Engel

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Glaubst du an Engel? Ich meine nicht die göttlichen Wesen, die von oben auf uns herunter schauen, sondern solche die unsere geliebten Menschen beschützen. Solche die Katastrophen verhindern und uns an Wunder glauben lassen. Wenn ja, dann kannst du dich glücklich schätzen, denn du glaubst noch an die Hoffnung. Wenn nicht, dann lass mich dir eine Geschichte erzählen. Es geht mir nicht darum, dich von einer höheren Macht zu überzeugen. Ich werde dir einfach nur eine Geschichte erzählen, und du selbst kannst entscheiden, ob du sie glauben willst, oder nicht.

***

Der stechende Qualm brannte in ihren kleinen Lungen und zwang sie dazu ihre kleinen, unschuldigen Augen zu öffnen. Die Hitze brannte darin, selbst die salzigen Tränen vermochten es nicht ihren Schmerz zu lindern. Immer weiter schrie sie, doch das Getöse der Flammen schien jeden noch so kleinen Laut zu verschlingen wie die Wände ihres Kinderzimmers. In ihr erwachte der Drang nach Leben. Alles in ihr schrie danach aus dieser Hölle zu entkommen. So tasteten ihre tapsigen Hände nach dem Rand ihres Gitterbettes. Mühevoll nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und schaffte es tatsächlich sich an dem Gitter hoch zu ziehen.

Schmerzvoll schlug ihr zierlicher Körper auf dem von Ruß und Asche verdrecktem Boden auf und trieb ihr so die Luft aus den Lungen. Als sie zitternd versuchte neues Leben in sich zu ziehen, drang nur noch mehr tödlicher Rauch in sie ein. Ein schumriges Gefühl nahm ihren Kopf ein und brachte für einen kurzen Moment die kleine Stimme in ihrem Kopf zum verstummen, die ihr laut zuschrie nicht aufzugeben. Doch nur für einen kurzen Moment, denn gleich darauf schrie die Stimme noch viel lauter, vertrieb so alle Benommenheit.

Ihr noch junger Verstand realisierte endlich, das die tödlichen Flammen ihr immer näher kammen, lechzten ausgehungert nach ihrem noch so unschuldigen Leben. Ihre Augen brannten von der Hitze, doch konnte sie verschwommen die Tür ihres Kinderzimmers erkennen.

Immer näher kamen ihr die Flammen, während ihre schwachen, ungeübten Beine sie auf die rettende Tür zutrugen. Immer schwerer viel es ihr die Augen offen zu halten, doch eine unsichbare Kraft trieb sie dazu weiter zu stolpern.

Nach quälend langen Minuten, die ihr wie Stunden vorkamen, erreichte sie endlich die Tür. Die Flammen kamen ihr immer näher, verschlangen nun auch ihr Bettchen, in welchem sie vor wenigen Minuten noch gelegen hatte, und suchten nun nach neuer Nahrung für ihre unbändige Zerstörung. Der Drang nach Leben brachte sie dazu durch den Spalt der halb offenen Tür auf den völlig zerstörten Flur zu straucheln, obwohl kaum noch Luft in ihre ausgetrockneten Lungen strömte. 

Weiter und weiter, ein Schritt nach dem anderen zwang sie sich auf die Treppe zu. Wenn sie diese nur erreichen könnte, dann wäre sie gerettet. Doch das lodernden Flammenmeer verschlang jedes Quäntchen Luft, um seinen nie endenden Huger zu befriedigen. Schwerer und schwerer wurden ihre Atemzüge, immer langsamer ihre Schritte, immer leiser die Stimme in ihrem Kopf, die sie zum weitergehen drängte. Allmählich überfiel sie eine unbändige Müdigkeit, die geradezu wahnhaft an ihr riss um sie in den unendlichen Schlaf zu ziehen. Ihre kleinen Beine versagten unter dem Gewicht ihres winzigen Körpers. Ein weiteres Mal schlug sie unsanft auf dem Boden auf, doch dieses Mal hatte sie nicht mehr die Kraft aufzustehen. Die rettende Treppe lag direkt vor ihr. So nah und doch so unerreichbar für sie. Schwarze Punkte führten einen hypnotischen Tanz vor ihren Augen und auch die Stimme in ihrem Kopf wurde leiser und leiser. Ein letzter verzweifelter Atemzug zog die restliche Luft in ihre gereitzte Lunge, ihre Augenlieder wurden immer schwerer und schwerer... Doch plötzlich schlossen sich die beschütznden Arme eines Fremden um ihren geschundenen Körper. Ihre Lungen die so verzweifelt nach Luft schrien, konnten endlich wieder atmen und es schien als wären die eben noch so tödlichen Flammen weit weg.

Ihr Retter legte schützend die Arme um sie. In ihrem dämmerigen Zustand kam es ihr so vor, als würde ihr Held seine majestetischen Flügel ausbreiten und geradewegs durch das von den lodernen Flammen zerfressenen Dach brechen. Für einem Moment schwebte er mit ihr auf dem Arm über der lodernen Flammenhölle, die einst ihr Zuhause gewesen war, bevor er mit einem kräftigen Flügeschlag auf den Boden zuschoss. Kurz bevor der Boden sie genau so umgebracht hätte, wie es das Feuer fast hätte, bremste ihr Retter seine Fall und setzte sanft auf dem Boden auf. Zärtlich übergab er sie den Armen ihrer Mutter, welche sie weinend an sich drückte. Mit ihrem letzten Blick entdeckte sie noch einmal ihren Helden, wie er selbstlos und ohne Schutz ein weiteres Mal in die Todesfalle ihreres Zuhauses rannte, anstatt seiner weißen Flügel nur ein angesengtes weißes T-Shirt tragend. Mit der Gewissheit, dass sie nun in Sicherheit war, schloss sie ihre kleinen Augen und gab sich endlich der erlösenden Ohnmacht hin, die ihrem noch so jungen Körper die Kräfte zurückgeben würde, die der verzehrenden Kampf gegen das mordlustige Feuer ihr genommen hatte.

Sie bemerkte weder die entsetzten Leute, die mit schreckgeweiteten Augen auf ihr zerstörtes Zuhause starrten, noch die dröhnenden Sirenen und flackerden Lichter, die endlich zu Hilfe geeilt waren. Alles was sie empfand war Ruhe und eine tiefe Dankbarkeit für ihren Engel.

***

Glaubst du an Engel? Ich meine nicht die göttlichen Wesen, die von oben auf uns herunter schauen, sondern solche die unsere geliebten Menschen beschützen...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 16, 2020 ⏰

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