Das Studio

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Ich fass' es nicht... ich fass es einfach nicht!" Hibbelig und mit den Nerven völlig am Ende drehte ich unzählige Kreise in meiner Wohnung, raufte mir die Haare und fragte mich immer wieder, wieso ich das tat.
„Entspann dich, Küken", kam es tiefenentspannt von meiner Couch, woraufhin ich tief durchatmend in die Richtung drehte. Jamie saß dort mit überschlagenen Beinen und würdigte mich nicht einmal eines Blickes. Seine Nase war bis zum Anschlag in mein unfertiges Manuskript vergraben, welches er nun schon seit einer geschlagenen Stunde durchlas. Sein Fuß wippte regelmäßig auf und ab und er nippte an seiner Kaffeetasse.
Stöhnend ließ ich mich schließlich auf meinen Bürostuhl fallen und schaute murrend durch die Gegend. Wieso hatte ich mich von ihm dazu überreden lassen? Drei erfolgreiche Tage hatte ich es geschafft ihm in diesem Thema auszuweichen und nun hielt er es doch in der Hand und las es sich durch. Es war, als würde ich ihm sämtliche Gedanken, die ich mir je über ihn machte, mit Pauken und Trompeten hinausposaunen. Direkt in sein Gesicht.
Als ich das Zusammenklappen des Manuskriptes hörte, sah ich auf und zu ihm herüber. Noch immer seelenruhig nippte er an seinem Kaffee, legte das Manuskript beiseite und sagte kein Wort. Gespannt starrte ich ihn an, hob auffordernd meine Augenbrauen an.
„Und?"
Jamie verzog seine Lippen zu einer Linie, faltete die Hände über seine Knie und sah schließlich langsam zu mir herüber. Der Blick aus seinen blauen Augen traf meinen und ich konnte das erste Mal seinen Gesichtsausdruck nicht definieren.
Ich wurde beinahe verrückt!
„Du findest also... dass ich aussehe wie ein Geier." Seine Stimme klang ruhig, undefinierbar. „Und dass ich dünn und drahtig bin...", begann er aufzuzählen.
Hart schluckte ich. Oh oh...
Perplex starrte ich ihn an, als er sich langsam erhob und mit dem Manuskript in der Hand auf mich zu geschlendert kam. Irritiert sah ich zu ihm auf, als er sich mit den Händen rechts und links von mir auf den Armlehnen meines Stuhls abstützte und sich zu mir hinunterbeugte. Seine blauen Augen waren direkt auf mich gerichtet, seine Augenbrauen argwöhnisch hochgezogen und seine Lippen waren noch immer zu einer Linie verzogen. Nur wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter.
„... und ich ein kantiges, einprägsames und überaus markantes Gesicht sowie strahlend blaue Augen habe und meine Haare den Wunsch in dir aufkommen lassen durch sie hindurch zu wuscheln." Sein Blick bohrte sich in meinen und ich lehnte mich unweigerlich ein wenig nach hinten. Jamie sah in meinem Gesicht herum und in der nächsten Sekunde zog sich ein Mundwinkel in die Höhe.
Erleichtert erkannte ich sein schiefes Lächeln, konnte mich aber dennoch nicht entspannen.
Sein schiefes Lächeln wandelte sich in ein Grinsen, welches immer breiter wurde und seine weißen Zähne zeigten.
„Du machst mir Angst", gestand ich flüsternd, konnte mein Blick aber auch nicht abwenden. Jamies Grinsen wurde so breit, dass er, wenn er keine Ohren gehabt hätte, im Kreis grinsen würde.
„Und du findest mich attraktiv", gab er überaus amüsiert zurück, wackelte mit seinem Kopf von rechts nach links und betonte das letzte Wort mit jeder einzelnen Silbe.
„Cara!", verteidigte ich mich sofort und hob einen Finger an. „Cara findet dich – Leo – attraktiv!"
Zwischen seinen Zähnen tauchte seine Zunge auf, die er mir neckend entgegenstreckte.
„Du findest mich attraktihiiiv", sang er und wippte noch mehr hin und her, während er mir weiter die Zunge herausstreckte.
„Pookie!", warnte ich und funkelte ihn warnend an. Doch er hörte nicht auf, zog mich immer weiter damit auf. Er wollte zur Couch herüber gehen, um seinen Kaffee weiter zu trinken, doch ich rannte ihm hinterher, sprang auf seinen Rücken, um ihn zum Schweigen zu bringen.
„Hey, hey! Ein angriffslustiges Küken", lachte er, hielt mich fest und drehte sich im Kreis. Wir alberten herum, neckten uns und zogen uns gegenseitig auf. Als wir schließlich nebeneinander auf der Couch lagen, sah ich keuchend zu ihm herüber.
