Kapitel 1

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"Herzlichen Glückwunsch Vici!", riefen mir Freunde und Lehrer zu. Ich lächelte und schwenkte mein Zeugnis, bevor ich die Bühne verließ. Ich steuerte zurück zu meinem Platz und  ließ mich neben meine beste Freundin Avery fallen, diese lächelte mich an. Auch sie hatte ihren Abschluss mit Bravour gemeistert und das um einiges besser als ich. Avery hatte schon immer einen festen Plan gehabt und war extrem ehrgeizig. Im Gegensatz zu mir, denn ich hatte mich noch nicht einmal mit einem Studienplatz beschäftigt, geschweige denn mich für einen eingetragen. Vielleicht würde ich reisen oder arbeiten. Ich wusste es noch nicht und widmete mich lieber meinen Hobbies, wie ich es auch so oft zu Schulzeiten lieber getan hatte.

"Und bist du heute Abend am Start?", wollte Avery wissen und knuffte mich in die Seite. Ich schüttelte den Kopf, was ihre Begeisterung sichtlich drückte und ich erhielt dafür ihren Das-ist-jetzt-nicht-dein-Ernst-Blick. Entschuldigend hob ich die Schultern. "Ich habe meiner Tante versprochen heute Abend bei ihr zu sein. Sie will etwas Wichtiges mit mir besprechen", versuchte ich mich zu erklären. "Wenn du meinst. Aber dann verpasst du, wie ich heute Abend mit Aden MacKoyle reden und tanzen werde. Er kann mich einfach nicht übersehen! Nicht mit dem hammer Kleid!", schnaubte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu auf welcher der Schuldirektor die letzten Zeugnisse verteilte.
Ich ließ sie schmollen, aber meine Tante konnte ich nicht versetzen, nicht nachdem sie mich so eindringlich gebeten hatte vorbei zu kommen. Seit dem Tod meiner Eltern, vor 15 Jahren, war meine Tante meine engste Vertraue in meiner Familie.

20 Minuten später verabschiedete ich mich von Avery und beteuerte mehrfach, dass Aden sie bestimmt bemerken und ansprechen würde.
Ich stieg in mein Auto und atmete tief durch. Endlich keine Schule mehr! Endlich frei!
Optimistisch schaltete ich das Radio ein und fuhr mit  guter Laune in Richtung meiner Tante. Während an meinem Fenster Häuser vorbei zogen und ich die Stadt immer weiter hinter mir ließ, summte ich zu den Liedern im Radio mit und genoss den schönen Sonnenuntergang. Meine Tante, wohnte ein gutes Stück außerhalb der Stadt in einem kleinen, schönen Haus mit großem Garten, eingebettet in Wiesen, die in einen kleinen Wald übergingen.
Als ich von der Landstraße auf den schmalen Schotterweg einbog konnte ich schon das Haus zwischen den wegsäumenden Kastanien erkennen. Ich parkte mein Auto neben dem roten VW meiner Tante und stellte den Motor ab. Kaum war das geschehen, öffnete sich auch schon die Haustür und meine Tante strahlte mir entgegen.
"Na wo ist das Zeugnis?", rief sie mir zu als ich aus dem Auto stieg und lief auf mich zu. Strahlend wedelte ich mit dem Papier durch die Luft, als sie mich auch schon in eine feste Umarmung schloss. "Ich bin so stolz auf dich Vici", sagte sie und strich mir über den Rücken. "Danke, Tante Sophia."

Wenig später saß ich an dem großen Eichenholztisch mit einem Tee, während Tante Sophia in der Küche nebenan kochte. Ich war gerade dabei ein Kästchen, das auf dem Tisch stand zu studieren, als sie mit dem Essen herein kam. Schnell stand ich auf und halfen den restlichen Tisch zu decken.

Das Essen schmeckte wie immer köstlich und wir plaudert ein wenig über die Zeugnissvergabe und die neusten Neuigkeiten.

