6. "Wir legen auf diese Regeln sehr viel Wert"

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"Jane Parker. " Ich schluckte, als wir den üblichen festen Händedruck ausübten und meine Haut wie beim letzten Mal unkontrolliert zu kribbeln anfing.

"Jane... Parker." Er ließ meine Hand demonstrativ langsam los, in dem er den Druck nur nach und nach lockerte. "Freut mich Sie... zu sehen."

Das ungute Gefühl wuchs immer weiter in mir an, während ich mich fragte, wie es möglich war, diesen Menschen in der verdammt großen Stadt gerade ausgerechnet hier in dieser Firma wiederzutreffen.

Ich sagte dazu nichts weiter, weil ich nicht im Stande war auch nur irgendetwas zu sagen.

In der gleichen Zeit, in der sich Raye Laynce hinsetzte, schaute sein Bruder auch wieder von seinem Handy auf, schob es in Reichweite von sich weg und richtete seinen abschätzenden Blick genauso wie Raye auf mich.

Ohje, das kann ja noch was werden.

Meine Hände pressten sich flach auf den weichen Stoff meines Kleides, während ich weiter versuchte meine Nervösität in Schach zu halten.

"Miss Parker, ich freue mich, dass sie unser Auswahlverfahren erfolgreich bestanden haben und wir sie nun als eine neue Arbeitskollegin in unserer Firma aufnehmen können", ergriff Emre das Wort und faltete wieder seine Hände auf der Tischplatte. Im Gegensatz zu seinem Bruder sah er um Längen professioneller und freundlicher aus.

Raye hingegen stützte seinen linken Ellbogen auf seiner Stuhllehne ab, mit den Fingerspitzen fuhr er sich immer wieder über sein Kinn als würde er über etwas angestrengt nachdenken, während seine wachen funkelnden Augen auf mir ruhten. Mit der anderen Hand hatte er sein Handy aufrecht hingestellt und drehte es immer wieder langsam hin und her.

Wie unterschiedlich sie waren und wie man das nur an ihrer Sitzhaltung schon erkennen konnte.

Emre wirkte beherrscht, jede Pore seiner Haut strahlte Professionalität aus. Man sah richtig, wie wichtig es ihm war, seine Angestellten vor dem ersten Arbeitstag nochmal persönlich kennenzulernen und sich selbst ein Bild von ihnen zu machen. Dafür musste er mit ihnen locker und zuvorkommend ins Gespräch kommen.

Raye hingegen schien sich in seinem eigenen persönlichen Spiel wiederzufinden, in dem er bei seinem Gegner die Schwächen mit verschiedenen Spielzügen herausfinden wollte oder so wie jetzt versuchte in meine versteckten Karten zu schauen, um sich Vorteile zu verschaffen.

Denn so fühlte sich auch sein Blick an.

Man bekam regelrecht von ihm vermittelt, dass er die Gedanken lesen und man nichts vor ihm verstecken konnte.

"Haben Sie denn heute gut hierhergefunden? Der Straßenverkehr macht es einen bekanntlich ziemlich schwer", beförderte mich Emris Stimme aus meinen Überlegungen.

Schnell schaute ich zu ihm und nickte. "Ja, da haben Sie recht. Aber es ist alles gut verlaufen."

Ein mildes Lächeln von ihm. "Sehr gut, ich nehme an, dass Sie ihr Auto auch in unserer Tiefgarage geparkt haben?"

Wieder nickte ich. "Ja, das habe ich. Darauf wurde ich in der Email bezüglich meines ersten Arbeitstages ausdrücklich hingewiesen", zum Glück klang meine Stimme noch einigermaßen fest.

Meine Güte, wenn Emre hier nicht wäre und noch ein wenig Ruhe in diese angespannte Atmosphäre einbringen würde, dann wäre ich unter Rayes eindringlichen Blick schon hoffnungslos zusammengeschrumpft.

Ist er eigentlich immer so schweigsam, wenn sich ihm neue Angestellten vorstellten und überließ seinem Bruder geduldig im Hintergrund analysierend das Feld?

"Sehr schön, sehr schön", nickte Emre das ab. "Dann hätten wir noch eine Frage an Sie, bevor Sie gehen und das restliche Team in Ihrer Abteilung kennenlernen können."

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