Kapitel 9

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Da die Musik durchgehend läuft hören wir das Klingeln des Aufzuges nicht. Als wir fertig sind treten wir zufrieden in den Raum und posen vor dem Spiegel. Neugierig schaue ich zum Aufzug. Ich entdecke einen Karton und da mein Name oben drauf steht öffne ich ihn schnell. Die Mädchen treten hinter mich und als ich den Inhalt entdecke, seufze ich zufrieden.
"Was soll das sein?", fragt Marie neugierig. "Mein Wunsch." "Und was ist das?" "Eine Polaroid Kamera mit genügend Bildern und noch Klebeband für die Wand." Die Zwillinge und Cleo jubeln, während mich die anderen vier ziemlich verwirrt anschauen. "Eine Polaroidkamera druckt die Bilder direkt aus. Als wir vorhin ins Bad gegangen sind hab ich es mir schnell gewünscht", erkläre ich.

"Du hast dir was für uns gewünscht?", fragt Anne sichtlich verunsichert. Ich nicke verwundert. "Ja, klar. Ich dachte mir, dass wir die schönen Momente festhalten sollten und mit den Bildern können wir uns in schlechten Zeiten dran erinnern." Alle wirken begeistert.
"Okay, also wer beginnt?", frage ich in die Runde und alle heben die Hand. Ich lache. "Wie wärs wir beginnen bei einem Selfie? Wir müssen schließlich auch unsere Schminke fotografieren. Sonst haben sich Nora und Rose ganz um sonst die Mühe gegeben." Sie nicken begeistert und als die Kamera das erste Bild druckt dauert es kurz bis es an Farbe gewinnt.

"Funktioniert es doch nicht?" Man merkt, dass Marie sich damit nicht auskennt. "Nein, es dauert immer eine Weile. Siehst du?" Ich zeige auf das Bild, welches mittlerweile fertig ist. "Das hängen wir an die zwei Türen okay?" Bei Cleos Vorschlag nicken wir alle begeistert.
Glücklich schaue ich mich um. Ich bin noch keine 48 Stunden am vermutlich schlimmsten Ort meines Lebens und trotzdem habe ich Spaß.

~

"Ich habe gehört, dass du für gute Laune bei uns sorgst?" Ich nicke. Die Anweisung heute noch einmal zu Big Boss zu gehen kam ziemlich überraschend. Ich habe gehofft noch ein bisschen Zeit zu haben, doch den geheimen Wunsch wollen sie mir leider nicht erfüllen. Aber irgendetwas ist anders. Big Boss wirkt nicht mehr so kalt wie gestern. Seinen Bart hat er rasiert und sein Hemd scheint sich ein bisschen mehr über seine Schultern zu spannen. Vermutlich habe ich ihn gestern zu hasserfüllt angeschaut, als dass ich darauf hätte achten können.

Dennoch bleibe ich verwirrt, da er auch keine gierigen Blicke auf meinen Körper wirft, sondern nur mein Gesicht mustert. "Das freut mich." Seine Stimme klingt auch nicht so kalt und schon gar nicht so provozierend wie gestern, als er auf die Wahrheit mit Anna gedeutet hat. "Ich glaube, das war auch mal nötig. Danke, dass Sie meinen Wunsch so schnell erfüllt haben." Überrascht hebt er die Augenbrauen.
"Es ist mir neu, dass Opfer sich bedanken." "Aber wir werden ja auch nicht wie typische Entführte festgehalten, sondern haben wenigstens etwas Freiraum." Die Überraschung ist ihm deutlich anzusehen. "Redest du gerade die Einrichtung gut in der ihr unfreiwillig festgehalten werdet?" Ich zucke gespielt gleichgültig mit meinen Schultern. Natürlich gehe ich nicht so locker mit der Sache um, aber ich glaube kaum, dass es mir irgendetwas bringt, hier und jetzt irgendwie zu rebellieren und einen Aufstand zu machen. Die Kraft spare ich mir lieber und verwende sie stattdessen später mal, wenn ich nochmal zu ihm bestellt werde. Oder einfach wieder bei den Mädels, damit deren Laune nicht komplett abrutscht.

Da er nichts darauf erwidert lehne ich mich vor und betrachte neugierig die Bilder auf dem Schreibtisch. Um nichts persönliches Preis zugeben sind es lediglich Bilder, wo nur Landschaften oder Gebäude zu sehen sind. "Sie waren auch an der Nordsee?", frage ich, als ich den Strand mit den berühmten Hotels sehe. Er nickt. Man sieht ihm an, dass er es nicht gewohnt ist, dass einer seiner Entführungsopfer so gesprächig ist. "Sie haben bestimmt in einer der Hotels gewohnt. Für meine Mom und mich war das zu teuer." "Ja", sagt er schlicht. Vermutlich hat er Angst, dass er sonst etwas persönliches von sich Preis geben würde.

"Darf ich Sie um etwas bitten?" "Denkst du etwa, dass du in einer Position bist in der man etwas verlangen kann?" "Also erstens verlange ich nicht, sondern bitte Sie lediglich um einen Gefallen. Und zweitens, bis vor einer Minute hielten Sie es auch für unmöglich, dass sich ein Opfer bedankt und siehe da? Warum wollen wir dann nicht gleich noch etwas unmögliches möglich machen?"
"Touché", meint er und ich bemerke, wie er sich nur mühsam ein Grinsen verkneifen kann. "Was liegt dir denn auf dem Herzen?" Ich überlege kurz, wie ich es am besten formulieren kann, ohne, dass es zu verlangend klingt.

"Das betrifft nicht nur mich, sondern auch die anderen Mädels und ihre Familien." Er schnaubt und verdreht die Augen. "Vergiss es. Alle haben schon probiert ein Treffen mit ihren Familien zu bekommen, auch wenn es bei ihnen eher wie ein Flehen wirkte und nicht so seriös wie bei dir. Aber das tut nichts zur Sache. Meine Antwort bleibt die Gleiche." Ich probiere mich nicht provozieren zu lassen, obwohl ich es hasse unterbrochen zu werden.
"Denken Sie wirklich, ich sei so hoffnungslos und würde Sie um ein Treffen mit meiner Mutter anflehen?" "Bezeichnest du etwa gerade die Anderen als hoffnungslos?" Langsam schüttele ich den Kopf. Ich muss meine Worte mehr mit Bedacht wählen. Ich atme einmal tief durch, bevor ich mich aufrecht hinsetze und seinen Blick erwidere, welcher mir heute viel intensiver vorkommt als gestern.

"Ich bezeichne sie nicht als hoffnungslos, sondern als verzweifelt. Glauben Sie mir, ich wäre normalerweise nicht anders, aber ich weiß, dass es hier nichts bringen würde." Mein Herz rast wie verrückt. Ob es daran liegt, dass ich gerade probiere von meinem Entführer ein Gefallen einzufordern oder an dem intensiven Blickduell das wir gerade führen, weiß ich nicht.
Ich reiße mich zusammen und spreche mit fester Stimme weiter. "Ich hätte gerne eine Auskunft. Von allen sieben Familien. Es wäre wirklich von nutzen, wenn Sie es irgendwie schaffen alle zu beobachten und mir dann mitteilen, wie ihr aktuelles Leben abläuft. Außerdem wüsste ich gerne, ob sie die Ermittlungen eingestellt haben, ob die Familien nach uns suchen und um uns trauern und wie generell die Familienlage ist, da ein Elternpaar fast in der Scheidung lag und sie nun nicht wissen, was los ist." Erleichtert schnappe ich nach Luft.

Big Boss mustert mich nachdenklich und es ist das erste Mal heute, dass er seinen Blick über meinen ganzen Körper schweifen lässt. Ich habe das geblümte Kleid mit dem großen Ausschnitt angezogen, aber trotzdem liegt kein perverses Grinsen auf seinen Lippen und sein Blick bleibt auch nicht an meinem Ausschnitt und meinen freien Beinen hängen, was mich nur noch mehr verunsichert. Langsam lehnt er sich in seinem Stuhl zurück.
"Und warum sollte das alles von nutzen sein? Was haben wir denn davon?" Er lehnt sich entspannt zurück, vermutlich will er somit den Eindruck erwecken er habe die Macht und die hat er auch. Aber dennoch gebe ich nicht auf. "Gerade haben Sie mich noch dafür gelobt, dass ich gute Laune mitbringe. Nun, Sie müssen wissen, es ist nicht nur schlimm was Sie mit uns machen-" Er will gerade protestieren, doch ich schneide ihm mit einer Hand das Wort ab. Als ich realisiere was ich getan habe, reiße ich die Augen auf. Kurz wirkt er wütend, doch anschließend nickt er mir nur zu, damit ich weiterrede.

Das alles bringt mich so aus der Fassung, dass ich kurz brauche um mich wieder zu sammeln. "Also, wie gesagt, es ist nicht nur schlimm was Sie mit uns machen." Oh mein Gott, ich habe ihm gegenüber einfach das Wort erhoben... Ich hoffe, es wird keine Folgen haben.
"Sondern auch die Ungewissheit bringt uns alle um. Wir alle fragen uns, ob es unseren Familien gut geht und wir fragen uns oft alles, was ich eben aufgelistet habe." Er nickt nur, als Zeichen dafür, dass er es verstanden hat. Mir fällt auf, dass er ohne den Bart eine viel schärfere Jawline hat. Damit kann man bestimmt Steine spalten. Heiß...

Habe ich das gerade wirklich gedacht? Ich glaube, ich habe das Stockholmsyndrom.
"Ich habe deinen Gefallen zur Kenntnis genommen und ich werde sehen was sich machen lässt." Während er redet kann ich meinen Blick nicht von seinem Kiefer lösen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe schon immer ein Faible für besonders stark ausgeprägte Jawlines gehabt.
"Hörst du mir überhaupt zu?" Scheiße. Schnell nicke ich und löse meinen Blick von seinem Kiefer. Er schmunzelt leicht, doch keineswegs pervers. Hat er bemerkt, dass ich ihn angestarrt habe? "Und? Das klang so, wie wenn Sie noch etwas hinzufügen wollen." "Nun ja, ich habe nur bemerkt, dass du auch mit deinem neuen Namen sehr tolerant umgehst. Eich hab also einen passenden ausgesucht."

"Soll das ein Kompliment sein?", necke ich ihn. Himmelherrgott nochmal. Flirte ich gerade mit ihm? Wieso bin ich überhaupt so locker ihm gegenüber? Er ist schließlich mein Entführer.
Wegen ihm werde ich noch viel Leid zu spüren bekommen. Wegen ihm und wegen Anna... Allerdings fühlt es sich nicht so an, als ob er mein Entführer sei. Dafür ist er viel zu... Ich weiß auch nicht...

Stockholmsyndrom. Eindeutig!

Heyho,
sorry dass von mir mal ewig wieder nichts kam, aber die Kursstufe ist soooo verdammt stressig.

Deshalb bin ich auch happy, dass ich zumindest ein Kapitel fertig gemacht habe zum Veröffentlichen. Damit wünsche ich euch ein schönes neues Jahr (wenn auch bisschen zu früh) <3

PS.: Ich hoffe euch hat dieses Kapitel gefallen :)

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 30, 2021 ⏰

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