Eiskalte Finger

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Es war ein eisiger Morgen. Kalter, nasser Tau hatte sich gerade über das Gras gelegt. Nur ich spürte es nicht. Ich fühle nichts. Die ersten Sonnenstrahlen, die erwachten, fielen durch mich wie durch trübes Glas und trafen auf eine kleine Gestalt, die ein paar Meter vor mir starr ruhte. Seit Stunden verharrten wir so. Nur die Nacht wurde zum Tag, der Nachthimmel ging, der trübe Morgen kam. Unter den schweren, dunklen Wolken erkannte ich nur den schwarzen Schatten der Gestalt.

Ich beschloss mich aus der Starre zu lösen. Ich hatte nicht mehr viel Zeit. Ich habe immer unendlich viel zu tun. So näherte ich mich der Gestalt auf wenige Meter. Das graue Fell war nass vom Tau und klebte an dem Körper des Katers. Sein Blick ruhte auf der halbtoten Maus, die er unter seinen Pfote an ihrem Platz hielt und nicht fliehen lies. Der Kater spürte meine Anwesenheit. Die meisten Tiere können mich spüren. Er wusste schon lange, dass ich kommen würde. Er erwartete mich.

Stumm stand ich neben dem Grab, vor dem der Kater wachte. Dann kniete ich nieder, um meine Hände auf die Maus zu legen. Die Kälte aus meinen Fingern nistete sich in den ohnehin schon kalten Körper ein und löschte die letzte Wärme. Sie starb in meinen Händen.

"Das hast du mit ihr auch getan, oder?", spürte ich die Gedanken des Katers, auch wenn er sie nicht aussprach. Er hob seinen Blick und richtete ihn auf das Grab. Es war das seiner Geliebten. Das wusste ich. Ich weiß alles. "Ja das habe ich" Stille. "Wieso?" Wieder Stille. Ich gab keine Antwort. Stattdessen richtete ich mich auf und wollte gehen. Ich habe immer unendlich viel zu tun."Nimm mich mit dir", dachte der Kater. "Ich möchte dich nicht", erwiderte ich. Erneute Stille. Wieder kniete ich nieder. Mit einem meiner Finger berührte ich kurz seine Schulter. Er schauderte, als meine Kälte ihn durchfuhr. Sie blieb in seinem Herzen. "Such dir eine Seele, der du ihre Kälte nehmen kannst und sie wird dir im Gegenzug deine Kälte nehmen. Wärmt euch gegenseitig, denn meine Kälte nehmen ich nicht zurück. Ich möchte dich noch nicht." Stille. "Warum?" "Was bringt ein Foto, wenn niemand sieht, was darauf ist? Was bringt ein Geschichte, wenn keiner die Sprache verstehen kann?" Der Kater sah zu mir hinauf, er begann zu verstehen. "Was bringt mir also deine Seele, wenn niemand sie kennt, wenn sich niemand an sie erinnert, wenn sie niemand vermisst?" Und so ließ ich ihn allein und ich werde erst wiederkehren, wenn die Zeit dafür gekommen ist, denn nur sie steht über mir. Nur die Zeit kann das Ende setzen.

Oneshots ~ An dich RealitätWo Geschichten leben. Entdecke jetzt