Kapitel 2

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A V E R Y

»Was machst du hier!?«
»Nach London fahren, was sonst?«
Er grinst und starrt Jean an.
»Und wer ist das?«
»Jean, eine Freundin von mir... Was machst du in London?«
Luan dreht sich um, scheinbar auf der Suche nach einem Platz.
Jean steht auf. »Ich wollte sowieso zur Toilette...« Dann verschwindet sie im Gang.
Luan lässt sich auf den leeren Platz fallen und beugt sich vor.
»Ich studiere.« Er grinst, bevor sein Gesichtsausdruck finster wird.
Ohne ein Wort steht er auf.
»Komm schon.« Er wirkt beinahe ängstlich... Ich starre ihn verwirrt an und folge dann seinem Blick.
Einige Reihen hinter uns sitzt ein völlig in schwarz gekleideter Mann, mit Hut und weißer, fast grauer Haut.
Seine Augen sind schwarz wie die eines Käfers und er scheint uns zu beobachten.
Ich drehe mich zurück zu Luan.
»Was ist los?«
»Sag ich dir später, komm jetzt!«
Er greift mit der einen Hand Jeans Koffer, mit der anderen meine Hand.
Dann zieht er mich den Gang entlang mit sich. Ich stolpere hinterher, in der Hoffnung nicht über irgendwelche gemeingefährlich platzierten Taschen zu stolpern.
Ich werfe einen Blick zurück, treffe den Blick des Fremden. Eine Gänsehaut überläuft mich und meine Kehle schnürt sich plötzlich zusammen.
Wie ein Fisch öffne ich den Mund, ohne Luft zu bekommen.
Aber Luan zieht mich weiter, schließt die Abteiltür.
Der Blickkontakt bricht ab.
Kühle Luft durchflutet meine Lungen. Ich atme erleichtert auf.
»Was war das gerade?!«
»Er weiß jetzt, was du bist. Jetzt komm, er wird uns nicht verfolgen.«
»Wie bitte, was?! Was ich bin? Ein Mensch offensichtlich!« Ich ziehe meine Hand weg und verschränke die Arme vor der Brust.
Luan verdreht genervt die Augen.
»Du bist bei mir sicher. Ich erkläre dir das... Gleich.«
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und presse die Lippen zusammen.
»Versprochen.«

Irgendwo auf dem Weg durch den Zug gabeln wir Jean auf und wenig später haben wir das Ende des Zuges erreicht. Luan öffnet das Abteil.
Erste Klasse.
»Wir haben nur Tickets für die Zweite« sage ich und wedele mit der Karte vor seinem Gesicht herum.
Luan grinst und zieht drei Tickets aus seiner Hosentasche.
»Erste Klasse« Er lehnt sich erwartungsvoll neben die Tür.
Ich verziehe den Mund und schiebe mich unter seinem Arm hindurch ins Abteil.
Es riecht nach Leder und die Sitze sind um einiges größer als die in der zweiten Klasse. Und es ist fast leer hier. Bis auf einen Mann in Anzug, der vor seinem Laptop sitzt.
Ich lasse mich auf einen der Sessel fallen.
»Whoa, sooo bequem...«
Luan lacht und wirft sich ebenfalls in einen der indigofarbenen Sitze.
Ich starre Jean an, die scheinbar nicht so ganz weiß, was sie tun soll. Typisch Jean. Sie ist zwar genial und weiß so ziemlich alles, aber sie ist ebenso schüchtern und eine soziale Niete.
Ich verdrehe die Augen.
»Jean, du kannst dich hinsetzen...«
Sie setzt sich vorsichtig auf einen Platz in der Reihe gegenüber des Gangs. Ich schüttel verständnislos den Kopf. Dann wende ich mich Luan zu.
»Also. Was machen wir hier und was war das eben?«
Luan kratzt sich am Kopf, bevor er den Mund öffnet, um ihn direkt danach wieder zu schließen.
Er scheint zu überlegen.
Ich schaue ihn fragend an.
»Du bist kein Mensch.«
Uff. Kein Mensch. Ist er verrückt? Bin ich verrückt, dass ich es irgendwie ein kleines bisschen vielleicht glaube?
Vermutlich sind wir es beide.
Aber wieso sollte ich einem Fremden glauben? Wir kennen uns seit heute Morgen, ich kenne nicht Mal seinen vollen Namen... Zweifel überkommt mich... Was mache ich hier, wieso flüchte ich vor einem schwarz gekleideten Mann? Und warum zum Teufel sollte ich kein Mensch sein!?
»Du glaubst mir nicht...« stellt er, beinahe resigniert, fest.
»Ich... Keine Ahnung, ich weiß nicht...«
Ich habe keinen Grund ihm zu glauben... Also warum sollte er Recht haben, damit, dass ich kein Mensch sei? Weil er Recht hat. Du weißt es.
Ich weiß nicht einmal, ob ich der Stimme in meinem Kopf vertrauen kann!
»Schau mich an.« Luans Stimme ist leise, ruhig. Ich starre in seine gelben Augen, bis er sie schließt. Aber nur für einige Sekunden. Als er sie wieder öffnet...
»Unmöglich...« hauche ich entgeistert.
Seine Augen sind... Orange. Grelle, lebendige Flammen züngeln darin... Feuer...
»Glaubst du mir jetzt?«
Luan schließt seine lodernden Augen wieder. Das Licht, das Feuer, die Funken sind verschwunden.
Ich nicke zaghaft. Vielleicht ist es wirklich wahr. Er ist jedenfalls nicht normal.
»Du bist ein Andersblüter. Du bist wie ich. Wir sind Feuer und Eis.«
Eis. Eis? Ich hatte nie wirklich etwas zu tun gehabt mit Eis, hatte nie eine Verbundenheit gespürt.
Naja, ich war gerne auf dem zugefrorenen See, auch wenn es eigentlich verboten war...
»Was denkst du?«
»Ich... Weiß nicht. Tut mir leid...«
Luans Augen sind gleichzeitig verständnisvoll und drängend. Oder eher erwartungsvoll.
»Ich weiß nichtmal, was das jetzt bedeutet. Ein Andersblüter zu sein...«
Er kratzt sich am Kopf.
»Du bestehst aus Eis«.
»Ich bestehe aus Eis« wiederhole ich dümmlich.
»Naja, zumindest zu einem Teil... Es ist Magie...«
Magie. Alles klar. Er hat Recht.
Hat er? Irgendwie will ich ihm glauben. Aber dann wäre mein gesamtes Weltbild zerschmettert.
Luan greift meine Hand.
»Es stimmt. Du weißt es.«
Seine Augen sind hoffnungsvoll. Er glaubt was er sagt, er weiß, dass es stimmt. Und dass ich ihm glaube.

Lifeblood - Frozen HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt