Kapitel 6

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A V E R Y

Ein weißer Raum, Schatten die über den ungreifbaren Boden wabern, beinahe tanzen. Schatten, überall Schatten. An der Decke, an den Wänden. Es gibt keine Wände... Keine Menschen. Ich drehe mich panisch um mich selbst.
Eine schwarz vermummte Gestalt steht vor mir. Nur ihre schwarzen Käferaugen sind zu sehen und darum ein kleiner Streifen fahler, grauer Haut.
Mein Herz bleibt stehen als ich ihren Blick treffe. Langsam streckt die Gestalt die langen, knochigen Finger nach mir aus, will mich greifen.
Alles in mir schreit nach Luft, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Mein Körper weigert sich zu atmen.
Der kalte Wind weht meine Haare durch die Luft und sie verfangen sich in den Fingern des Wesens. Sofort werden sie grau.
Eine dunkle Strähne zieht sich durch mein Haar, erreicht meine Haut.
Ein stechender Schmerz durchzuckt meinen Körper, wie eine Nadel, in meinen Kopf. Aber mit ihm kehrt das Leben in ihn zurück.
Ich blinzele und mein Körper gehorcht mir. Meine Faust schnellt nach vorne, durchdringt die Gestalt. Ein nasser Dunst, völlig schwarz, umwabert meinen Arm und ein paar Herzschläge später blitzt ein widerlicher Schmerz durch meine Nerven.
Meine Haut wird aschfahl, grau und durchzieht sich mit tiefen Rissen, zwischen denen ein blaues Licht scheint.
Der Tod rast über meinen Körper, meine Seele, erreicht mein Herz.
Ich kippe vornüber...

Flach atmend öffne ich die Augen. Nur ein Traum. Ein Traum, nichts weiter. Mein Herz hämmert wild gegen meine Brust. Ich atme tief ein. Und aus. Nochmal. Ein. Und aus.
Ein und aus.
Ich schließe die Augen wieder für einen Moment, dann rinnen leise, bittere Tränen über meine Wangen auf das Kissen.
Ich wische sie mit dem Ärmel meines Schlafanzug-Oberteils weg und knirsche mit den Zähnen.
Dieser ganze Andersblüter und Jäger-Scheiß verfolgt mich also jetzt schon in meine Träume. Toll.
Ich atme noch einmal tief durch und drehe mich dann auf die Seite um nach meinem Handy zu greifen. Ich blinzele gegen das helle Display bis sich meine Augen daran gewöhnen.
02:37.
Das kühle Licht des Smartphones durchleuchtet meine Finger. Was?!
Ich starre auf das eisige, blaue Schimmern das von meinen Fingerspitzen ausgeht. Sie sind durchsichtig. Blau und durchsichtig. Eisblau. Oh Mann. Oh Mann, Oh Mann, Oh Mann...
Ich blinzele ein paar Mal. Aber das Blau verschwindet nicht.
Ich bin ein Andersblüter. Kein Mensch. Andersblüter.
Oh Gott. Warum ich?
Wieso muss ich so anders sein? Ich bin sowieso schon anders als die anderen. Jetzt das...
Reiß dich zusammen.
Ja. Noch ist alles okay. Nein.
Meine Gedanken kreisen, wechseln ständig ihre Richtung. Wie ein tanzendes Staubkorn.
Ich atme tief durch - und setze mich auf. Ich muss mit jemandem darüber sprechen. Und ich muss hier weg.
Ich habe keine Ahnung wie ich diese... Handschuhe loswerde. Das Blau reicht beinahe bis zu meinen Ellbogen...
Meine Hände zittern. Ich kann schlecht mitten in der Nacht raus. Das würde doch auffallen... Oder? Ich war schon ein paar Mal Nachts weggeschlichen. Mit Willow...
Dieses Mal dann wohl alleine. Sie kann mir wohl kaum helfen meine Finger wieder zu...verwandeln.
Ich stehe auf, streife mir eine schwarze Jeans und einen dunklen Pullover über, stets darauf bedacht Willow nicht zu wecken. Die Dielen knarzen als ich hinüber zu meinen Schuhen schleiche. Ich bleibe für einen Moment stehen und werfe einen Blick, hinüber zu Willow, die sich gerade umdreht. Sie scheint noch zu schlafen. Gut. Denke ich.
Vorsichtig schlüpfe ich in meine bunt angemalten Chucks - die anderen Schuhe sind noch irgendwo in meinem Koffer...
»Was machst du da?« Sie ist wach.
Ich spanne meinen Kiefer an und drehe mich dann um. Willows Haare sind zerzaust und ihr Blick ist völlig verschlafen. Kein Wunder, es ist ja auch mitten in der Nacht...
»Ich muss nochmal raus...«
Ich hebe meine eisigen Hände.
»Was?!« Sie setzt sich schlagartig auf.
»Ich komme mit!«
»Nein! Ich will dich da nicht mit rein ziehen!«
»Das hast du doch längst.«
Bevor ich ihr noch einmal widersprechen kann hat sie eine Jeans angezogen.
»Okay.« Irgendwie bin ich erleichtert, dass ich nicht alleine gehen muss. Aber ich mache mir auch Sorgen...
Willow grinst nur und wirft sich einen Hoodie über während ich ein Paar Wollhandschuhe über meine Finger streife - nur falls uns jemand sieht...
»Du willst zu diesem Luan, oder?«
Ich presse die Lippen zusammen und nicke. Ich weiß nicht, wer mir damit sonst helfen könnte...
»Na dann los. Bereit?« Ihre Augen funkeln.
Ich nicke. »Ja.«

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 07, 2020 ⏰

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