Als wir fertig gegessen hatten und ich noch ein Stück Kuchen aß, kamen wir auf das Thema Studium.
"Ich weiß wirklich nicht was ich machen soll...Wie soll ich mich denn nur entscheiden, wenn es so viele Möglichkeiten gibt?", seufzte ich. Frustriert sah ich meine Tante an, deren fröhlicher Gesichtsausdruck einem besorgten gewichen war. "Was ist denn los?", fragte ich sie besorgt. Meine Tante sah mir nicht in die Augen und räusperte sich, bevor sie mich ansah. "Ich habe hier etwas für dich von deinen Eltern." Ich starrte sie an, irgendwie erstarrt, denn ich hatte kaum mit Tante Sophia über meine Eltern geredet. Ihr fiel es nicht leichter als mir darüber zu reden, schließlich hatte sie ihre Schwester verloren. Deshalb wunderte es mich umso mehr und traf mich unerwartet, dass sie nun mit dem Thema anfing. Sie wartete einen Moment, in dem sie versuchte meine Miene zu lesen, dann fuhr sie fort:" Deine Eltern wollten, dass du dieses Kästchen zu deinem 18. Geburtstag bekommst, aber ich habe noch gewartet es dir zu geben, damit du in Ruhe deinen Abschluss beenden kannst", sie stockte um meine Reaktion ab zu warten, aber ich sah sie nur schweigend an. "Ich denke der Inhalte könnte sehr aufwühlend sein, deshalb, dachte ich es wäre besser so. Und jetzt ist es an der Zeit, dass du das Kästchen bekommst", sagte sie leise. Man merkte ihr deutlich an, dass es ihr schwer fiel nur ansatzweise über meine Eltern zu sprechen. Ich nickte langsam und blickte auf das Kästchen, welches ich vorhin schon einmal betrachtet hatte. "Ist es das Kästchen?", fragte ich und sah zu meiner Tante auf.
Vorsichtig zog ich das Kästchen zu mir und strich über die Verzierungen.
"Ich räume die Küche auf. Du darfst dich gerne in dein Zimmer zurück ziehen und in Ruhe alles durch schauen. Falls du Fragen hast, bin ich für dich da!", sagte meine Tante und erhob sich vom Esstisch. Ich nickte nur und ging, das Kästchen unter dem Arm, langsam die Treppe nach oben zu meinem Zimmer.
Ich hatte schon seit ich denken konnte ein Zimmer bei meiner Tante. Als ich ganz klein war, hatte ich bei meiner Oma gelebt, da meine Tante viel arbeitete und sich um meine zwei Cousins kümmern musste. Wenn ich nicht bei meiner Oma war, verbrachte ich meine ganze Zeit bei meiner Tante und raufte mit meinen Cousins. Die beiden waren für mich wie ältere Geschwister. Bei dem Gedanken an frühere Zeiten musste ich lächeln.
Cole und Skye waren ein paar Jahre älter als ich, beide schon auf der Uni und ein Teil meines Lebens, wie meine Tante Sophia. Sie waren immer für mich da auch vor 2 Jahren, als meine Oma starb, setzten sie sich dafür ein, dass ich in der Stadt nahe der Schule wohnen konnte. Dafür war ich ihnen immer noch sehr dankbar.

Während ich darüber nachdachte, was Cole und Skye wohl gerade machten, öffnete ich die Tür meines Zimmers und ließ mich auf dem Bett nieder. Ich würde die zwei wohl bald mal wieder anrufen müssen, um mich zu erkundigen wie es ihnen gehe.

Ich widmete nun die ganze Aufmerksamkeit dem dunkelbraunen Holzkästchen. Es waren viele Zeichen in das dunkle Holz eingraviert und ich fuhr sie noch einmal entlang. Tief atmete ich ein und aus. War ich bereit dafür die ganzen Gefühle wieder zu zulassen? Ich wusste es nicht, aber wenn nicht jetzt wann sonst?
Noch einmal atmete ich ganz bewusst tief ein und aus, dann öffnete ich das Kästchen.

Ganz oben lag ein Foto, dass mir sofort die Tränen in die Augen trieb. Es zeigte mich als Baby und meine Eltern. Meine Mutter hielt mich im Arm, während mein Vater sie umarmte. Beide strahlten in die Kamera.
Ich hatte die hasselnussbraunen Haare meiner Mutter und die grauen Augen meines Vater geerbt. Wie sehr ich mir wünschte, dass sie noch leben würden.
Verzweifelt wischte ich mir die Tränen aus den Augen, denn ich wollte nicht weinen.
Stattdessen nahm ich das Foto aus dem Kästchen und studierte den Inhalt darin. Es befanden sich drei kleine Bücher darin. Eines mit Zeichnungen und seltsamer Schrift darin und zwei Bücher, die wie eine Art Tagebuch zu sein schienen. Ich nahm mir fest vor, diese später zu lesen.
Etwas weiter unten fand ich eine, in Papier eingewickelte, Kette. Vorsichtig packte ich sie aus und betrachtete sie. Sie war silbern und hatte vier Anhänger, die allesamt Dreiecke waren, die unterschiedlich gedreht waren und zwei davon besaßen noch Striche darin. Die Kette schien etwas besonderes zu sein, weshalb ich sie ganz vorsichtig bei Seite legte.
Meine Augen trafen auf einen weißen Umschlag auf dem mein Name stand.
Victoria Stride

Vorsichtig griff ich danach und starrte ihn an. Wenn dieses Kästchen von meinen Eltern war, konnte das nur eins bedeuten; Dieser Brief war von ihnen. Ich schluckte schwer, dann öffnete ich das Kuvert.

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So meine Lieben
Das war das erste Kapitel von Sound of Nature. Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr habt Lust auf mehr bekommen.

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