Eine brenzlige Angelegenheit

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(Jeremiah PoV)

Heute ist unser zehnter Geburtstag. Und es wird der letzte Geburtstag sein, den ich mit meinem Bruder verbringen würde. Ich hatte genug von ihm, genug von unserer Mutter. Sie wurde von Tag zu Tag schlimmer. Zwar lässt sie ihre Launen immer an Jerome aus, aber ich will nicht darauf warten am Ende auch noch ihre Schläge ertragen zu müssen.

Mir ist klar, dass das egoistisch ist. Aber das ist mir herzlich egal. Wenn man vor die Wahl gestellt wird sich selbst zu retten oder jemand anderem beizustehen, sollte man sich für sich selbst entscheiden. Alles andere wäre doch einfach nur dämlich. Und ich war ganz sicher nicht dämlich.

Das ist überhaupt einer der Gründe wieso ich nicht nur gehen will, sondern gehen muss. Ich bin genial, ein Genie. Das ist ein Fakt, keine überhebliche Behauptung. Hier beim Zirkus ist mein Talent verschwendet. Aber wenn ich hier rauskomme und endlich frei bin von diesen beschränkten Menschen... die Dinge zu denen ich fähig sein werde... Fortzugehen ist ein Dienst an der Allgemeinheit.

Dazu muss ich nur einen Grund liefern, um zu gehen. Weggebracht zu werden, wie auch immer. Ist auch egal, das Ergebnis bleibt das gleiche. Die Frage ist nur wie ich es anstelle. Es muss etwas sein, das sie nicht herunterspielen können. Etwas, das sie von selbst auf den Gedanken bringt, dass es das beste wäre mich wegzubringen. Aber was?

Ich könnte irgendwas anstellen. Irgendwas, das so schlimm ist, dass ich für den Zirkus nicht länger zumutbar bin. Wie die Tiere freizulassen. Oder sie zu töten. Ich helfe oft in den Ställen aus, das wäre nicht das Problem. Ich könnte auch das Zirkuszelt abfackeln oder alle Kostüme der Schausteller vernichten.

Nein, das sind alles dämliche Einfälle. Dämlich, dämlich, dämlich. Dumm. DUMM. Keine dieser Ideen würde dafür sorgen, dass sie mich an einen Ort brachten, an dem ich meinen Intellekt weiterbilden konnte. Ich würde höchstens weggesperrt werden. Oder meine Mutter würde doch noch anfangen mich zu verprügeln. Und genau das wollte ich doch verhindern.

Aber natürlich, ja, das wäre eine Idee. Soll sie Jerome verprügeln. Das ist mir egal. Nicht mein Problem. Ich könnte sie aber für mich nutzen. Sie und ihren nicht ganz so unterschwelligen Hass auf meinen Bruder. Wenn ich sie dazu bringe zu glauben, dass er eine Gefahr für mich ist, muss sie mich wegschicken. Sie liebt mich. In jedem Fall bin ich ihr wichtiger als er.

Hihi. Ja, so werde ich das machen. Ich tue etwas, das mich in Gefahr bringt. Dann sage ich es wäre Jeromes Schuld. Er bekommt den Ärger und ich meine Freiheit. Entschuldige Brüderchen, aber anders geht's nicht. Wie schon mal erwähnt, ich gehe vor. Ein Unfall würde nicht den gleichen Effekt haben. Denn bei einem Unfall besteht nun einmal nicht die gleiche Chance, dass es wieder passiert, wie bei einem Mordversuch.

Ich schaue hinüber zu Jerome. Er liegt noch im Bett und schläft. Kein Wunder, die Sonne geht gerade erst auf. Ich schleiche mich zu unserem kleinen Tischchen in der Mitte des Wohnwagens, wo die Zigaretten und das Feuerzeug unserer Mutter liegen. Mit dem Feuerzeug in der Hand gehe ich zurück zu meinem Bett.

Ja, so könnte das funktionieren. Genaugenommen ist der Plan perfekt. Natürlich ist er das. Schließlich ist es mein Plan. Der kann nur genial sein, ist einfach so. Ein wenig tut es mir leid, wenn ich Jerome so ansehe. Immerhin ist er mein Bruder, sogar mein Zwillingsbruder. Nur was würde es mir schon bringen hier zu bleiben? Ich würde nie mein ganzes Potenzial ausschöpfen können. Und er hat eben kein Potenzial, zumindest nicht so wie ich.

Ich öffne das Feuerzeug und träufele ein wenig des Benzins über meine Decke. Nicht zu viel damit ich am Ende nicht wirklich verbrenne. Als das erledigt ist krieche ich zurück ins Bett und decke mich zu. Dann, nachdem ich noch einmal tief ein und aus geatmet habe, nehme ich das Feuerzeug und zünde die Decke an.

Sie fängt sofort Feuer und ich fange an zu schreien. Davon wird auch Jerome neben mir wach und springt auf. Ich trete die Decke von mir runter und bin gerade aufgestanden als unsere Mutter ins Zimmer gestürmt kommt. Sie sieht auf mein brennendes Bett, verschwindet wieder aus dem Zimmer und kehrt mit einem Eimer Wasser zurück. Nachdem der Brand gelöscht ist, wandert ihr Blick von meinem verschreckten Gesicht zu Jerome. Er steht nur da ohne etwas zu sagen.

„Na warte du Drecksbalg. Was fällt dir eigentlich ein deinem Bruder so etwas anzutun?!"

Sie packt ihn und zerrt ihn aus dem Zimmer. Ich höre ihn schreien und weinen, aber das kümmert mich nicht. Ich habe erreicht was ich wollte. Der Rest des Tages verläuft im Vergleich zu diesem feurigen Start ruhig. Ich verbringe die meiste Zeit damit meine Labyrinthe zu zeichnen. Jerome hat sich in unser Zimmer zurückgezogen.

Als es wieder Nacht ist weckt mich meine Mutter heimlich. Jerome lässt sie schlafen, er soll wohl nichts davon mitbekommen. Draußen vor dem Wohnwagen wartet unser Onkel.

„Zach wird dich an einen Ort bringen, wo dein nichtsnutziger Bruder dir nicht mehr schaden kann. Aber keine Sorge mein Schatz, wir können trotzdem telefonieren oder uns Briefe schreiben, ja? Es wird alles gut."

Ich nicke und lasse zu, dass sie mich umarmt. Dann folge ich meinem Onkel zu seinem Auto. Endlich frei.


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⏰ Letzte Aktualisierung: May 19, 2020 ⏰

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