04 - Ich möchte dich hassen

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"Ersin! Mein Großvater hat uns Zuckerwatte aus der Türkei mitgebracht!", glücklich lief mein gerade Mal 10-jähriges Ich zu dem 14-jährigen Ersin, welcher mich grinsend von der ferne betrachtete.

"Hör auf zu laufen Dila! Du fällst!", und schon stolperte ich und fiel zu Boden. Für einige Sekunden sah ich schockiert auf den Boden, bevor ich meinen Kopf hob und zu Ersin sah, welcher schon dabei war zu mir zu joggen. Er strengte sich an, um mich nicht auszulachen. Ich spürte, wie meine Unterlippe zu zittern begann und wusste, ich würde jeden Moment anfangen zu weinen, auch wenn ich es nicht wollte. Ersin kam bei mir an, half mir hoch, nahm mein Gesicht in seine warmen Hände und grinste mich viel wissend an. Ich sah in seine dunklen Augen. Leichte Lachfältchen hatten sich an seinen Augen gebildet. Er strahlte regelrecht und sorgte somit dafür, dass auch ich mit gefüllten Augen anfing zu grinsen. Ohne es realisiert zu haben, begannen wir gleichzeitig zu lachen.

"Muss ich immer die Augen auf dich haben, damit dir nichts passiert?", grinsend strich er mit seiner Hand über meinen verwüsteten Kopf.

Mit klopfendem Herzen warf ich die Kapuze über meinen Kopf. Der Briefumschlag war weiterhin an meinem Körper. Ich hatte ihn zwischen die Hose geklemmt, die ich inzwischen anhatte. Mit meinem Rucksack an mir lief ich mit großen und schnellen Schritten Richtung Klinik. Mein Herz raste noch genauso schnell, wie vor einer Stunde. Eine Stunde ist es inzwischen her, seit dem ich aus diesem Hotel fliehen konnte. Wo Ersin war oder was er tat, wusste ich nicht. Ich hoffte nur, dass man ihn zur Polizei gebracht hatte. So würde ich Zeit gewinnen. Genug Zeit um zu verschwinden. Es ist nicht das erste Mal, dass ich zu entkommen versuchte. Nicht das erste Mal, dass mich diese Angst plagte. Mit Ersin war das Leben nun Mal solch ein Chaos. Von nun an würde es aber ein Ende nehmen. Ich werde dieses Mal wirklich fort gehen. So weit weg, dass ich ihn nie wieder sehen muss. Der Gedanke an ihn ließ mein Herz schmerzerfüllt jaulen. Es schmerzte und ich wusste nicht, wohin mit den Gedanken. Sie schwirrten in meinem Kopf umher. Klar denken, konnte ich seit den letzten Stunden schon lange nicht mehr. Ich handelte unüberlegt und schnell. Diesmal dürfte ich es nicht bereuen. Diesmal würde all das mit Ersin wirklich ein Ende nehmen. Das muss es, sonst wird man irgendwann meine Leiche in irgendeiner Gasse dieser Straßen finden. Noch vor einem Tag stand ich wieder auf diesem zu bekannten Dach und drohte zu fallen und nun? Nun tat ich alles dafür, um am Leben bleiben zu können. Der Verrat Ersins hatte solch eine Wirkung auf mich. Ich wollte ihm sein Glück nehmen, genau, wie er es mir weggenommen hatte.

Und das, was er als Glück ansah, war das Geld, welches ich hinter meinem Hosenbund versteckte.

Dieses wertvolle Papier, welches ihm nur Unheil gebracht hatte.

Wie lange willst du noch bei dieser Schlampe bleiben?

Die Worte der Frau, welche ihm diese Nachrichten geschickt hatte, fielen mir wieder in den Sinn und ich spürte, wie meine Augen zu brennen begannen. Schnell wischte ich die Tränen mit meinem Handrücken von meinen glühenden Wangen.

"Du hast keine Ahnung wer ich bin. Was ich für Ersin bin. Was wir zusammen durchgemacht haben.", hörte ich mich flüstern und realisierte, dass all das, was ich mir vorgestellt hatte, gar nicht so war, wie ich dachte. So wichtig, wie ich dachte war ich ihm nicht.

So viel hatte ich ihm verziehen.

So viele dumme Aktionen hatte ich mitgemacht. Meine Akte bei der Polizei war voll. Mein Wert war so tief am Boden. Keiner hielt mehr besonders viel von mir. Jeder wusste, wie Ersin und ich zueinander waren. Jeder wusste, was für Aktionen wir durchgezogen haben.

Ich erinnerte mich an die Tage, an denen Ersins Fäuste mit meinem Körper zusammengekommen sind. Erinnerte mich an die unzähligen Augen, die nur zugesehen hatten. Ich war so wertlos, dass man nicht Mal mehr eingriff, wenn er mir weh tat.

In deinem SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt