Flucht

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Mehrere Stunden mussten vergangen sein, als Paula endlich wieder Geräusche vor der Stahltür hörte.
Zweimal hatte sie versucht den Schacht hochzuklettern.
Es war schwierig, aber möglich.
Doch jedes Mal waren ihr Zweifel gekommen und sie hatte sich nach einigen Metern wieder heruntergelassen.
Nun stand sie in der Ecke und wartete während die schwere Stahltür langsam geöffnet wurde.
Der Langhaarige betrat den Raum, über seiner Schulter lag der Jungen.
Geschockt beobachtete Paula wie der Mann den Jungen auf den Boden warf und den Raum wieder verließ.
Nach einigen Sekunden hatte Paula sich wieder gefangen und eilte zu dem Jungen.
Er hatte nur noch seine Unterwäsche an und sein Körper war übersäht mit frischen Verletzungen.
Vorsichtig begann Paula ihn zu untersuchen, er reagierte nicht als sie ihm einen Schmerzreiz setze.
Sein Puls war schwach, sein Atem ging stoßweise.
Paula bemerkte das mehrere Knochen in beiden Armen gebrochen waren, die Beine waren übersäht mit zum Teil tiefen Stichwunden die stark bluteten.
Sie zog ihren Kittel aus und riss ihn in Streifen um die Wunden die noch blutenten zu verbinden.
Sein Oberkörper war mit Brandwunden und Prellungen übersäht.
Einige Rippen schienen gebrochen, und auf der rechten Seite nahm sie kaum Atemgeräusche wahr, als sie ihr Ohr an seine Brust legte.
Innerhalb weniger Minuten wusste sie, dass sie nichts für den Jungen tun konnte was sein Leben retten würde.
Er musste in ein Krankenhaus ansonsten war er wahrscheinlich in weniger als einer Stunde tot.
Tränen traten in ihre Augen.
Wieder saß sie hilflos neben einem sterbenden Kind und es gab nichts was sie für ihn tun konnte.
Hier gab es nichts was sie tun konnte.
Energisch wischte Paula die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch.
Dann legte sie denn Jungen in die stabile Seitenlage und deckte ihn mit der Decke zu.

Anschließend fing sie an den Schacht hochzuklettern.
Es war eine ziemlich anstrengende Unternehmung, nicht nur einmal rutschte sie ab und wäre beinah hinabgestürzt.
Als sie endlich das Ende des Schachtes erreicht hatte, versuchte sie mit der ihr verbleibenden Kraft, das verrostete Gitter wegzudrücken.
Es bewegte sich keinen Millimeter und Paulas Kraft schwand.
Tränen der Verzweiflung rannen ihr Gesicht herab.
Gerade als sie beinahe aufgeben wollte, hörte sie ein lauten Knirschen und das Gitter begann sich zu bewegen.
Erleichtert atmete sie laut aus und drückte das Gitter komplett zur Seite.
Kurz sammelte sie ihre Kräfte und kletterte dann aus dem Schach heraus an die frische Luft.
Dort hockte sie nun und sah sich vorsichtig um, sie war auf der Außenseite des Fabrikgebäudes herausgekommen.
Vor ihr führte eine hohe Mauer um das Gelände herum, hinter ihr erhob sich das Fabrikgebäude.
Etwa zwanzig Meter auf der rechten Seite hörte das Gebäude auf und auch die Außenmauer machte fünf Meter entfernt einen Knick.
Auf der linken Seite war das Gebäude nach drei Metern zu Ende, während die Mauer noch zehn Meter weiter reichte bevor sie auch hier einen Knick machte und hinter der Hausecke verschwand.

An der Mauer in der hinteren Ecke war ein zerfallenen kleines Gebäude zu sehen auf deren Mauerresten sie vielleicht hochklettern konnte.
Vorsichtig näherte Paula sich der Hausecke und spähe an ihre Vorbei.
Eine Art Lagerhalle war zu erkennen deren großes Tor offen stand, auch am Fabrikgebäude stand eine Doppeltür weit offen.
Kurz wartete Paula doch als kein Geräusch zu hören war, schlich sie flink zu der Ruine und versuchte über die Mauerreste auf die hohe Außenmauer zu gelangen.
Gerade als sie den Rand der Mauer erreicht hatte hörte sie auf einmal die Rufe eines Mannes hinter sich.
Geschwind kletterte sie auf die Mauer und schwang ihre Beine auf die andere Seite.
Als ein Schuss neben ihr in der Mauer einschlug, ließ sie sich ohne vorher einen Blick zu riskieren auf der anderen Seite herabfallen.

Sie landete hart auf ihrer rechten Schulter, ein lautes Knacken ertönte und Schmerz durchfuhr ihren Körper.
Von der Energie des Aufpralls getrieben, rollte sie einen steilen Abhang hinab.
Dabei schlug sie mehrfach auf Wurzeln und Steine auf und überall in ihrem Körper explodierten Schmerzenswellen, die ihr beinahe die Sicht nahmen.
Nachdem sie sich mehrmals überschlagen und um die eigene Achse gedreht hatte, prallte ihr Kopf hart auf einen Stein auf und Paula verlor das Bewusstsein.

Der verschwundene SohnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt