Geburtstag

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(Jerome PoV)

„Haaaaappy Biiirthdaaaay!", rief ich so laut ich konnte meinem Bruder Jeremiah ins Ohr.

Er erschrak sich und saß plötzlich aufrecht im Bett. Dabei stieß er mit seinem Kopf gegen meinen. Es tat weh, aber das machte mir nichts. Dafür war sein Gesichtsausdruck zu lustig. Diese weit aufgerissenen Augen, einfach herrlich.

„Jerome, was ist denn los?"

„Wir haben Geburtstag, du Idiot. Komm schon, wir müssen feiern."

Ich packte seinen Arm und wollte ihn aus dem Bett zerren, aber er wehrte sich. Immer das gleiche mit dem, die totale Spaßbremse. Ungeduldig sah ich zu wie er sich die Augen rieb und den Vorhang zur Seite zog, um aus dem Fenster zu sehen. Draußen war es dunkel. Natürlich war es dunkel, schließlich war es mitten in der Nacht. Mitternacht um genau zu sein.

„Wie viel Uhr ist es überhaupt?"

„Na, kurz nach Mitternacht. Wir sind seit zwei Minuten sechs Jahre alt."

„Wieso hast du mich geweckt?"

„Hallooo? Geburtstag, du, ich, wir beide? Hörst du mir überhaupt zu? Und da sagen sie immer du wärst der schlaue von uns beiden."

„Ich bin der schlaue von uns beiden. Und jetzt leg dich wieder hin. Wo ist Mama überhaupt?"

„Keine Ahnung, ist doch auch egal. Wenn es hell wird kommt sie schon irgendwann zurück. Wir brauchen sie nicht, das ist unser Geburtstag. Also steh endlich auf."

Wieder griff ich nach seinem Arm und zog diesmal mit aller Kraft an ihm. Er wollte immer noch nicht, aber er hatte keine Wahl. Schließlich gab er nach und stand auf. Mittlerweile wirkte er auch zumindest einigermaßen wach. Gut. Wenigstens etwas. Verdammt war das anstrengend mit dem Kerl.

„Und was hast du jetzt vor?"

„Lass dich überraschen", grinste ich ihn an.

Für einen kurzen Moment sah ich so etwas wie Angst in seinen Augen. Mein Grinsen wurde breiter. Ich ließ seinen Arm los und verließ den Wohnwagen. Er folgte mir, natürlich folgte er mir. So sehr er sich auch dagegen wehrte – wir waren gleich. Nicht nur unser Aussehen, auch der Rest. Naja, mal davon abgesehen, dass ich viiiiiiiiiiiiiiiiiiiel lustiger war als er. Aber neugierig waren wir beide.

„Wir dürfen da nicht rein", meinte Jeremiah als wir vor dem Zirkuszelt standen.

„Stell dich nicht so an du Feigling. Wir spielen doch nur ein bisschen", erwiderte ich und verschwand im Inneren.

Dort brannte ein Licht. Alles war so wie ich es gelassen hatte, bevor ich Jeremiah geweckt hatte. Keiner hatte etwas gemerkt und war gekommen. Gut so, auf die extra Prügel meiner Mutter konnte ich verzichten. Aber das hier musste sein. Es war unser Geburtstag, mein Geburtstag. Den mussten wir feiern. Allein. Ohne irgendwelche nervigen Leute.

„Was soll das werden?"

Mit einem zufriedenen Grinsen drehte ich mich um. Er war mir also doch gefolgt. Tja ja, die Neugier ist der Katze tot. Wie wahr. Aber ich würde ihn nicht töten. Vermutlich. Höchstwahrscheinlich. Egal.

In der Mitte des Zeltes stand eine große Zielscheibe. Ungefähr zehn Meter entfernt hatte ich noch einen Tisch mit Wurfmessern bereitgestellt. Jeremiah war verängstigt, auch wenn er versuchte es zu verbergen. Ich kannte ihn eben, vor allem seine Schwächen.

„Wir spielen ein wenig, so wie Kinder das eben tun Bruder. Komm schon, lass uns anfangen", ich deutete auf die Scheibe, „Stell dich da vorne hin."

„Nein, auf keinen Fall! Du bist doch verrückt."

Er schüttelte heftig den Kopf und ich verdrehte die Augen. Dieser Langweiler.

„Na gut", seufzte ich, „dann bist du eben zuerst dran mit werfen."

Mit diesen Worten stellte ich mich vor die Scheibe und sah ihn auffordernd an. Er zögerte, ging aber schließlich zum Tisch mit den Messern. Vorsichtig nahm er eins in die Hand.

„Jetzt mach schon", rief ich ungeduldig.

Er sah zu mir, überlegte und warf. Das Messer landete am Rand der Scheibe. Ich fing an zu lachen.

„Das kannst du besser", ermutigte ich ihn.

Jeremiah warf noch die übrigen vier Messer, dann war ich an der Reihe. Ich zog die Messer aus der Scheibe und wir tauschten die Plätze. Dabei sah ich wie er zitterte.

„Keine Sorge Bruder, dir passiert schon nichts", sagte ich nur bevor ich das erste Messer warf.

Es war ganz leicht. Ich konnte definitiv besser zielen als er. Es wäre so einfach ihn zu treffen. Aber ich tat es nicht. Nur fast. Auch wenn es verlockend war. Nachdem ich auch meine Würfe verbraucht hatte, tauschten wir wieder. Und nochmal und nochmal bis es hell wurde. Danach gingen wir zurück in den Wohnwagen und legten uns hin.

„Happy Birthday Jerome", war das letzte was ich hörte bevor ich einschlief.

Die Geschichten zweier Brüder Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt