Kapitel 7.1 - Wie bedauerlich...

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Als ich ein paar Tage später mein rotlockiges Spiegelbild in der verglasten und vor allem geschlossenen Tür der Schneiderwerkstatt betrachtete, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass die Woche vielleicht ganz wunderbar werden würde: Ich hatte nämlich überraschend drei Tage frei – Meisterin Thoran und Giselle waren krank und mich als Lehrling wollten sie nicht allein in der Werkstatt und im Laden lassen. Einen Moment lang war ich darüber fast beleidigt, doch dann dachte ich an all die Dinge, die ich jetzt tun konnte: Ich könnte mich noch mal hinlegen 0der lesen oder in die Bibliothek gehen oder Epoh in ihrer Mittagspause besuchen oder, oder, oder... Der Tag steckte plötzlich voller Möglichkeiten! Und mit einem leisen Lächeln machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause.


Dort angekommen verflüchtigten sich all meine Überlegungen von selbst, als ich Pallas schon von weitem in unserer Straße sah. Lächelnd ging ich zu dem braunen, kräftig gebauten Kaltblut und streichelte ihm die weichen Nüstern, während der Wallach in meiner Hand nach ein paar Zuckerstückchen suchte. „Keine Sorge", flüsterte ich dem Pferd zu. „Ich schleiche nachher noch in die Küche und hol dir was."

„Das lass mal lieber – wenn er noch mehr zunimmt, kann er unseren Wagen nicht mehr ziehen", witzelte Papas muntere Stimme hinter mir, als er mir kurz auf den Rücken klopfte, ehe er wieder einen Blick auf die Liste in seiner Hand warf. „Was machst du überhaupt hier?"

„Hör nicht auf ihn, Pallas! Du bist wunderbar, so wie du bist. Außerdem sind das alles Muskeln", säuselte ich dem Kaltblut zu, dessen Unterhalt sich Papa mit dem Schmied teilte, ebenso wie das dazugehörige Fuhrwerk. Beide Handwerker brauchten Pferd und Fuhrwerk nicht immer, aber regelmäßig, um ihre Waren zu den Kunden in der umliegenden Region zu bringen. „Giselle und Meisterin Thoran sind heute krank und ich hab deshalb frei!"

„Ach wie bedauerlich..."

„Ja, sehr bedauerlich...."

Papa lachte warm und herzlich. „Na dann: Möchtest du mit mir kommen? Ich bringe die Möbel hier Galence."

Ich zögerte kurz, das war der nächst größere Ort der Umgebung, nicht groß genug, dass man es wirklich als Stadt bezeichnen könnte, aber auch kein Dorf mehr. Und vor allem war es auch mit dem Fuhrwerk eine gute Stunde Weg. „Ist denn genug Platz? Zac und Trell kommen doch sicher auch mit?", hakte ich so diplomatisch nach, dass ich mich selbst überraschte. Ich hätte kein Problem mit Zac, aber eine ganze Fahrt lang mit Trell auf dem Wagen gequetscht – nein, danke. Aber Papa schüttelte den Kopf und augenblicklich war alles perfekt. Dann könnte ich ja wirklich in die Bibliothek! „Herr Korben hat genug helfende Hände vor Ort und ehrlich gesagt, gibt es hier zu viel zu tun."

Ich nickte verstehend. Herr Korben, das erklärte einiges. Er war im weiteren Umkreis bekannt – vor allem, dafür, dass er als Großgrundbesitzer Geld hatte und ziemlich pedantisch war. Kein Wunder, dass Papa wieder nach drinnen eilte, um den letzten Papierkram noch schnell fertig zu stellen, während Zac und Trell den Wagen weiter beluden. Einen Moment lang stand ich mit Pallas allein auf der Straße, ehe Zac mit einem gut verpackten Stuhl heraus kam und mir zuzwinkerte. „Ach Liebes, schon zurück?"

Ich schluckte und wurde rot. „Ja... äh... ichhabfreiweilmeineMeisterinundGisellekrank sindundnunfahreichmitPapamitundgehenochmalindieBibliothek." Ich wurde noch röter und fragte mich, ob er davon auch nur ein einziges Wort verstanden hatte. Aber anscheinend hatte er das, denn er lächelte. Ganz so, als würde ich mich gerade nicht wie eine Geistesgestörte aufführen, dafür mochte ich ihn noch mehr. „Oh, du willst zur Bibliothek? Kann ich dir dann ein paar Bücher von mir mitgeben? Ich hatte sie neulich ausgeliehen und noch keine Zeit gehabt, sie zurückzubringen."

Ich nickte stumm, weil ich meiner Stimme gerade nicht über dem Weg traute und Zac lächelte mich so strahlend an, dass ich nur zurück lächeln konnte. „Perfekt! Dann hole ich kurz-"

Des Wassermanns Weib I - entführtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt