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Am zweiten Weihnachtsfeiertag kann ich immer noch nicht glauben, dass meine Eltern mich doch auf die Party gehen lassen. Gestern Abend waren die beiden noch so dolle am Streiten, dass ich nicht anders konnte, als die Situation für mich ausnutzen. E ist fies und gehört sich nicht, aber wie sonst sollte ich es zu Max auf die Party schaffen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Eltern gegeneinander auszuspielen wirklich die beste Entscheidung war. Ich hoffe nur wirklich, dass das keine größeren Konsequenzen für ihre Ehe hat. Immerhin hat mein Vater irgendwann vollkommen wutentbrannt gemeint, dass ich doch ruhig auf die bescheuerte Party könnte, immerhin wär ich ja groß und alt genug mit dem Bus zu fahren. Heißt, ich darf selbst schauen da irgendwie hin zu kommen, aber wenigstens darf ich überhaupt mal weg. Meine Mutter war nicht sonderlich froh darüber, ist ja wohl klar, aber he, was kann ich denn dafür? Ich habe das größere Allgemeinwohl – eigentlich ja nur mich – vor Augen gehabt und bin zu dem Meinen gekommen. Mehr braucht man doch nicht, um glücklich zu sein.

Ich hocke also bereits seit zwei Stunden vor meinem Schrank und steh kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil ich nicht weiß, was ich anziehen soll. Ich war noch nie in einer Diskothek und habe absolut null Ahnung, was man da so trägt. Wäre mein schwarzes Kleid zu schick? Wäre der kurze rote Rock zu billig? Es ist ja nicht nur, dass ich passend gekleidet sein will, ich will ja auch Zeit mit Max verbringen und wenn ich da doof aussehe, kann ich mir da eh abschminken. Oh man, ich muss mich ja auch noch schminken. Mist, Eyelinerprobe, sonst bekomm ich das heute Abend nicht hin mit der zitternden Hand! Und dann noch duschen und ein passendes Parfum suchen – okay, ich hab nur zwei, die Wahl ist leicht getroffen, aber ich muss mich doch für eines der beiden entscheiden.

Beim Mittagessen ist die Stimmung mehr als nur bedrückt. Mein Bruder plappert zwar munter über den Film, den er heute Abend im Fernsehen sehen will, doch sonst herrscht eisiges Schweigen. Merkt der Knirps nicht, wie deplatziert seine Bemerkungen über den coolen Actionfilm gerade sind? Und wie wenig wir alle wissen wollen, wie viele Roboter sterben werden, das aber nicht schlimm ist, da es böse Bots sind. Ich wünsche mir manchmal ich wäre noch so klein und unbeschwert wie mein Bruder.

Nach dem Essen habe ich dann eine Nachricht von Max. Um den Moment so richtig zu genießen, lese ich noch einmal unsere gesamte Konversation durch, auch wenn sie weder so lang, noch wirklich sinnvoll ist.

Sveta: Hey, gute Nachricht, meine Eltern haben doch nachgegeben, ich darf zu der Party kommen.

Max: Das freut mich, mein Onkel hat auch schon haufenweise Getränke bestellt und einen der besten DJs der Stadt angeheuert. Das wird sicher eine tolle Feier.

Sveta: Muss ich eigentlich etwas Besonderes mitbringen?

Max: Nein, lass gut sein. Das geht schon so, so lange du toll aussiehst – und das wirst du schon – lassen wir dich rein ;)

Sveta: Na dann ist ja gut :D

Max: Übrigens, der Weihnachtsmann hat noch etwas für dich.

Ich muss grinsen, das ist ja mal wieder typisch. Max machte immer wieder Späße und war auch vielleicht aus genau dem Grund Schülersprecher. Da hatte er auch in der Schule das ultimative Recht zum Scherzen mit den Lehrern.