„Ist es okay?", traute ich mich zu fragen und sah dabei zu, wie er sein Gesicht zu mir drehte, während seine Brust sich stark hob und senkte. „Das du... ich meine..."
Über mein Gestammel musste Jamie grinsen und er rutschte näher an mich heran. Ohne zu fragen legte er seinen Kopf auf meinem Bauch ab und schielte zu mir hoch.
Mittlerweile war ich diese Art von Nähe zu ihm gewohnt. Seit mehreren Tagen bereits nun teilten wir uns quasi mein Bett. Er kam nach der ersten Nacht bei mir einfach vorbei, ohne zu fragen oder vorher Bescheid zu sagen. Überraschenderweise war es in Ordnung für mich. Er gab mir Sicherheit – ich ihm. In welchen Belangen auch immer. Es war ein stilles Abkommen, dass wir trafen und wenn ich ehrlich zu mir war hatte ich nie besser geschlafen. Wir kuschelten nicht immer beim Einschlafen, wachten meistens aber irgendwie ineinander verschlungen auf. Und wenn der erste von uns wach war, ging er zu Jamie herüber und machte Kaffee.
Mittlerweile war es das normalste der Welt für uns.
„Es ist gut, Alex", versicherte er mir nickend und riss mich somit aus meinen Gedanken. „Wirklich. Es ist Wahnsinn."
In meine Wangen schoss eine verlegene Röte und Jamie begann zu grinsen. Er drehte sich zur Seite, sodass er mich leichter ansehen konnte. „Ich will ab jetzt alles lesen, was du schreibst."
„A-Alles?"
„Sobald du etwas Neues hast, will ich es lesen", bat er fröhlich und lächelte schief. „Ich muss ja sichergehen, dass du mich im richtigen Licht darstellst." Überheblich grinste er und strahlte dabei wieder diese Art Arroganz aus, die er manchmal an den Tag legte.
„Du nun wieder." Kopfschüttelnd rollte ich mit den Augen. „Also willst du mein Betaleser werden?"
„Dein was!?" Sein irritierter Ausdruck brachte mich zum Lachen, sodass Jamies Kopf auf meinem Bauch herumwippte.
„Betaleser", erklärte ich, nachdem ich mich etwas beruhigt hatte und mir die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. „Jemand, der das Geschriebene zuerst liest und es auf Fehler untersucht. Seien es Grammatikfehler oder Logikfehler oder so."
Kurz schien Jamie zu überlegen. „Okay, dann bin ich dein Betaleser." Uns beiden huschte ein Grinsen über das Gesicht, während mein Blick auf seine verwuschelte blonde Mähne fiel, in der einige Federn von der vorherigen Kissenschlacht hingen. Ich lachte kurz auf und begann die Federn aus seinen Haaren zu pulen. Einige waren jedoch so widerspenstig, dass ich in seinen Haaren herumwühlen musste, um sie heraus zu zupfen.
„Mhhh", schnurrte Jamie als ich fertig war. Schmunzelnd sah ich zu ihm hinunter und erkannte, dass er mit geschlossenen Augen dalag und es anscheinend genoss. „Weeeeiter", jammerte er und schielte mit einer Schmolllippe zu mir hinauf. „Nicht aufhören." Er griff nach meiner Hand und platzierte sie auf seinem Kopf, damit ich ihn kraulte. Kopfschüttelnd verzog ich einen Mundwinkel und begann schließlich sanft in seinen blonden Haaren herumzuwühlen. Ich kraulte seine Kopfhaut, spielte mit einigen Strähnen herum strich ab und zu mit meinem Daumen über sein Ohr oder seiner Stirn. Dieses Gekraule hatte schon immer eine beruhigende Wirkung, nicht nur auf den anderen. Auch ich entspannte mich so sehr dabei, dass ich meine Augen schloss und es einfach immer weiter machte. Ein leises Grunzen ließ mich kurz nach unten schielen und ich erkannte Jamie zum Embryo zusammengerollt neben mir liegen, den Kopf auf meinem Bauch – er war eingeschlafen. Er sah so friedlich dabei aus, dass es einen fast rührte und die ab und an zum Vorscheinkommende Arroganz und Selbstverliebtheit beinahe vergessen ließ. Vorsichtig griff ich zu meinem Handy und schoss davon ein Foto. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich betrachtete ihn noch weiter. Es war schon niedlich, wie er sich so an mich schmiegte, ich ihn kraulte und er so tiefenentspannt dabei war. Er wirkte wie ein junger Welpe, der beim Spielen einfach zur Seite gekippt war und einschlief.

Love between the linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt