinigen sollte. Es war gerade mal 5 Uhr und noch dunkel draußen. Das Licht war ausgeschaltet. Mit dem kleinen Wagen, welcher mit Putzutensilien gefüllt war, kam ich mitten im Raum zum Stehen. Meine Augen fielen sofort zu den großen Fenstern. Ich ließ den Wagen stehen und ging mit langsamen Schritten zu den Fenstern. Mit leeren Augen blickte ich hinunter. Von hier oben wirkte alles so klein, so machtlos. Wir befanden uns im 20. Stock. Es fühlte sich von hier oben so an, als hätte ich die Macht über die gesamte Welt. Als könnte ich alles und jeden zu mir bringen. So, als könnte ich sogar Ersin zurück zu mir locken. Hätte ich genug Geld, hätte ich genug Macht, hätte er mich dann so behandelt? Hätte er mich dann endlich wirklich lieben gelernt? Ich spürte, wie etwas Warmes über meine Wange glitt. Mit einer zitternden Unterlippe wischte ich die Träne mit meinem Handrücken weg und drehte mich von dem Ausblick. Das Wort hätte verzierte meine Gedanken, seit dem ich denken konnte. Es war, wie ein Fluch, denn ich konnte jeden Satz in meinem Gedächtnis damit schmücken. Ich bereute und wünsche mir viel. Eine Last, welche mich in meinen jungen 22 Jahren, nie verlassen hatte.
"Dila bist du fertig?", lächelnd drehte ich mich zu der Stimme.
"Ja.", motivierend blickte ich in ihre müden Augen. War sie es wirklich, die müde war? Oder waren es meine vermeintlich so leuchtenden Augen, die endlich schlafen wollten?
"Gut, dann lass uns alles wegpacken und endlich nachhause.", ich nickte und schob den Wagen zurück in den Abstellraum, um mich dann wieder umzuziehen. Meine langen schwarzen Haare ließ ich glatt über meine Schultern fallen. Wir gingen zu den Aufzügen und stiegen ein, als einer von ihnen endlich in unserer Etage ankam. Ein kurzer Smalltalk und die Türen öffneten sich wieder. Wir verließen das Gebäude, verabschiedeten uns und gingen schlussendlich getrennte Wege. Wir hatten inzwischen 7 Uhr in der Früh und die Menschen begannen sich langsam auf die Straßen zu begeben. Die ersten waren schon auf den Weg zu ihren Arbeitsstellen. Die Sonne ging langsam auf. Tief einatmend, sah ich hoch. Ein leichter Wind prallte an mir ab und sorgte dafür, dass meine Haare kurz mit dem Wind wehten. Es entspannte mich, ließ mich laut ein- und ausatmen. Ich senkte meinen Kopf wieder und lief an den fremden Menschen vorbei.
Meine Beine führten mich zu der Klinik, in der meine Großmutter sich befand. Ich kam nach einer längeren Fahrt mit dem Bus an und blieb vor der Tür ihres Zimmers stehen. Ein leises Klopfen und ich öffnete die Tür. Sie saß mit dem Rücken gewandt zu mir. Ich betrat das Zimmer und ließ die Tür in das Schloss fallen.
"Anneannem. (Meine Großmutter)", sie drehte sich zu mir. Ihre hellgrünen Smaragde sahen für einen Moment stumm zu mir.
"Hast du sie mir gebracht?", ich lächelte traurig auf und ging zu ihr. Setzte mich neben sie auf das Bett und sah auf das Fotoalbum in ihrer Hand. Meine Mutter und ich, auf einem Strand in der Türkei. Traurig sah ich wieder zurück in ihr Gesicht. Sie hatte ihre Augen nicht einmal von mir genommen und doch sah sie die Verletzungen in meinem Gesicht nicht und doch sah sie den Schmerz in meinen Augen nicht. Ich hob meine Hand und platzierte sie sanft auf ihre Wange. Mit zusammengezogenen Brauen sah ich in ihre leeren Augen.
"Er hat mich wieder verlassen, Anneanne. Sag, was soll ich nun tun? Niemand hört meine Stimme. Keiner ist für mich da.", die ersten Tränen verließen meine Augen und ich sah meiner Großmutter dabei zu, wie sie meine Hand von ihrer Wange nahm und sie mit ihren warmen Händen umschloss.
"Wann bringst du mir meine geliebte Tochter wieder?", hoffnungsvoll lächelnd blickte sie mich an.
"Ich bleibe nur für dich auf dieser so verbitterten Welt, aber nicht mal du siehst mich.", eine Weile lang sahen wir uns stumm in die Augen. Ich weinte leise vor mich hin, während sie mir hoffnungsvoll in die Augen sah.
"Meine Tochter schafft alles! Nichts kann sie aufhalten!", sie küsste meine kühle Hand. Schon wieder. Schon wieder dachte sie, ich sei meine Mutter. Ich schüttelte traurig meinen Kopf.
"Weder deine Tochter, noch dein Enkelkind bekommen etwas auf die Reihe. Deine Tochter ist schon vor Jahren verstorben und dein Enkelkind ist ein lebloses Wesen, welches diese Welt noch nicht verlassen konnte. Siehst du die Verletzungen in meinem Gesicht nicht Anneanne? Nicht mal der Mann, den ich liebe, tut mir gut.", ich sah genau, wie sich der Ausdruck in ihren Augen änderte. Sie riss ihre Hände von mir. Sofort versuchte ich wieder nach ihnen zu greifen.
"Lass nicht los, Anneanne. Gib mir noch ein wenig von deiner Wärme!", und schon traf mich die Ohrfeige. Mein Kopf wandte sich nach rechts und ich sah somit nicht mehr in ihr Gesicht, sondern auf die kahle Wand neben ihrem Bett. Mir fiel dir Situation mit Ersin wieder in den Sinn und ich begann ironisch zu grinsen. Meine Tränen funkelten auf meinen Wangen. Schmerzerfüllt lächelnd sah ich zurück zu der Frau, welche mich einst Mal so geliebt hatte, wie ich es nun tat. Zu der Frau, welche mich groß gezogen hatte. Ich erinnerte mich an die Tage in meiner Kindheit zurück. Ich liebte meine Großmutter so sehr. Sie war die erste Frau, die mir gezeigt hatte, was das Wort Liebe bedeutet. Die erste Frau, welche mir Wertschätzung gezeigt hatte. Die erste Frau, welche sich um mich gesorgt hatte. Meine Mutter hatte uns schon früh verlassen. Ich bin in ihren Armen gewachsen und nun. Nun, Jahre später erinnerte sie sich nicht an einer dieser Momente. Mein Großvater ist von uns gegangen und die Seele von meiner Großmutter hatte diese Welt ebenso verlassen. Das Einzige woran sie sich noch erinnerte, waren mein Großvater und meine Mutter. Es war nicht fair, denn sie waren weg und ich befand mich noch hier. Hier auf dieser Welt, bei ihr.
Sie hatte ihre Hände in ihren Haaren und zog an ihnen. Ich erhob mich vom Bett und drückte auf die Taste, neben ihrem Bett, welche dafür sorgen sollte, dass eine Schwester in das Zimmer kommt. Ohne zurück zu sehen, lief ich aus ihrem Zimmer und ging den langen Gang entlang. Ich hörte sie kreischen. Mein Herz zog sich zusammen und ich spürte, wie mir immer mehr Energie aus dem Körper wich. Ich befand mich in einer dunklen Grube, aus der ich nicht herauszukommen schien. All das schien, wie mein Ende. Ich hatte keine Kraft mehr. Fest biss ich in meine Unterlippe, als ich plötzlich gegen eine Schulter lief. Einzelne Strähnen meiner Haare fielen vor mein Gesicht und ich drehte mich zurück zu der Person. Mit leeren Augen blickte ich in gerötete, honigbraune Augen. Ein Mann in einem dunklen Anzug.
"Tut mir leid.", leise verließen die Worte meinen Mund. Ich hielt inne. Sah länger als gewohnt in diese fremden Augen, denn sie strahlten dieselbe Leere aus, die ich in meinen trug. Ich sah zu seiner Kleidung hinunter und dann wieder hoch in seine Augen. Also half auch dieses wertvolle Papier, welches sich Geld nannte, einem nicht weiter. Ein ironisches Lächeln huschte über meine Lippen und meine Grübchen ließen sich unbemerkt zeigen.
Wir sahen uns viel zu lange an, für zwei Fremde.
Vielleicht, weil uns der Ausdruck in den Augen bekannt war?
Ich sah meine einst so helle Kindheit in seinem hellen Honig.
Sah die sonnigen Tage, an denen ich mit meinen Großeltern spazieren gegangen bin.
Hörte mein einst so glückliches und kindliches Lachen in meinen Ohren hallen.
Hörte die liebevolle Stimme meiner Großmutter.
"Egit, kommst du?", meine Augen fielen nach links zu einer jungen Frau. Wahrscheinlich in meinem Alter. Sie schloss ihre Arme um seinen und ich kam wieder zu mir. Drehte ihnen meinen Rücken zu und lief den Gang weiter.
Hörte statt der liebevollen Stimme meiner Großmutter wieder ihr Geschrei durch die Gänge hallen.
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In deinem Schatten
RomanceWir sahen in fremde Augen und doch wirkten sie so bekannt. Ich sah meine einst so helle Kindheit in seinem hellen Honig. Sah die sonnigen Tage an denen ich mit meinen Großeltern spazieren gegangen bin. Hörte mein einst so glückliches und kindliche...