Drei

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"Scheiße, Scheiße!", fluchte jemand laut.

Erschrocken fuhr mein Kopf hoch. Mit meinen schweren Lidern heftig blinzelnd versuchte ich, mich zu orientieren.

Zuerst dachte ich, bei der Party irgendwann einfach auf einem unbequemen Stuhl eingepennt zu sein.
Mein Nacken schmerzte höllisch, da er sich während meines Schlafes ziemlich komisch verrenkt hatte.
Außerdem drang lautes Wummern zu mir durch, schrille, überdrehte Schreie waren zu hören.
In den ersten Sekunden meines mehr oder weniger wachen Zustandes konnte mein Verstand sich darauf noch keinen Reim machen.

Doch als sich mein verschwommenes Sichtfeld langsam in ein scharfes Bild umwandelte, kehrten alle Erinnerungen zurück.

May und ich hatten auf der Feier eine dämliche Wette verloren.
Deshalb waren wir auch in die Weinfabrik eingebrochen.
Aber man hatte uns erwischt, wir waren geflohen.
Ich bin in der Eile bei fremden Teenagern mit minderjährigem Fahrer eingestiegen.
Ich hatte sie gefragt, ob ich bei ihnen bleiben könnte.

Ab dieser Stelle wusste ich nichts mehr, ich musste eingeschlafen sein.
Doch mit jedem Fetzten Erinnerung, der sich in meinem Kopf verfing, wurde ich aufgeregter.

Etwas war passiert, etwas war schiefgelaufen! Das spürte ich.
In meinem Magen fing es nervös an zu flattern. Ich schluckte schwer und richtete mich in meinem Sitz, soweit es der Anschnallgurt zuließ, zu voller Größe auf.
Hektisch sah ich mich um.
Verdammt, was war denn los?

"Was ist?", schrie ich panisch und rüttelte Emma am Arm. Diese starrte gebannt aus dem Fenster, mit fiel auf, dass sie am ganzen Körper zitterte.

Als ich ihren Namen nannte, wandte sie sich mit dem Gesicht zu mir um.
In ihm stand die nackte Angst geschrieben.
Ihre Augen waren unnatürlich stark geweitet, eine  Träne nach der anderen bahnte sich den Weg. Ihr Mund stand leicht offen, ihre Lippen zitterten. Und obwohl diese kein Ton überquerte, schien sie verzweifelt, stumm nach Hilfe zu rufen.
Was mich an ihrem Anblick jedoch am meisten schockierte, war ihr Blick.

Sie sagte nichts, immer noch nicht. Doch das brauchte sie auch nicht, denn alles, was ich wissen musste, erzählten mir ihre in Tränen schwimmenden Augen.

Was immer gerade passierte, es war meine Schuld.

Mir schien das Herz vor Schreck in den Bauch zu rutschen und dort ein übelkeitserregendes Gefühl auszulösen.

Völlig geschockt starrte ich sie an, auch noch, als sie sich längst wieder dem Fenster zugewandt hatte und mir nur noch ihren bunten Hinterkopf widmete.

Was war nur passiert?

Ich musste zugeben, es bereitete mir furchtbare Angst. In meinem Kopf überschlugen sich die wildesten Fantasien, was passiert sein könnte, eine schlimmer als die andere.
Wie naiv war ich bitte gewesen? Verächtlich bis ich die Zähne zusammen.
Ich hatte tatsächlich gedacht, dass ich einmal in meinem Leben Glück haben könnte. Vielleicht nur einen Tag frei sein, einen Tag weg von all dem Hass, dem Schmerz, der Lügen, die mein Leben prägten.

Ich hätte es besser wissen müssen.
Was immer ich tat und jemals tun würde, es würde schlecht für mich enden.
Das war nun einmal mein Schicksal, ich dachte, dass hätte ich begriffen und akzeptiert.
Doch seit ich Emmas Gesicht gesehen hatte, war mir klar, dass in mir immer noch die dumme, geblendete Hoffnung gelebt hatte.

Ja, ich war verbittert. Doch das wärt ihr an meiner Stelle auch gewesen, denn glaubt mir, ich war mit derselben Leichtigkeit und Sorglosigkeit wie ihr ins Leben gestartet, mit denselben Erwartungen an die Welt.

Ich war enttäuscht worden.

Und gestern war da dieser kleine Moment gewesen. Als ich in einem kaputten Auto zwischen ein paar Punkern über eine holprige Landstraße manövriert worden war. Eine komische Sekunde nur, doch sie hatte gereicht um meine Einstellung noch ein letztes Mal zu ändern.

Das Leuchten der Freiheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt