Prolog | Martje, das Meer

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Jeden Abend lag Martje auf dem kopfsteinpflastergrauen Bettlaken, mit dem Gesicht zur Wand und füllte den leeren Raum mit ihrem leeren, schweren Atem.

Wie konnte die Leere nur eine andere Leere füllen?

Aber Martje war nicht leer. Martje war alles andere als leer. Sie war stürmisch wie das offene Meer, Martje, das Meer, ungebändigt, wild und einsam. Dieses offene Meer, es wurde von ihrem roten, langen Haar verwischt, spröde und stumpf, abgedeckt.
Martjes Haut war blass mit blassen Sommersprossen und blassen Augen, so blass, sie waren schon dunkel, dunkelblau, aber kein stürmisches Blau, denn es war flach und hatte seine Tiefe in der dünnen Leere verloren, bis sie tief wurde, so tief, dass man fiel.
Aber Martje, Martje war doch nicht gefallen, nicht leer. Sie war stürmisch wie das offene Meer, Martje, das Meer, ungebändigt, wild und einsam.

Einsam.

Warme Tränen flossen weich und sanft und zart, kaum merklich aus ihren Augenwinkeln auf das Bett. Geräuschlos.
Ausgehungert, bitter und mild, als das warme Salzwasser ihre spröden Lippen benetzte.
Ihre Tränen waren mager.
War sie so einsam, dass sich noch nicht einmal eine kleine, schimmernde Pfütze aus ihren Tränen zu ihr gesellen wollte? Das Bettlacken sog das Salzwasser tief in sich ein, lechzend nach mehr. Aber Martje hatte keine Tränen mehr. Sie hatte sich nicht ausgeweint, nur ein paar Tränen frei gelassen, weil selbst sie nicht mehr mit Martje allein sein wollten. Trotzdem hatte Martje keine Tränen mehr. In Martje war es einsam.

Ihre Einsamkeit war ungebändigt, wild,
das Meer,
stürmisch,
flach,
fast schon leer.

Jeden Abend lag Martje auf dem kopfsteinpflastergrauen Bettlaken, mit dem Gesicht zur Wand und füllte den leeren Raum mit ihrem leeren, schweren Atem.

Martje lag dort und wartete, wartete bis das kopfsteinpflastergraue Bettlaken auf ihre Gedanken abfärbte und der leere Raum auf ihr Gemüt, wartete auf ihn.

Martje, das Meer, wartete auf das Blau, denn jedes Meer war blau, nicht wahr?

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