Genau gut zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit stehe ich vor der Diskothek und rede mit dem Türsteher. Es ist Max‘ älterer Bruder, den ich noch aus der Schule kenne. Also, der Grundschule, schon ewig her. Er war immer ein Rowdy und hat regelmäßig das Murmelspiel oder die Tauschkarten durcheinander gebracht. Aber er ist auch jedes Mal in den Baum gestiegen, wenn ein Ball zwischen den Ästen stecken blieb. Mich wundert es, dass er sich noch an mich erinnern kann, immerhin war unsere einzige Begegnung, als er mir die Puppe weggenommen und in den Schlamm geworfen hatte. Nicht wirklich die beste Erinnerung, aber darüber kann ich heutzutage wegsehen und er hat es offensichtlich vergessen oder es juckt ihn kaum.

In der Diskothek spielt bereits die Musik und die Angestellten hängen noch die letzten Dekorationen auf. Definitiv nicht so kitschig wie bei uns zu Hause oder gar in der Einkaufspassage. Ich muss wieder an die patriotischen Schaufensterpuppen denken und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. An der Bar steht Max und unterhält sich mit seiner Schwester, die dabei ist einige Willkommensgetränke auszuschenken.

Ich gehe zu ihnen und tippe Max an die Schulter, nachdem ich seiner Schwester zu gewunken habe.

„Hey, na du bist aber früh hier? Ich hab meinem Bruder doch extra gesagt, dass er noch niemanden reinlassen soll.“

„Er konnte mich armes kleines Mädchen einfach nicht in der Kälte stehen lassen.“

Wir lachen beide und er meint nur:

„Na, das kann ich ihm doch nicht wirklich übel nehmen. Ich freu mich übrigens, dass du doch noch kommen konntest. War es echt so schwer deine Eltern zu überreden?“

Ich verdrehe seufzend die Augen gen Himmel.

„Eigentlich bin ich auch nur hier, weil mein Vater meiner Mutter eine auswischen wollte. Mir egal, immerhin hab ich so meinen besten zweiten Weihnachtsfeiertag meines ganzen Lebens.“

„Na, dann wollen wir die Sache doch mal wert machen.“

Er zwinkert mir zu und beeilt sich dann dem Freund seiner Schwester noch beim Stühlerücken zu helfen, bevor der Laden offiziell eröffnet.

Um kurz vor Mitternacht kommt Max zu mir und setzt sich neben mich auf das Sofa in der VIP Ecke – ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich da hin darf, aber wenn man mit den richtigen Leuten befreundet ist, dann kann man fast alles.

„Ich habe dir doch versprochen, dass du heute noch ein Geschenk erhältst, und zwar vom Weihnachtsmann.“

Er hat sich wegen der lauten Musik zu mir gebeugt und spricht mir ins Ohr. Ich kann nur wie betäubt nicken.

„Ich hab da so einen Brief bekommen vom Weihnachtsmann, mit der Bitte dir den Wunsch doch zu erfüllen.“

Er schaut mir geradewegs in die Augen und ich verstehe nicht so recht, was er meint. Dann kramt er ein Blatt Papier aus seiner Tasche und hält es mir vor die Nase. Es ist mein Spaßbrief an den Weihnachtsmann von vor ein paar Tagen. Er hat ihn doch ernsthaft aus dem Briefkasten gefischt und an sich genommen. Fragend sieht er mich an, dann muss ich grinsen.

„Du bist echt unmöglich, aber süß. Ich denke man kann es mit dir wagen.“

Ich stupse seine Schulter an, nicht wirklich sicher wie weit das ein wirkliches Kompliment war. Oh man, ich bin so aufgedreht und hibbelig. Wenn das wie in einem Film ist, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis er sich zu mir herunter beugt und mich küsst. Ich merke, wie mir ganz zitterig wird.

Max zeigt über meinen Kopf und ich sehe, wie über der VIP-Ecke ein Mistelzweig hält.

„Wir wollen den Geist der Weihnacht doch nicht sauer machen, oder?“

Ich schüttele nur ungläubig den Kopf. Mensch, das passiert doch nicht wirklich, oder?

Er neigt sich zu mir hinunter und küsst mich ganz zart auf die Lippen. Mein erster Kuss überhaupt und das mit meinem Schwarm, ich glaube den Weihnachtsmann gibt es wirklich!

Kiss me sweetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt